Hosea Ratschillers neues Programm „Doppelleben“ im Kabarett Niedermair
Wie
man im prekären Kulturbetrieb vor allem während der Wirtschaftsflaute sowie als
geplagter Jungvater mit Rückenproblemen noch entweder über die Runden kommt
oder tatsächlich Geld verdient, erklärt Hosea Ratschiller im Kabarett
Niedermair so: Sein Team aus ihm selbst und der Kollegin von der Technik wurde
noch um einen Mitarbeiter erweitert, der uns jetzt gerade die Wohnung ausräumt.
2015, liebe Leute: Wir schreiben das Zeitalter des alternativen
Geschäftsmodells!
Bei
wiederholten Blicken auf die Uhr (der Kollege könnte mit Sicherheitstüren
beschäftigt sein …) geht es also auch darum, über den kreativen Zugang zu
schickem Designerinterieur nachzudenken, das man sich selbst nicht leisten
kann. Der Weg zur Psychotherapie beispielsweise, finanziert über kostenlose
Erstgespräche, wäre möglich – für Freunde des Ohrensessels auch ganz ohne
Depression. Über Kirchenbesuche (nur bei Hagel!) oder Kurse für Seidenmalerei
und Zumbatanz im Bankfoyer wird das Thema der Zweckumwidmung an diesem Abend
aber nicht nur einmal aufgegriffen.
Dabei ist Hosea Ratschiller so frei, den Sparstift selbst beim erzählerischen Rahmen anzusetzen. Das Schweifen der Gedanken, gefolgt vom freien Assoziieren und heiteren Reden, steht auf dem Programm – und führt vom Hundertsten ins Tausendste. Bei heute verstärktem Hang zur politisch unkorrekten Wuchtel ist für eine Art Stand-up-Charakter gesorgt, der auf ein fixes Drehbuch zurückgeht. Dieses definiert den nicht durchwegs schlüssigen Programmtitel „Doppelleben“ etwa auch so: Wenn man vor lauter Arbeit und etwa auch aufgrund der Zerstreuungsmöglichkeiten des Lebens keine Zeit mehr für die Weltrevolution findet, gilt es zumindest, die Fassade zu wahren. Hosea Ratschiller erfreut sich am „Dschungelcamp“ und engagiert einen Pakistani, für ihn auf linksradikalen Websites Spuren zu hinterlassen. So viel Engagement muss sein!
Mit
Ratschiller als Novomatic-Manager in der falschen Selbsthilfegruppe, Philosoph
an der Supermarktkassa, Franz Beckenbauer als „Feminist“ oder mit einem
Erdmännchen beim inneren Monolog kommt es zwischendurch aber auch zu festen
Einlagen – derentwegen man sich nicht zuletzt auf die Zugaben freuen darf. Am
Ende sind nämlich nicht die Ideen aus, sondern nur unsere Wohnungen leer. Zeit
ist Geld. Applaus!
(Wiener Zeitung, 16.1.2015)
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