„Vulnicura“:
Pop-Enigmatikerin Björk und ihr vorzeitig geleaktes Break-up-Album
Erst
kurz vor Weihnachten hat es Madonna erwischt. Im Internet geleakte Demosongs
ihres für März in Aussicht gestellten Albums „Rebel Heart“ forcierten nicht nur
die „freiwillige“ Vorabveröffentlichung von sechs Endversionen auf iTunes. Sie
ließen die Sängerin angesichts der – womöglich auch für die Hörerschaft –
schlimmen Ereignisse sogar von „terrorism“ und „artist rape“ sprechen. Als dieser
Tage gleich das ganze neue Studioalbum von Björk zwei Monate vor dem
anvisierten Erscheinungstermin illegal im Netz landete (und zwecks Schadensminimierung
gleichfalls wenig später offiziell online ging), reagierte die Betroffene allerdings
mit demonstrativer Dankbarkeit: „I am so grateful you are still interested in
my work!!“
In
Zeiten ausgeklügelter PR-Kampagnen und gerade bei Björk als per Konzeptkunst
überkandidelnde Inszenatorin ihrer selbst mag diese Haltung grundsätzlich überraschen.
Auch wenn ein Leak die für das Endprodukt so wichtige Öffentlichkeit garantiert:
eine Lawine an Arbeitsschritten war letztlich umsonst – was angesichts eines
weiteren monothematischen Meisterwerks und seiner nötigen Vertiefung über
Sekundärmaterial doch schmerzen sollte. Mit „Vulnicura“, das die Wunde ebenso
impliziert wie die dunklen Kurschatten über der Heilung, legt Björk schließlich
nichts weniger vor als ein Break-up-Album und solchermaßen das bisher
persönlichste Werk oder, mit Bob Dylan gesprochen, das „Blood On The Tracks“
ihres Œuvres. Befördert von einer veritablen Lebenskrise knapp vor dem 50.
Geburtstag, verhandeln die neun zu einer Spielstunde gebündelten Songs immerhin
die Trennung Björks von US-Medienkünstler Matthew Barney, ihrem langjährigen
Lebensgefährten und dem Vater einer gemeinsamen Tochter.
Nach
zunehmend kopflastigen Arbeiten, die mit „Biophilia“ im Jahr 2011 als
Impulsreferat in Sachen Musik, Natur und Technik im Allgemeinen sowie Evolution,
DNA, Schwerkraft und Virologie im Speziellen gipfelten, bringt Björk dabei auch
das Herz wieder ins Spiel zurück. Zumindest der Auftakt mit den im
Streicherteppich versinkenden Stücken „Stonemilker“ und „Lionsong“ fällt nicht
nur erstaunlich direkt, sondern emotional-nachdrücklich wie lange nicht aus. Intim
im Flehmodus vorgetragen, ist an dieser Stelle noch Hoffnung gegeben. Über die
von flächigen Hallatmosphären der Kontemplation „History Of Touches“ als Prätrennungsnotiz
geht es mit der Elegie „Black Lake“ im Anschluss aber bereits tief in den
Schmerz hinein. Angst, Verzweiflung, Seelenpein, die Erkenntnis, dass Liebe
wirklich kälter sein muss als der Tod – sowie ein Gegenschlag zur Befreiung:
Man muss sich diese zehnminütige Reinigung als öffentlich exekutierten Frontalangriff
auf die Quelle des Übels – Matthew Barney – vorstellen: „Family was always our
sacred mutual mission. Which you abandoned. You have nothing to give. Your
heart is hollow. I am drowned in sorrows.“
Spätestens
ab dieser Stelle wird „Vulnicura“ nicht nur sperriger, unfassbarer und über
Zwischenspiele mit strammen elektronischen Bassdrums und angeschliffener
Werkbankelektronik auch härter. Auch die Miteinbeziehung des für Durchforstungen
der Themen Tod, Tod und Tod auf kathartischer Drone-Basis bekannten Produzenten
Bobby Krlic alias The Haxan Cloak und vor allem des venezolanischen Wunderkinds
Arca macht sich nun deutlich bemerkbar. Wie vor allem Arca mit blubbernden Stolperbeats
das Erbe des im Vorjahr viel zu jung verstorbenen Björk-Partners Mark Bell
transzendiert, klingt so gut, wie es bewegend ist.
Postsakrale
Hallchöre tauchen auf. Der Häcksler schneidet windschiefe Loops aus den geraden
Strukturen. Zur Unterbrechung angenehm in Zeitlupe schlurfender Soundscapes mit
drastischen Streichern singt Björk ungefähr so: Wein, grein, buhu – aargh!
(Wiener Zeitung, 24./25.1.2015)
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