Freitag, Februar 06, 2015

Vabrecha, ollas, überoi!

Am Donnerstag findet im Rabenhof Theater der jährliche Protestsongcontest statt

Wir schreiben das Jahr 2015. Die Zeiten sind schlecht, für den Protest in seiner Hauptrolle als Unmutsäußerung gegen die Umstände, das System, den Finanzsektor als Sargnagel für den Kleinanleger, die Industrie als Totengräber der nachhaltigen Paradeiserzucht oder zumindest gegen irgendjemanden in Brüssel oder Berlin also eigentlich wunderbar.

Wenn das Kalifat wieder einmal für Nachrichten sorgt, die wie Bomben einschlagen, in Griechenland die Wirtschaft abgeschafft wird oder es dem Nordpol die Kappe versengt, ist das für sich genommen auch wirklich schlimm. Grundsätzlich wird im Garten Österreich deshalb aber nicht gleich der ganze Verkehr mit Massenspaziergängen lahmgelegt, wie man das vom letzten Italien-Urlaub her kennt, als in Roma Termini bereits Endstazione war. Herrschaftszeiten! Weil auch in Österreich weiß Gott nicht alles gut ist, keineswegs aber so oasch, wie man es sich im Alltag halt vorsagt, gilt zunächst einmal der kategorische Imperativ: Insel muaßʼ Insel bleibʼn!

Aggro-Avatare   

Erst wenn der Leitzins droht, endgültig unter null zu fallen, das Sparbüchl von der Oma restriktiver behandelt wird als ein auf „Kahageh“ lautendes Offshore-Konto auf den Bahamas – Vabrecha, ollas, überoi! – oder man den Dschihad unter einer Burka in Voitsberg vermutet, dann, ja dann haben wir ein Problem. Gewitterwolken ziehen über dem Garten auf. Man sorgt mit Gold für den Extremfall vor (stapelt gehamsterte Ottakringer-Paletten also im Keller auf), radikalisiert seine Vorurteile und bringt diese im Zweifelsfall lieber nicht auf die Straße, weil man ihnen auch im Internetz freien Lauf lassen kann. Die aktuelle Protest-Gretchenfrage in einer komplexen Welt der Stellvertreterkriege ohne direkten Feind –„Wohin mit dem Hass?“ – muss nicht länger gestellt werden. Ihre Antwort wird tagtäglich tausendfach von Aggro-Avataren in Diskussionsforen und asozialen Medien als Anschlag auf alles und jeden vorexerziert.   

Dass alles mit allem zusammenhängt und internationale Entwicklungen nicht länger aus Verständnis für unsere heilige Ruhe vor dem „Österreich“-Taferl kehrt machen wollen, hat aber auch seine Vorteile. Beispielsweise dürfte es dem Klimawandel vollkommen blunzn sein, ob die Toskana jetzt überhaupt in der Toskana liegt – oder nicht doch schon im oberen Mühlviertel. Man muss halt nur darauf schauen, dass der Anstieg in der Hautkrebsstatistik oder das Aus für den Schilift in Kirchschlag wirtschaftlich mit neuen regionalen Produkten wie etwa dem „Vinsanto di Rohrbach DOC“ kompensiert werden kann.

Vor diesem Hintergrund wird auch der Protestsongcontest als Glücksfall begrüßt. Immerhin ist dort ebenso mit ernster Miene und eiserner Faust wie auch auf Basis explizit spaßiger Trotzlieder für Widerstand gesorgt – wobei es am kommenden Donnerstag im Wiener Rabenhof Theater bereits zum 12. Mal um grundsätzlich alles geht, das der Volksmund eine „Schweinerei“ schimpfen darf. Stilistisch breit gefächert, qualitativ mit einiger Luft nach oben und durchwegs heiter-dilettantisch zwischen rauem Punkrockbrett, Liedermacher-Zupfgitarren mit Willi-Resetarits-Intonation, Brecht-Weill’schem Cabaret-Zwischenspiel, ein wenig Schulbandsound und schriftdeutschem Rap wird kampfbetont der Aufstand als solcher beschworen, ein Plädoyer für mehr Wachsamkeit gehalten und das Leben im Hamsterrad verhandelt. Beklemmung herrscht bei der Vertonung eines Gedichts des österreichischen Widerstandskämpfers Richard Zach, das dieser vor seiner Hinrichtung durch die Nazis im Jahr 1943 verfasste.

In die Mangel genommen wird neben der politischen Kaste von hier bis ins wilde Putinstan aber auch die eigene Generation und ihre Bequemlichkeit – in Sachen Protest. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht darf man sich die Veranstaltung im Rabenhof nun als Donnerstagsdemo vorstellen.

(Wiener Zeitung, 7./8.2.2015)    

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