Freitag, Februar 27, 2015

Aufmerksamkeit, Tochter der Verzweiflung

Katy Perry gastierte in Wien. Pop in Neonfarben als Materialschlacht mit Umziehpause.

Am Ende wird man zwar auch Formatradiohits wie etwa die beiden Café-Prückel-Provokationshymnen „I Kissed A Girl“ und „All The Things She Said“ der halblesbischen russischen Schulmädchenband t.A.T.u von 2002 gehört haben – was übrigens gar nicht stimmt, weil sich hinter Letzterem ein Song namens „E.T.“ von Katy Perry versteckt, der vor allem hetero- und ein klein wenig aliensexuell ist und für den das Autorenteam nur keine Tantiemen bezahlen wollte. Du kannst es dir vorstellen. Also kannst du es auch klauen! Allerdings ist die musikalische Grundlage des Abends dann eh eher egal. Für diesen Eindruck sprechen mit dem einst aus der schwedischen Einschicht in die Entertainmentmetropole Los Angeles exportierten Uniformator 2000 vorprogrammierte, nach Nightshopping im Textildiscounter klingende „Live“-Versionen, für die die Presets „Blitzhütte“, „Autodrom“ und „R-R-R-Räumungsverkauf!“ zur Verfügung stehen. Aber auch der Beginn mit einer Katy Perry umzingelnden Tanzarmada, die aussieht, als würden die Rabauken von Deichkind aus Schland eine Diskursoperette über irgendetwas mit jungen Römern einst im alten Ägypten zum Besten geben, und die gelegentlich als Statisten vorbeischauenden Männer mit den Leuchtcontrollern im Schritt untermauern die These. Die Controller sind übrigens gar keine Controller, sondern Dieter-Bohlen-Gitarren, die unhörbar bleiben, dafür aber urcool blinken und Funken sprühen können!

Katzenkostüm und Smiley-BH

Man kann beim Konzert von Katy Perry in der mit 13.500 Besuchern nicht ausverkauften Wiener Stadthalle zwischen Popcornbechern, Coca Cola und erheblichem „Kreiiiiisch!“-Pegel also bald nachdenklich werden. Womöglich, vielleicht, also eventuell wird der Schwerpunkt des Abends ja auf etwas ganz anderes gelegt. Rockt hier gar ein performatives Tanztheater mit gesellschaftspolitischem Auftrag das Haus? Okay, nein. Sollen wir nur nicht mit Musik allzu sehr davon abgelenkt werden, dass es auf der Bühne die Couture von Valentino und Roberto Cavalli zu bestaunen gibt? Denkbar. Und wenn wir schon dabei sind, uns Fragen zu stellen: Gehen auch die Fatsuits, die BH-Körbe mit den Smileys und die Katzenkostüme samt Schwanz auf die feschen Designer zurück, oder bewahrt der Berufsstand doch noch ein klein wenig Würde? Egal. Katy Perry schwebt an Luftballons geschnallt mit verstecktem Seil an die Decke. Ein mammutgroßes Plastikpferd stolziert für die Dauer von vielleicht zwei, drei Minuten über die Bühne. Ein aufblasbarer Gummi-Chevy fährt ein. Dazu Videoclips, Animationen und Laserlicht. Alles schreit nach Aufmerksamkeit, der Tochter der Verzweiflung. Unter Bündelung sämtlicher Kräfte zum letzten Industrieaufgebot erleben wir Pop 2015 so überfrachtet wie sinnentleert als neonfarbene Materialschlacht mit Umziehpause.

Trapezkunst im Konfettiregen

Dabei hat das alles zwischen Tourstops in Auckland, Krakau und der Grammy-Verleihung neulich in der Super-Bowl-Halbzeitshow auf knackige dreizehn Minuten Spielzeit komprimiert noch so unterhaltsam ausgesehen! Irre groß. Megamäßig amerikanisch. In den Himmel fliegen zu fremden Planeten. Großwild bändigen mit einer Peitsche aus Gold. Partymachen in Malibu mit freundlichen Haien! Dazu Lenny Kravitz und die im Hit „Firework“ über eine Erinnerung an den Unabhängigkeitstag transzendierte US-Aufstiegsgeschichte frei nach dem Motto „Müssen nur wollen“. In Wien, der laut einer weiteren piepsig absolvierten Zwischenrede Katy Perrys absolut schönsten Stadt der Welt (heute Bratislava, demnächst Riga. I love you, Bukarest!) hingegen geht sich das auch ohne Stromrocksolo und Tigerritt auf zwei Stunden zerdehnt leider nicht ganz aus.

Dazwischen gibt es „Hot N Cold“ als Jazzversion, mit „By The Grace Of God“ im zur Beweismittelführung bezüglich „Ich mache total wahrhaftig-echte Musik, also wirklich!“ eingestreuten Akustikteil mit Katy Perry halb an der Gitarre wird an das Vorleben des heutigen Popstars als Pastorentochter und Kirchenliedsängerin erinnert. Smartphone-Alarm! Dazu ein 90er-Jahre-House- und Trashpop-Revival als Knickerbockerbande, Fan-Selfies am Bühnensteg, Trapezakrobatik mit Kraxeltänzern, sämtliche Hits und am Ende Konfetti. Dass die Haie daheim in Malibu geblieben sind, war allerdings eine wirkliche Schweinerei!

(Wiener Zeitung, 28.2./1.3.2015)

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