Eine neue Werkschau widmet sich dem Schaffen des
französischen Disco-Pioniers Cerrone
Die Coversujets von seinerzeit wären in dieser Form
heute undenkbar. Dank buserter, ihrer Kleidung entledigter Frauen und einer
erhöhten Orgien-Ästhetik stand die Zensur zumindest in den USA zwar auch in den
70er Jahren Gewehr bei Fuß: Denkt denn niemand mehr an die Kinder?!? Im
Gegensatz zur Betrachtung aus der Jetztzeit, die den Fotos auf Anhieb blanken
Sexismus unterstellt, war damals aber nur die gefährdete Sittlichkeit
ausschlaggebend für die Empörung.
Sittlichkeit, Scham und Zurückhaltung, die Gegenthesen
zu Disco als Enthemmungsmusik einer hedonistisch zugebrachten Gegenwart mit
Aussicht auf eine (noch) rosige Zukunft, mussten gemeinsam mit dem
Nachkriegsmief so endgültig wie deshalb nachdrücklich verabschiedet werden.
Durchwachte Nächte, ermöglicht auch durch Importware aus Kolumbien, dazu die
Antibabypille und King-Size-Betten, auf denen man zu zweit nur verloren wäre –
die Klischees einer Zeit, die sich nicht nur dank der Arbeit früher
Discomeister und ihres ästhetisch gut abgesteckten Werks bis heute halten.
Love, Love, Love
Love, Love, Love
Zunächst im schönen Südtirol und bald von nördlich
über dem Weißwurstäquator aus erfand Giorgio Moroder mit seinen
Philly-Sound-Erweiterungen über die Beigabe von Synthesizern, einer vier
Viertel schlagenden Bassdrum und Donna Summer als Gastsängerin die auf
Futurismus gepolte „Munic Disco“. In den USA übersetzte Barry White die Liebe
auf konventionellerer Songbasis in Musik. Als französischster Pionier wiederum
arbeitete der 1952 geborene Schlagzeuger und Produzent Marc Cerrone alias Cerrone
an der Schnittstelle von Tradition und Moderne.
Wie nun auch die Werkschau „The Best Of Cerrone
Productions“ (Warner) belegt, verband Cerrone mit Giorgio Moroder neben einem
Schnauzbart vor allem der frühe Synthie-Gebrauch. Dieser korrespondierte bei
„Supernature“ als Trademark-Track zwischen kalt-sphärischen Klangflächen und
zartem elektronischem Zirpen prächtig mit der dabei erzählten Sci-Fi-Dystopie.
Allerdings erklären wenig einfallsreich betitelte Songs wie „Love Is Here“,
„Love Is The Answer“, „Fire Of Love“ und „Light Of Love“ oder das die
Coversujets übersetzende „Rocket In The Pocket“, dass das Hauptanliegen ein
anderes war: In seiner Stellung als Missionar ging es Cerrone stets um die
Liebe – und ihre Verbreitung des nächtens mit dem Schwert.
Vom Meister auf der Bühne nobel im Hintergrund
gespielte Drums mit experimentelleren Ausflügen ins Schlagzeugsolo-Wunderland,
markante Bassläufe, der leichten Muse verschriebene Big-Band-Bläser und
Streicherarrangements, soulige Backgroundgesänge sowie wolllustige Stoßseufzer
als frivoles akustisches Beiwerk: Das klingt so einfach, wie es effizient war.
Die Bevorzugung kürzerer Edits der Songs zugunsten einer gutbestückten
Doppel-CD, die neben Fremdproduktionen Cerrones etwa auch ein „Supernature“-Cover
von Beth Ditto & The Shoes bietet, mag für Fans ein Ärgernis sein.
Einsteigern ist mit diesem Zeit-Dokument aber ein Aperitif gereicht, der Lust
auf mehr machen könnte.
(Wiener Zeitung, 29.1.2015)
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