Am Donnerstag
findet im Rabenhof Theater der jährliche Protestsongcontest statt
Wir
schreiben das Jahr 2015. Die Zeiten sind schlecht, für den Protest in seiner
Hauptrolle als Unmutsäußerung gegen die Umstände, das System, den Finanzsektor als
Sargnagel für den Kleinanleger, die Industrie als Totengräber der nachhaltigen
Paradeiserzucht oder zumindest gegen irgendjemanden in Brüssel oder Berlin also
eigentlich wunderbar.
Wenn
das Kalifat wieder einmal für Nachrichten sorgt, die wie Bomben einschlagen, in
Griechenland die Wirtschaft abgeschafft wird oder es dem Nordpol die Kappe
versengt, ist das für sich genommen auch wirklich schlimm. Grundsätzlich wird
im Garten Österreich deshalb aber nicht gleich der ganze Verkehr mit Massenspaziergängen
lahmgelegt, wie man das vom letzten Italien-Urlaub her kennt, als in Roma
Termini bereits Endstazione war. Herrschaftszeiten! Weil auch in Österreich weiß
Gott nicht alles gut ist, keineswegs aber so oasch, wie man es sich im Alltag
halt vorsagt, gilt zunächst einmal der kategorische Imperativ: Insel muaßʼ
Insel bleibʼn!
Aggro-Avatare
Erst
wenn der Leitzins droht, endgültig unter null zu fallen, das Sparbüchl von der
Oma restriktiver behandelt wird als ein auf „Kahageh“ lautendes Offshore-Konto auf
den Bahamas – Vabrecha, ollas, überoi! – oder man den Dschihad unter einer
Burka in Voitsberg vermutet, dann, ja dann haben wir ein Problem. Gewitterwolken
ziehen über dem Garten auf. Man sorgt mit Gold für den Extremfall vor (stapelt gehamsterte
Ottakringer-Paletten also im Keller auf), radikalisiert seine Vorurteile und bringt
diese im Zweifelsfall lieber nicht auf die Straße, weil man ihnen auch im
Internetz freien Lauf lassen kann. Die aktuelle Protest-Gretchenfrage in einer
komplexen Welt der Stellvertreterkriege ohne direkten Feind –„Wohin mit dem
Hass?“ – muss nicht länger gestellt werden. Ihre Antwort wird tagtäglich tausendfach
von Aggro-Avataren in Diskussionsforen und asozialen Medien als Anschlag auf
alles und jeden vorexerziert.
Dass
alles mit allem zusammenhängt und internationale Entwicklungen nicht länger aus
Verständnis für unsere heilige Ruhe vor dem „Österreich“-Taferl kehrt machen
wollen, hat aber auch seine Vorteile. Beispielsweise dürfte es dem Klimawandel vollkommen
blunzn sein, ob die Toskana jetzt überhaupt in der Toskana liegt – oder nicht
doch schon im oberen Mühlviertel. Man muss halt nur darauf schauen, dass der
Anstieg in der Hautkrebsstatistik oder das Aus für den Schilift in Kirchschlag wirtschaftlich
mit neuen regionalen Produkten wie etwa dem „Vinsanto di Rohrbach DOC“ kompensiert
werden kann.
Vor
diesem Hintergrund wird auch der Protestsongcontest als Glücksfall begrüßt.
Immerhin ist dort ebenso mit ernster Miene und eiserner Faust wie auch auf
Basis explizit spaßiger Trotzlieder für Widerstand gesorgt – wobei es am
kommenden Donnerstag im Wiener Rabenhof Theater bereits zum 12. Mal um
grundsätzlich alles geht, das der Volksmund eine „Schweinerei“ schimpfen darf. Stilistisch
breit gefächert, qualitativ mit einiger Luft nach oben und durchwegs
heiter-dilettantisch zwischen rauem Punkrockbrett, Liedermacher-Zupfgitarren
mit Willi-Resetarits-Intonation, Brecht-Weill’schem Cabaret-Zwischenspiel, ein
wenig Schulbandsound und schriftdeutschem Rap wird kampfbetont der Aufstand als
solcher beschworen, ein Plädoyer für mehr Wachsamkeit gehalten und das Leben im
Hamsterrad verhandelt. Beklemmung herrscht bei der Vertonung eines Gedichts des
österreichischen Widerstandskämpfers Richard Zach, das dieser vor seiner
Hinrichtung durch die Nazis im Jahr 1943 verfasste.
(Wiener Zeitung, 7./8.2.2015)
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