Samstag, Januar 31, 2015

Die Drei von der Tanke

Deichkind präsentieren sich auf ihrem neuen Album mitunter von der Jetztzeit ermüdet. Letztlich geht es aber auch heute noch darum, krass Party zu machen.

Das Leben als ewiger Ballermann mag seine Vorteile haben. Zwischen Druckbetankung, Spliff, lustigen Faschingshüten und einer Polonäse durchs Stiegenhaus, aber auch dem darauffolgenden Tag, der außer einem Katerfrühstück an der Pommesbude nichts zulässt als eine Runde Egoshooten im Bett, kann die Existenz der Außenwelt aufs einfachste vergessen werden. Syrien, Nullkonjunktur, Griechenland? Egal. Wie, was, es ist kein Bier mehr im Kühlschrank? Ka! Tas! Tro! Phe!

Vor exakt diesem um Ausflüge an die Tanke und keine Ambition als größte Ambition erweiterten Setting der Wohlstandsverwahrlosung inszenieren Deichkind ihre Kunst. Nicht nur diesbezüglich aussagekräftige Hits wie „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“, „Arbeit nervt“ oder das längst in den kollektiven Sprachgebrauch eingegangene „Leider geil“ als Bekenntnis zum Schlechten, Bösen, Verbotenen und vor allem verboten Guten, das man sich halt trotzdem genehmigen muss, mögen bisweilen zwar auch auf „ernstere“ Themen aus dem echten Leben oder der Arbeitswelt treffen („Bück dich hoch“). Dazwischen aber sind Deichkind einfach nur blöd – was man behaupten darf, weil es die Band selbst eingesteht. In Müllsäcke gekleidet und von leuchtenden LED-Tetraedern über dem Kopf in Sachen Kampfmontur komplettiert, erweist sich das volle Ausmaß des Unsinns nicht zuletzt im Konzert. Zu Songs wie „Roll das Fass rein“ oder der Deichkind’schen Umdeutung der „Internationalen“ als „Hört ihr die Signale“ („Ein Hoch auf die internationale Getränkequalität! Ein Hoch auf die Säufersolidarität!“) geht es schließlich darum, sich die Publikumsgunst per Freibier zu sichern. Dieses wird in bester Palma-de-Mallorca- und RTL-II-Dokusoap-Manier mit einem Schlauch direkt in die offenen Münder gegossen. Ein bisschen Spaß muss sein.

Dass Kryptik Joe, Ferris Hilton und Porky, die Frontdienstleister von Deichkind, mittlerweile im vierten Jahrzehnt ihres Lebens angekommen sind, ist folgerichtig an der bereits etwas abgerockten Erscheinung und einem zumindest im Fall von Kryptik Joe als Tatsache gegebenen grauen Bart ersichtlich. Nach der späten Ankunft in der kommerziellen Oberliga im Jahr 2008 darf davon im Werk aber nichts bemerkbar werden – es würde das zwischen Maturareise und Kinderfasching für Spätpubertierende bis herauf in die Midlifecrisis angelegte Fundament des Erfolgs bloß gefährden. Auch deshalb trägt das nun erscheinende sechste Album von Deichkind den ohne Interpunktion auskommenden Titel „Niveau Weshalb Warum“. Und auch wenn mit dem im Sound an die Anfangstage der Band im Hip-Hop zurückkehrenden „Hauptsache nichts mit Menschen“ für tendenziell einer Depression geschuldete Weltabkehr gesorgt ist und sich „Like Mich Am Arsch“ gegen den Trend zum Trend vom Social-Media-Universum verabschiedet, wird es außer um Party letztlich erst recht wieder um Party gehen. Fett sei diese, krass und derbe!

Mit stramm gesetzten Beats, gepimpter Blitzhüttenelektronik, Anflügen kommerziell-käsiger House-Formalismen für die Strandbar auf Ibiza und der einen oder anderen lieblichen Synthie-Pop-Melodie hört man eine Band, der die Meinung der anderen ziemlich egal sein dürfte. Und tatsächlich hat man mit der Vorabsingle „So ʼne Musik“ in ihrer zum Kopfnicken beatzentrierten und dabei verspielt-minimalistischen Produktion zumindest ein rundum überzeugendes Gesamtangebot mit dabei, das die hier beschworene Kraft ganz konkret spürbar macht.

Trotz nicht schlecht anzuhörender Sounderweiterungen (etwa im Elektropop von „Die Welt ist fertig“) ist das System Deichkind im Anschluss aber wieder einmal konsequenter, als die Musik gut sein könnte – während es inhaltlich darum geht, ein Loblied auf Bandmitglied Ferris anzustimmen („Was habt ihr?“), die Werbeindustrie unter den Watschenbaum zu stellen („Powered By Emotion“) oder die Geschichte vom „Naschfuchs“ als auf Fett und Zucker konzentriertes Drogendrama zu erzählen.

Das Ende kennt man von Dieter Hallervorden: Es ist (mit „Oma gib Handtasche“) nicht weniger, aber auch nicht mehr als ein gespielter Witz. 

Deichkind: Niveau Weshalb Warum (Sultan Günther Music/Universal)

(Wiener Zeitung, 31.1./1.2.2015)

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