Freitag, Januar 09, 2015

Der Mann mit dem Sex

Karrieren wie die seine werden heute nicht mehr gemacht: zum 70. Geburtstag von Rod Stewart

Geht man davon aus, dass das Zeitalter des Lebemanns heute endgültig vorbei ist – seine natürlichen Feinde: Rauchverbot, Kondom- und Patschenpflicht, Sitzpinkeln, Selbstoptimierung, Väterkarenz (haha!), ein Shitstorm auf Twitter, „GrünInnen“ –, eignet sich der 70. Geburtstag Rod Stewarts vorzüglich, die diesbezügliche Kulturgeschichte zu betrachten. Immerhin hat der am 10. Jänner 1945 in London geborene Sänger nicht nur (wissentlich) acht Kinder von fünf Frauen und eine Bilanz von drei Ehen vorzuweisen, die zwischen One-Night-Stands im Hotelbett geschrieben wurde. Zur besseren Ausfüllung seiner zwischen „Holladaro“ und Hallodri angelegten Rolle brachte der einstige Kicker und lebenslange Celtic-Glasgow-Fan auch die richtige Arbeitseinstellung für eine Karriere in der Entertainmentbranche mit: „Well, a musicianʼs life is a lot easier and I can also get drunk and make music, and I canʼt do that and play football.“

Keine Verbissenheit

Das von AC/DC vorgegebene Motto „It’s a long way to the top if you wanna rock ʼnʼ roll“ mag sich zwar auch in der Vita des einstigen Straßenmusikers bewahrheitet haben. Im Gegensatz zu den aufstrebenden Leadern ernsthafter bis vollkommen spaßfreier Branchen zwischen Ölindustrie, Pathologie und Finanz absolvierte Stewart die Wegstrecke aber nicht mit besonderer Verbissenheit und Strenge. Dass sich der Mann, ganz im Gegenteil, für exakt gar nichts zu blöd war, erklären neben Teilen des Gesamtwerks und nicht erst heute als sexistisch zu betrachtenden Musikvideos auch seine Bühnenoutfits, die eine Löwenmähne in Ich-bin-blind-Blond übersetzendem Vokuhila-Design schrittbetont mit pinken Spandexhosen kurzzuschließen vermochten. Ja, zum Glück konnte und kann der späte Rod Stewart selbstironisch über vergangene Blödheiten parlieren – ohne diese allerdings auch zu bereuen. Die Nichtexistenz sämtlicher Selbstzweifel, gefolgt vom Ausbleiben jedweden Schuldbewusstseins, steht im Bestimmungsbuch für Lebemänner unter „Wesenszüge“ an die Spitze geschrieben.

All das führte nun dazu, dass man Rod Stewart als in den 90er Jahren junger Mensch in Gestalt des Showacts bei „Wetten, dass..?“ kennenlernte – ohne glauben zu können, dass der Onkel mit dem glücklichen Gesicht, das dem erwähnten Treiben im Hotel und den vielen Dollarmillionen eines steuerflüchtigen Jetsetters auf dem Bankkonto geschuldet war, einst als ernsthafter Musiker galt.

Mit anfangs noch nicht ganz so reibeisiger Reibeisenstimme in mehreren Projekten aktiv, nahm sein Engagement für die Jeff Beck Group ab 1967 und, gleichfalls gemeinsam mit Busenfreund Ron Wood, dem heutigen Nesthäkchen der Rolling Stones, zwei Jahre später an der Front bei den Faces den Durchbruch vorweg. Dieser erfolgte 1971 mit „Every Picture Tells A Story“, dem dritten von vier hervorragend beleumundeten ersten Soloalben, auf denen Stewart ebenso als Songwriter vorstellig wurde, wie er Vorbilder von Bob Dylan über die Rolling Stones bis hin zu Bobby Womack als britischster US-Musiker soulful mit Bluesbezug interpretierte. Dass er danach begann, seine künstlerischen Ambitionen zugunsten einer Mainstreamkarriere ad acta zu legen, verärgerte nicht nur renommierte US-Kritiker. Es sorgte auch für nun erheblich glattpolierte Coverversionen, die zumindest ein Gutes hatten: Ihren Urhebern – wie etwa dem großen Tom Waits – waren Tantiemen beschert, die ihre eigene Arbeit nicht hätte abwerfen können.

Lumpi mit Knödel

Ab Ende der 70er Jahre adaptierte Rod Stewart als neureicher Hedonist vor allem das von Franz Antel erfundene Lumpi-Motto „Beim Jodeln juckt die Lederhose“ mit sleazy Songs aus Alben mit heute chancenlosen Titeln wie „Blondes Have More Fun“ für die Showbühnen der Welt. Die Synthies zirpten. Der Bass pumpte. Die Stromrockgitarre setzte einen bleiernen Schnitt durch den käsigen Klang. Mit „Da Ya Think I’m Sexy?“ gelang ein Welthit im Discosound, der bei keinem späteren Best-of-Konzert fehlen durfte. Mit dem schneidigen „Baby Jane“, seiner Version von „Rhythm Of My Heart“ oder der Einer-für-alle-Alle-für-den-Knödel-Kollaboration „All For Love“ mit Bryan Adams und Sting ging der Nachschub bis 1996 nicht aus.

Erst nach einer überwundenen Erkrankung an Schilddrüsenkrebs im Jahr 2000 läutete Rod Stewart das Alterswerk ein, das sich auf kommerziell erfolgreiche Interpretationen des Great American Songbook konzentrierte. Auch auf dieser Basis lässt sich der Lebemann geben. Nur nicht mehr ganz so wild und neben der Spur „sexy“. Es soll kein Schaden sein.

(Wiener Zeitung, 10./11.1.2015)

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