Freitag, Januar 23, 2015

Abgesang mit offenem Herzen

„Vulnicura“: Pop-Enigmatikerin Björk und ihr vorzeitig geleaktes Break-up-Album

Erst kurz vor Weihnachten hat es Madonna erwischt. Im Internet geleakte Demosongs ihres für März in Aussicht gestellten Albums „Rebel Heart“ forcierten nicht nur die „freiwillige“ Vorabveröffentlichung von sechs Endversionen auf iTunes. Sie ließen die Sängerin angesichts der – womöglich auch für die Hörerschaft – schlimmen Ereignisse sogar von „terrorism“ und „artist rape“ sprechen. Als dieser Tage gleich das ganze neue Studioalbum von Björk zwei Monate vor dem anvisierten Erscheinungstermin illegal im Netz landete (und zwecks Schadensminimierung gleichfalls wenig später offiziell online ging), reagierte die Betroffene allerdings mit demonstrativer Dankbarkeit: „I am so grateful you are still interested in my work!!“

In Zeiten ausgeklügelter PR-Kampagnen und gerade bei Björk als per Konzeptkunst überkandidelnde Inszenatorin ihrer selbst mag diese Haltung grundsätzlich überraschen. Auch wenn ein Leak die für das Endprodukt so wichtige Öffentlichkeit garantiert: eine Lawine an Arbeitsschritten war letztlich umsonst – was angesichts eines weiteren monothematischen Meisterwerks und seiner nötigen Vertiefung über Sekundärmaterial doch schmerzen sollte. Mit „Vulnicura“, das die Wunde ebenso impliziert wie die dunklen Kurschatten über der Heilung, legt Björk schließlich nichts weniger vor als ein Break-up-Album und solchermaßen das bisher persönlichste Werk oder, mit Bob Dylan gesprochen, das „Blood On The Tracks“ ihres Œu­vres. Befördert von einer veritablen Lebenskrise knapp vor dem 50. Geburtstag, verhandeln die neun zu einer Spielstunde gebündelten Songs immerhin die Trennung Björks von US-Medienkünstler Matthew Barney, ihrem langjährigen Lebensgefährten und dem Vater einer gemeinsamen Tochter.

Nach zunehmend kopflastigen Arbeiten, die mit „Biophilia“ im Jahr 2011 als Impulsreferat in Sachen Musik, Natur und Technik im Allgemeinen sowie Evolution, DNA, Schwerkraft und Virologie im Speziellen gipfelten, bringt Björk dabei auch das Herz wieder ins Spiel zurück. Zumindest der Auftakt mit den im Streicherteppich versinkenden Stücken „Stonemilker“ und „Lionsong“ fällt nicht nur erstaunlich direkt, sondern emotional-nachdrücklich wie lange nicht aus. Intim im Flehmodus vorgetragen, ist an dieser Stelle noch Hoffnung gegeben. Über die von flächigen Hallatmosphären der Kontemplation „History Of Touches“ als Prätrennungsnotiz geht es mit der Elegie „Black Lake“ im Anschluss aber bereits tief in den Schmerz hinein. Angst, Verzweiflung, Seelenpein, die Erkenntnis, dass Liebe wirklich kälter sein muss als der Tod – sowie ein Gegenschlag zur Befreiung: Man muss sich diese zehnminütige Reinigung als öffentlich exekutierten Frontalangriff auf die Quelle des Übels – Matthew Barney – vorstellen: „Family was always our sacred mutual mission. Which you abandoned. You have nothing to give. Your heart is hollow. I am drowned in sorrows.“

Spätestens ab dieser Stelle wird „Vulnicura“ nicht nur sperriger, unfassbarer und über Zwischenspiele mit strammen elektronischen Bassdrums und angeschliffener Werkbankelektronik auch härter. Auch die Miteinbeziehung des für Durchforstungen der Themen Tod, Tod und Tod auf kathartischer Drone-Basis bekannten Produzenten Bobby Krlic alias The Haxan Cloak und vor allem des venezolanischen Wunderkinds Arca macht sich nun deutlich bemerkbar. Wie vor allem Arca mit blubbernden Stolperbeats das Erbe des im Vorjahr viel zu jung verstorbenen Björk-Partners Mark Bell transzendiert, klingt so gut, wie es bewegend ist.

Postsakrale Hallchöre tauchen auf. Der Häcksler schneidet windschiefe Loops aus den geraden Strukturen. Zur Unterbrechung angenehm in Zeitlupe schlurfender Soundscapes mit drastischen Streichern singt Björk ungefähr so: Wein, grein, buhu – aargh!

Nicht zuletzt im Duett mit der Götterstimme Antony Hegartys keimt bei „Atom Dance“ gegen Ende dieser emotionalen Tour de force für alle Beteiligten aber auch wieder Hoffnung auf. Leiden tut weh. Kunst kann heilen. Ein mächtiges Trennungsepos.

(Wiener Zeitung, 24./25.1.2015) 

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