Alte Meister: Bob
Dylan wagt sich auf seinem 36. Studioalbum an Frank Sinatra heran
Diese Verbindung war keineswegs offensichtlich. Jetzt
einmal abgesehen von einer grundsätzlichen Rastlosigkeit und dem sowohl als
sogenannter Recording Artist oder auf der großen Fahrt einer Never-ending-Tour
vermittelten Arbeitseifer als kleinstem gemeinsamen Nenner wird man Frank
Sinatra doch vor allem als Crooner erinnern. Und Bob Dylan als Crooner, du
liebe Güte, experience says no! Wer dem Meister irgendwann während der letzten
zehn Jahre zur Audienz ins Konzert kam, kann allfällige Vergleiche mit Krusty
dem Clown, der nach einer durchzechten Nacht gerade das Showprogramm einer
Firmenfeier in der Südsteiermark absolviert, nicht abwegig finden. Wobei der
bevorzugt angebellt durch die Mehrzweckhalle schallende (und auf seine Art
natürlich wunderbare Eh-wurst-Vortrag bei gegen null tendierender
Textverständlichkeit) gut zur Altersrolle des Meisters als Kauz passen sollte –
und soll.
Ehrfurcht und
Respekt
Hörte man sich nach Ankündigung seines mittlerweile 36.
Studioalbums als Hommage an Frank Sinatra durch die von diesem interpretierten
Songs, stellte sich also alsbald die Frage, wie Bob Dylan es anlegen würde.
Formal fällt an den zehn sich mit einer Spielzeit von 35 Minuten begnügenden
Stücken von „Shadows In The Night“ (Columbia/Sony) zunächst einmal auf, dass
auf die Hits und Klassiker Frankie Boys verzichtet wird und nur die
getragensten Beiträge aus dem Balladenfach zum Einsatz kommen. Und auch die
Beschränkung auf Songs, denen sich der dienstjüngere Sinatra in den 40er- und
50er-Jahren widmete, gilt es zu bemerken. Wie auch das: Angst und Schrecken
gehen um, wenn man sich an die letztmalige Betätigung des Meisters als
Interpret mit dem Weihnachtsalbum „Christmas In The Heart“ von 2009 erinnert.
Denkt man wiederum an Bob Dylan als Dekonstruktivisten seiner
selbst, der Dylanologen über radikale Neufassungen live mit dem großen
Konzert-Feiertagsrätsel „Was spielt es jetzt?“ beschäftigt, wird Dylans an
Ehrfrucht gemahnender Respekt vor Sinatra auch insofern deutlich, als an der
Melodieführung als wesentlichstem Erkennungsmerkmal dieser Songs nichts
gedeutelt wird.
Unter Aussparung sämtlicher nach dem guten alten
Hollywood klingender Schwarz-Weiß-Streicher- und (fast aller)
Bläserarrangements regieren auf Basis einer teils unterbeschäftigten
Fünfmannbesetzung der Mut zur Lücke, die Merkel’sche Spardoktrin und ein alter
Werbeslogan: Der Speck muss weg! Zart wird zur gespensternd-flüchtigen und
bezüglich der Übersetzung des Kerncharakters Schwerarbeit leistenden
Pedal-Steelgitarre über die Sechssaiter gestrichen oder gelegentlich daran
gedacht, dass sich hinten im Eck auch ein Schlagzeug und zwei Beserl befinden –
sowie ein Musiker, der davor schnarcht und rüsselt. Der Kontrabass und nur
selten eingestreute (und auch dann nobel im Hintergrund verbleibende) Bläser
sorgen für Echos aus der Vergangenheit.
Ende des Gebells
Zu alledem verzichtet Bob Dylan bei diesen live
eingespielten Songs auf das Gebell und zaubert – Überraschung! – ebenso bemüht
wie beinahe astrein blaue Noten aus dem Schlund. Ein aus der Zeit gefallener,
nach alten Radiogeräten mit Holzvertäfelung und UKW-Drehknopf klingender, an
die Blumentapete der Uroma im Seniorenheim erinnernder Charakter macht sich
breit. Dieser mag so gemächlich daherkommen, wie er sich im Laufe dieser
konzentrierten Arbeit als durchwegs poetisch erweist.
Das von Bob Dylan zurückhaltend, doch innig im
Verzehrmodus gegebene „I’m A Fool To Love You“ eröffnet zu matten Noir-Tönen
aus der Dunkelkammer des Herzens als Steilvorlage. Lichter hingegen zeichnet
die Kontemplation „The Night We Called It A Day“ vergilbte Bilder einer
Hängematte an der Riviera vor das geistige Auge. Damit ist auch der dem Album
eigene Grundton aus leiser Sehnsucht und stiller Verzweiflung auskomponiert.
Hotelbar im Himmel
„Autumn Leaves“ fallen durch den Regen zu Boden. Im
Schatten des Mondlichts sehnt sich Bob Dylan nach offenen Armen. Das
Schelmenstück „Why Try To Change Me Now“ wiederum klingt, wie man sich die
Hotelbarbeschallung im Himmel vorstellen würde. Und mit seinem Zugang zu „That Lucky
Old Sun“ als um Erlösung ringendes Finale ringt Dylan dem Song eine gänzlich
andere Note ab als etwa Johnny Cash im Rahmen seiner „American Recordings“.
Die Beschäftigungstherapie für Dylan-Freunde ist am Ende
zwar auch mit diesem Album garantiert – nicht nur, weil eine
selbstreferenzielle Lesart von Stücken wie „Stay With Me“ die Kernsujets des
Meisters persönlich widerspiegelt: Es ist noch nicht dunkel, aber die Richtung
stimmt. Über langen Straßen erweist sich das Wetter als Windhund. Zuflucht vom
Sturm wird im Glauben gesucht und in der Liebe gefunden. Nötig ist diese
Metaebene aber nicht. Auch für sich genommen ist „Shadows In The Night“ ein
erstaunliches wie erstaunlich ergreifendes Album geworden.
(Wiener Zeitung, 31.1./1.2.2015)
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