Freitag, Januar 16, 2015

Angst, Liebe, Euphorie

Drei Frauen – eine Wucht: Sleater-Kinney und ihr triumphales Comebackalbum

Die halbe Miete besteht grundsätzlich daraus, sehr genau zu wissen, was man will, und seinen Weg mit größter Überzeugung zu beschreiten. Wird aus dieser Arbeitseinstellung ein konkretes Produkt oder gar Kunst gemacht, ist es für die Kundschaft fast immer ein Freudenfest, am Ergebnis teilhaben zu dürfen. Davon ausgehend spricht alles dafür, dass es sich bei Sleater-Kinney um eine konsequente Band handeln muss – und das nicht nur, weil den Niederungen des Rock ’n’ Roll hier stets mit Haltung begegnet wurde. Immerhin stellte das Trio ab Mitte der 90er Jahre mit auf Kratzbürstigkeit gepolten Gitarren und skandiert-angriffigem Gesang bereits die ästhetischen Vorzeichen auf Konfrontation.

Nicht mit ihnen!

Von der Riot-Grrrl-Bewegung geprägt und als All-Female-Formation auch vom Line-up her mit den Konventionen der Bandbesetzung auf Kriegsfuß, wurden in den Texten zudem feministische Inhalte verhandelt. Auf sieben durchwegs sehr guten Alben zwischen dem selbstbetitelten Debüt von 1995 und dem psychedelischen Mantra „The Woods“ von 2005 durfte man aber auch einer Band begegnen, die schlicht menschliche Befindlichkeiten zwischen Melancholie und Verzweiflung fokussierte, um sie mit geballter Faust und der nötigen „Nicht mit uns!“-Haltung zu transzendieren. Gitarren, Schlagzeug, Gesang – „Words and Guitar“, und dabei stets mehr als die Summe der einzelnen Teile.

Nach anfänglichen Veröffentlichungen in Kleinstauflage, jeder Menge Kritikerlob und zarten Vorstößen in Richtung Charts widerstanden Sleater-Kinney auch den Lockangeboten der Musikindustrie. Auf Kosten einer finanziellen Absicherung für später und dafür sehr zugunsten eines guten Gewissens wurde der Independent-Szene auch vertraglich die Treue gehalten – bis 2005 vorläufig alles gesagt war und die Band sowohl im Guten als auch ohne Getöse von der Bühne verschwand. Soloprojekte wollten kultiviert, die Familien mit mehr Freizeit bedacht werden.

Anlässlich des nun erscheinenden Comebackalbums „No Cities To Love“ (Sub Pop/Trost), das mit dem alten Haus- und Hofproduzenten John Goodmanson abseits der Öffentlichkeit zwar heimlich, keineswegs aber auch still und leise aufgenommen wurde, mag ursprünglich Skepsis herrschen. 2015 ist nicht 1995, der Geist der Ära auf CD konserviert zwar noch vermittel-, aber in dieser Form nicht mehr wiederbelebbar. Will das Unternehmen gelingen? Und wie. Vom ersten bis zum letzten Ton hat man es mit einem besten Sleater-Kinney-Album zu tun.

Keine Altersmilde

Sämtlicher Lo-Fi-Elemente von einst überdrüssig und ebenso wuchtig-breit wie hochenergetisch im Vortrag, wird mit mächtig Schub gegen die Umstände angespielt. Diese mögen sich als großes schwarzes Nichts selten so explizit veräußern wie im Eröffnungssong „Price Tag“, einer Geschichte vom wirtschaftlichen Niedergang und dem Kapitalismus als munterem Gottseibeiuns. Angst ist ein Faktum. Zum ohne Rücksicht auf Verluste Betonwände entgegensteuernden Schlagzeug von Janet Weiss und den heute keineswegs altersmilden Nahkämpfen der (auch vokalen) Doppelspitze aus Corin Tucker und Carrie Brownstein an den Gitarren geht es aber grundsätzlich darum, sich zu befreien. Wie bei Göttersongs wie „Surface Envy“ ins Euphorisch-Reinigende drängend Kraft und Hoffnung aus Freundschaft, Zusammenhalt und Liebe gewonnen wird, kommt der Wirkungsmacht des Albums diesbezüglich mehr als zugute.

Die Beats zicke-zacken in Richtung Tanzbarkeit. Die Riffs fahren messerscharf über den bebenden Bass. Stimmlich ist bisweilen auch Hysterie angebracht, während das Titelstück beinahe frohgemut ins Beschwingte aufbricht. 32 Minuten lang dauert dieser Triumph. Sein Motto darf man sich ruhig ins Stammbuch schreiben: „Let’s destroy a room with this love!“

(Wiener Zeitung, 17./18.1.2015)

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