Freitag, Januar 30, 2015

Er wird sinatrisch

Alte Meister: Bob Dylan wagt sich auf seinem 36. Studioalbum an Frank Sinatra heran

Diese Verbindung war keineswegs offensichtlich. Jetzt einmal abgesehen von einer grundsätzlichen Rastlosigkeit und dem sowohl als sogenannter Recording Artist oder auf der großen Fahrt einer Never-ending-Tour vermittelten Arbeitseifer als kleinstem gemeinsamen Nenner wird man Frank Sinatra doch vor allem als Crooner erinnern. Und Bob Dylan als Crooner, du liebe Güte, experience says no! Wer dem Meister irgendwann während der letzten zehn Jahre zur Audienz ins Konzert kam, kann allfällige Vergleiche mit Krusty dem Clown, der nach einer durchzechten Nacht gerade das Showprogramm einer Firmenfeier in der Südsteiermark absolviert, nicht abwegig finden. Wobei der bevorzugt angebellt durch die Mehrzweckhalle schallende (und auf seine Art natürlich wunderbare Eh-wurst-Vortrag bei gegen null tendierender Textverständlichkeit) gut zur Altersrolle des Meisters als Kauz passen sollte – und soll.

Ehrfurcht und Respekt

Hörte man sich nach Ankündigung seines mittlerweile 36. Studioalbums als Hommage an Frank Sinatra durch die von diesem interpretierten Songs, stellte sich also alsbald die Frage, wie Bob Dylan es anlegen würde. Formal fällt an den zehn sich mit einer Spielzeit von 35 Minuten begnügenden Stücken von „Shadows In The Night“ (Columbia/Sony) zunächst einmal auf, dass auf die Hits und Klassiker Frankie Boys verzichtet wird und nur die getragensten Beiträge aus dem Balladenfach zum Einsatz kommen. Und auch die Beschränkung auf Songs, denen sich der dienstjüngere Sinatra in den 40er- und 50er-Jahren widmete, gilt es zu bemerken. Wie auch das: Angst und Schrecken gehen um, wenn man sich an die letztmalige Betätigung des Meisters als Interpret mit dem Weihnachtsalbum „Christmas In The Heart“ von 2009 erinnert.

Denkt man wiederum an Bob Dylan als Dekonstruktivisten seiner selbst, der Dylanologen über radikale Neufassungen live mit dem großen Konzert-Feiertagsrätsel „Was spielt es jetzt?“ beschäftigt, wird Dylans an Ehrfrucht gemahnender Respekt vor Sinatra auch insofern deutlich, als an der Melodieführung als wesentlichstem Erkennungsmerkmal dieser Songs nichts gedeutelt wird.
Unter Aussparung sämtlicher nach dem guten alten Hollywood klingender Schwarz-Weiß-Streicher- und (fast aller) Bläserarrangements regieren auf Basis einer teils unterbeschäftigten Fünfmannbesetzung der Mut zur Lücke, die Merkel’sche Spardoktrin und ein alter Werbeslogan: Der Speck muss weg! Zart wird zur gespensternd-flüchtigen und bezüglich der Übersetzung des Kerncharakters Schwerarbeit leistenden Pedal-Steelgitarre über die Sechssaiter gestrichen oder gelegentlich daran gedacht, dass sich hinten im Eck auch ein Schlagzeug und zwei Beserl befinden – sowie ein Musiker, der davor schnarcht und rüsselt. Der Kontrabass und nur selten eingestreute (und auch dann nobel im Hintergrund verbleibende) Bläser sorgen für Echos aus der Vergangenheit.

Ende des Gebells

Zu alledem verzichtet Bob Dylan bei diesen live eingespielten Songs auf das Gebell und zaubert – Überraschung! – ebenso bemüht wie beinahe astrein blaue Noten aus dem Schlund. Ein aus der Zeit gefallener, nach alten Radiogeräten mit Holzvertäfelung und UKW-Drehknopf klingender, an die Blumentapete der Uroma im Seniorenheim erinnernder Charakter macht sich breit. Dieser mag so gemächlich daherkommen, wie er sich im Laufe dieser konzentrierten Arbeit als durchwegs poetisch erweist.

Das von Bob Dylan zurückhaltend, doch innig im Verzehrmodus gegebene „I’m A Fool To Love You“ eröffnet zu matten Noir-Tönen aus der Dunkelkammer des Herzens als Steilvorlage. Lichter hingegen zeichnet die Kontemplation „The Night We Called It A Day“ vergilbte Bilder einer Hängematte an der Riviera vor das geistige Auge. Damit ist auch der dem Album eigene Grundton aus leiser Sehnsucht und stiller Verzweiflung auskomponiert.

Hotelbar im Himmel

„Autumn Leaves“ fallen durch den Regen zu Boden. Im Schatten des Mondlichts sehnt sich Bob Dylan nach offenen Armen. Das Schelmenstück „Why Try To Change Me Now“ wiederum klingt, wie man sich die Hotelbarbeschallung im Himmel vorstellen würde. Und mit seinem Zugang zu „That Lucky Old Sun“ als um Erlösung ringendes Finale ringt Dylan dem Song eine gänzlich andere Note ab als etwa Johnny Cash im Rahmen seiner „American Recordings“.
Die Beschäftigungstherapie für Dylan-Freunde ist am Ende zwar auch mit diesem Album garantiert – nicht nur, weil eine selbstreferenzielle Lesart von Stücken wie „Stay With Me“ die Kernsujets des Meisters persönlich widerspiegelt: Es ist noch nicht dunkel, aber die Richtung stimmt. Über langen Straßen erweist sich das Wetter als Windhund. Zuflucht vom Sturm wird im Glauben gesucht und in der Liebe gefunden. Nötig ist diese Metaebene aber nicht. Auch für sich genommen ist „Shadows In The Night“ ein erstaunliches wie erstaunlich ergreifendes Album geworden.     
                             
(Wiener Zeitung, 31.1./1.2.2015)

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