Katy Perry gastierte in Wien. Pop in Neonfarben als Materialschlacht mit
Umziehpause.
Am Ende wird man zwar auch Formatradiohits wie etwa die
beiden Café-Prückel-Provokationshymnen „I Kissed A Girl“ und „All The Things
She Said“ der halblesbischen russischen Schulmädchenband t.A.T.u von 2002
gehört haben – was übrigens gar nicht stimmt, weil sich hinter Letzterem ein
Song namens „E.T.“ von Katy Perry versteckt, der vor allem hetero- und ein
klein wenig aliensexuell ist und für den das Autorenteam nur keine Tantiemen bezahlen
wollte. Du kannst es dir vorstellen. Also kannst du es auch klauen! Allerdings
ist die musikalische Grundlage des Abends dann eh eher egal. Für diesen
Eindruck sprechen mit dem einst aus der schwedischen Einschicht in die
Entertainmentmetropole Los Angeles exportierten Uniformator 2000 vorprogrammierte,
nach Nightshopping im Textildiscounter klingende „Live“-Versionen, für die die
Presets „Blitzhütte“, „Autodrom“ und „R-R-R-Räumungsverkauf!“ zur Verfügung
stehen. Aber auch der Beginn mit einer Katy Perry umzingelnden Tanzarmada, die
aussieht, als würden die Rabauken von Deichkind aus Schland eine
Diskursoperette über irgendetwas mit jungen Römern einst im alten Ägypten zum
Besten geben, und die gelegentlich als Statisten vorbeischauenden Männer mit
den Leuchtcontrollern im Schritt untermauern die These. Die Controller sind
übrigens gar keine Controller, sondern Dieter-Bohlen-Gitarren, die unhörbar
bleiben, dafür aber urcool blinken und Funken sprühen können!
Katzenkostüm und Smiley-BH
Man kann beim Konzert von Katy Perry in der mit 13.500
Besuchern nicht ausverkauften Wiener Stadthalle zwischen Popcornbechern, Coca
Cola und erheblichem „Kreiiiiisch!“-Pegel also bald nachdenklich werden.
Womöglich, vielleicht, also eventuell wird der Schwerpunkt des Abends ja auf
etwas ganz anderes gelegt. Rockt hier gar ein performatives Tanztheater mit
gesellschaftspolitischem Auftrag das Haus? Okay, nein. Sollen wir nur nicht mit
Musik allzu sehr davon abgelenkt werden, dass es auf der Bühne die Couture von
Valentino und Roberto Cavalli zu bestaunen gibt? Denkbar. Und wenn wir schon
dabei sind, uns Fragen zu stellen: Gehen auch die Fatsuits, die BH-Körbe mit
den Smileys und die Katzenkostüme samt Schwanz auf die feschen Designer zurück,
oder bewahrt der Berufsstand doch noch ein klein wenig Würde? Egal. Katy Perry schwebt
an Luftballons geschnallt mit verstecktem Seil an die Decke. Ein mammutgroßes Plastikpferd
stolziert für die Dauer von vielleicht zwei, drei Minuten über die Bühne. Ein
aufblasbarer Gummi-Chevy fährt ein. Dazu Videoclips, Animationen und
Laserlicht. Alles schreit nach Aufmerksamkeit, der Tochter der Verzweiflung. Unter
Bündelung sämtlicher Kräfte zum letzten Industrieaufgebot erleben wir Pop 2015 so
überfrachtet wie sinnentleert als neonfarbene Materialschlacht mit Umziehpause.
Trapezkunst im Konfettiregen
Dabei hat das alles zwischen Tourstops in Auckland,
Krakau und der Grammy-Verleihung neulich in der Super-Bowl-Halbzeitshow auf knackige
dreizehn Minuten Spielzeit komprimiert noch so unterhaltsam ausgesehen! Irre
groß. Megamäßig amerikanisch. In den Himmel fliegen zu fremden Planeten.
Großwild bändigen mit einer Peitsche aus Gold. Partymachen in Malibu mit
freundlichen Haien! Dazu Lenny Kravitz und die im Hit „Firework“ über eine
Erinnerung an den Unabhängigkeitstag transzendierte US-Aufstiegsgeschichte frei
nach dem Motto „Müssen nur wollen“. In Wien, der laut einer weiteren piepsig
absolvierten Zwischenrede Katy Perrys absolut schönsten Stadt der Welt (heute
Bratislava, demnächst Riga. I love you, Bukarest!) hingegen geht sich das auch
ohne Stromrocksolo und Tigerritt auf zwei Stunden zerdehnt leider nicht ganz
aus.
Dazwischen gibt es „Hot N Cold“ als Jazzversion, mit
„By The Grace Of God“ im zur Beweismittelführung bezüglich „Ich mache total
wahrhaftig-echte Musik, also wirklich!“ eingestreuten Akustikteil mit Katy
Perry halb an der Gitarre wird an das Vorleben des heutigen Popstars als
Pastorentochter und Kirchenliedsängerin erinnert. Smartphone-Alarm! Dazu ein
90er-Jahre-House- und Trashpop-Revival als Knickerbockerbande, Fan-Selfies am
Bühnensteg, Trapezakrobatik mit Kraxeltänzern, sämtliche Hits und am Ende
Konfetti. Dass die Haie daheim in Malibu geblieben sind, war allerdings eine wirkliche
Schweinerei!
(Wiener Zeitung, 28.2./1.3.2015)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen