Donnerstag, Januar 15, 2015

Er ist so frei

Hosea Ratschillers neues Programm „Doppelleben“ im Kabarett Niedermair

Wie man im prekären Kulturbetrieb vor allem während der Wirtschaftsflaute sowie als geplagter Jungvater mit Rückenproblemen noch entweder über die Runden kommt oder tatsächlich Geld verdient, erklärt Hosea Ratschiller im Kabarett Niedermair so: Sein Team aus ihm selbst und der Kollegin von der Technik wurde noch um einen Mitarbeiter erweitert, der uns jetzt gerade die Wohnung ausräumt. 2015, liebe Leute: Wir schreiben das Zeitalter des alternativen Geschäftsmodells!

Bei wiederholten Blicken auf die Uhr (der Kollege könnte mit Sicherheitstüren beschäftigt sein …) geht es also auch darum, über den kreativen Zugang zu schickem Designerinterieur nachzudenken, das man sich selbst nicht leisten kann. Der Weg zur Psychotherapie beispielsweise, finanziert über kostenlose Erstgespräche, wäre möglich – für Freunde des Ohrensessels auch ganz ohne Depression. Über Kirchenbesuche (nur bei Hagel!) oder Kurse für Seidenmalerei und Zumbatanz im Bankfoyer wird das Thema der Zweckumwidmung an diesem Abend aber nicht nur einmal aufgegriffen.  

Dabei ist Hosea Ratschiller so frei, den Sparstift selbst beim erzählerischen Rahmen anzusetzen. Das Schweifen der Gedanken, gefolgt vom freien Assoziieren und heiteren Reden, steht auf dem Programm – und führt vom Hundertsten ins Tausendste. Bei heute verstärktem Hang zur politisch unkorrekten Wuchtel ist für eine Art Stand-up-Charakter gesorgt, der auf ein fixes Drehbuch zurückgeht. Dieses definiert den nicht durchwegs schlüssigen Programmtitel „Doppelleben“ etwa auch so: Wenn man vor lauter Arbeit und etwa auch aufgrund der Zerstreuungsmöglichkeiten des Lebens keine Zeit mehr für die Weltrevolution findet, gilt es zumindest, die Fassade zu wahren. Hosea Ratschiller erfreut sich am „Dschungelcamp“ und engagiert einen Pakistani, für ihn auf linksradikalen Websites Spuren zu hinterlassen. So viel Engagement muss sein!         

Mit Ratschiller als Novomatic-Manager in der falschen Selbsthilfegruppe, Philosoph an der Supermarktkassa, Franz Beckenbauer als „Feminist“ oder mit einem Erdmännchen beim inneren Monolog kommt es zwischendurch aber auch zu festen Einlagen – derentwegen man sich nicht zuletzt auf die Zugaben freuen darf. Am Ende sind nämlich nicht die Ideen aus, sondern nur unsere Wohnungen leer. Zeit ist Geld. Applaus!

(Wiener Zeitung, 16.1.2015)

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