Mittwoch, Januar 28, 2015

Das Schwert der Liebe

Eine neue Werkschau widmet sich dem Schaffen des französischen Disco-Pioniers Cerrone

Die Coversujets von seinerzeit wären in dieser Form heute undenkbar. Dank buserter, ihrer Kleidung entledigter Frauen und einer erhöhten Orgien-Ästhetik stand die Zensur zumindest in den USA zwar auch in den 70er Jahren Gewehr bei Fuß: Denkt denn niemand mehr an die Kinder?!? Im Gegensatz zur Betrachtung aus der Jetztzeit, die den Fotos auf Anhieb blanken Sexismus unterstellt, war damals aber nur die gefährdete Sittlichkeit ausschlaggebend für die Empörung.

Sittlichkeit, Scham und Zurückhaltung, die Gegenthesen zu Disco als Enthemmungsmusik einer hedonistisch zugebrachten Gegenwart mit Aussicht auf eine (noch) rosige Zukunft, mussten gemeinsam mit dem Nachkriegsmief so endgültig wie deshalb nachdrücklich verabschiedet werden. Durchwachte Nächte, ermöglicht auch durch Importware aus Kolumbien, dazu die Antibabypille und King-Size-Betten, auf denen man zu zweit nur verloren wäre – die Klischees einer Zeit, die sich nicht nur dank der Arbeit früher Discomeister und ihres ästhetisch gut abgesteckten Werks bis heute halten.

Love, Love, Love

Zunächst im schönen Südtirol und bald von nördlich über dem Weißwurstäquator aus erfand Giorgio Moroder mit seinen Philly-Sound-Erweiterungen über die Beigabe von Synthesizern, einer vier Viertel schlagenden Bassdrum und Donna Summer als Gastsängerin die auf Futurismus gepolte „Munic Disco“. In den USA übersetzte Barry White die Liebe auf konventionellerer Songbasis in Musik. Als französischster Pionier wiederum arbeitete der 1952 geborene Schlagzeuger und Produzent Marc Cerrone alias Cerrone an der Schnittstelle von Tradition und Moderne.

Wie nun auch die Werkschau „The Best Of Cerrone Productions“ (Warner) belegt, verband Cerrone mit Giorgio Moroder neben einem Schnauzbart vor allem der frühe Synthie-Gebrauch. Dieser korrespondierte bei „Supernature“ als Trademark-Track zwischen kalt-sphärischen Klangflächen und zartem elektronischem Zirpen prächtig mit der dabei erzählten Sci-Fi-Dystopie. Allerdings erklären wenig einfallsreich betitelte Songs wie „Love Is Here“, „Love Is The Answer“, „Fire Of Love“ und „Light Of Love“ oder das die Coversujets übersetzende „Rocket In The Pocket“, dass das Hauptanliegen ein anderes war: In seiner Stellung als Missionar ging es Cerrone stets um die Liebe – und ihre Verbreitung des nächtens mit dem Schwert.

Vom Meister auf der Bühne nobel im Hintergrund gespielte Drums mit experimentelleren Ausflügen ins Schlagzeugsolo-Wunderland, markante Bassläufe, der leichten Muse verschriebene Big-Band-Bläser und Streicherarrangements, soulige Backgroundgesänge sowie wolllustige Stoßseufzer als frivoles akustisches Beiwerk: Das klingt so einfach, wie es effizient war. Die Bevorzugung kürzerer Edits der Songs zugunsten einer gutbestückten Doppel-CD, die neben Fremdproduktionen Cerrones etwa auch ein „Supernature“-Cover von Beth Ditto & The Shoes bietet, mag für Fans ein Ärgernis sein. Einsteigern ist mit diesem Zeit-Dokument aber ein Aperitif gereicht, der Lust auf mehr machen könnte.

(Wiener Zeitung, 29.1.2015)

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