Donnerstag, März 05, 2015

So ʼne Musik

Am 13. März entscheidet sich, wer für Österreich am Song Contest 2015 teilnehmen wird. Dass der Vorjahreserfolg aus Kostengründen nicht unbedingt wiederholt werden soll, ist den Kandidaten weitgehend auch anzuhören. Ein kommentierter Überblick.

Celina Ann

Eine gute Stimme ist für eine Sängerin grundsätzlich kein Schaden – so besagt es das Lehrbuch der Musik, wenn beispielsweise Helge Schneider es schriebe. Allerdings ist je nach genauer Karrierewahl mit erheblichen Unterschieden zu rechnen, wie erfolgreich man sich mit Vokalakrobatik alleine behaupten kann. Aufträge für Werbejingles etwa sollten so im Vorbeigehen klappen. Auch für Firmeneröffnungsfeiern gilt: gar kein Problem! Im Musicalsegment wiederum ist mit richtigen Tönen und dem passenden Ausdruck erst die halbe Miete verdient – schließlich muss man sich auch noch bewegen können ohne dabei auszusehen wie ein Sack nasser Kartoffeln oder ein Grießkoch mit Haut. Ahja, und dann noch die eigentliche Hauptherausforderung des Berufs, die Branche selbst durchzudrücken. Bitte lächeln! Just smile!

Entscheidet man sich nun aber für eine Karriere im Fachbereich Pop – oder will man den Song Contest wie im Vorjahr Conchita (unsere Conchita!) Wurst nicht nur gewinnen, sondern ihn dominieren, begeistern, ja, letztendlich verzaubern –, so ist mindestens ein Alleinstellungsmerkmal gefordert, eher noch aber ein Gesamtkonzept gefragt. Eine gute Stimme ist schön, ein guter Song fein, für den Erfolg aber in etwa mit so wichtig wie das richtige Skiwachs für Rennen zwischen Wengen und Kitz. Also schon, aber mehr so „ja eh“.

Celina Ann aus Wien hat eine gute Stimme. Sie durfte es in den Vorrunden mit Coverversionen so unterschiedlicher Acts wie The Police, Alicia Keys und Aretha Franklin beweisen. Vertraut man auf eine solche Stimme allein und bekommt dann auch noch eine Band aus sogenannten Vollblutmusikern zur Seite gestellt, kann man ein fantastisches Begleitprogramm für gesellige Rotweinrunden liefern und der Gartenparty das gewisse Etwas verleihen. Man kann auf Vortragsabenden begeistern und Trauerfeiern den notwendigen, würdevoll-traurigen Rahmen bescheren. Man kann aber auch eines: Dem ORF mit einer Teilnahme am Song Contest und einem dort sicheren Platz in den hinteren Reihen dabei helfen, doch nicht tschari zu gehen. Keine Sieger mehr! Die Hoffnung stirbt zuletzt.

DAWA

Die Wiener Band DAWA ist tendenziell dem FM4-Umfeld zuzuordnen. FM4 war früher einmal cool und in Sachen Song Contest vor allem dagegen. Stermann und Grissemann hatten mit kritischen On-air-Kommentaren rund um den Bewerb den „Widerstand! Widerstand!“, die Lacher und – vor Erfindung der Jederzeit-Stammtische Facebook und Twitter – auch die Aufmerksamkeit auf ihrer Seite. Mit dem Versuch, 2002 selbst als österreichische Vertreter nach Tallinn zu fahren, wären sie beinahe Teil des Systems geworden. Der im Rabenhof Theater bis heute ausgetragene Protestsongcontest aus dem FM4-Umfeld ist übrigens bis heute eine wichtige Sache.

Für junge Bands wie DAWA besteht nun kein Widerspruch mehr darin, „echte“ Musik zu machen und dennoch am Song Contest teilnehmen zu wollen. Besser richtige Mucke als ein Schas, der uns den Schas (vermutlich dann aber eh nicht) gewinnt! Und vor allem: Besser richtige Songs als ein Suppenkasper wie Alf Poier im (inter-)nationalen Spotlicht des Bewerbs.

Die Band DAWA also spielt herzerwärmenden akustischen Kaminfeuerfolk mit introspektivem Charakter, zarter Zupfgitarre, Glockenspiel, Cello und Tamburin, der wie ein Aufeinandertreffen von Tracy Chapman und José González klingt. Als Produzent des Ende Februar erschienenen neuen Albums „Psithurisma“ (Las Vegas Records/Rough Trade) hielt im steirischen Schrattenberg zuletzt die vielseitig begabte Allzweckwaffe Patrick Pulsinger, der Popfest-Kurator von 2013, seine schützende Hand über den Aufnahmeprozess. Patrick Pulsinger entstammt dem FM4-Umfeld.

Im Gegensatz zu zahlreichen Mitbewerbern präsentierten DAWA im Rahmen der Vorausscheidung bisher folgerichtig eigene Songs – bis auf die Interpretationsrunde, in der die Entscheidung für „Bitter Sweet Symphony“ der Britpop-Band The Verve aus dem FM4-Umfeld fiel. Beim Finale in der Stadthalle werden wir DAWA voraussichtlich nicht sehen. Der Öffentlichkeits-Boost durch die Vorausscheidung aber ist eine gute Sache. Die Mehrheit da draußen weiß ja gar nicht, dass es das gibt: so ʼne Musik!

Folkshilfe

Neben Hilfswerk und dem Roten Kreuz, der Rettung, Diakonie oder Caritas gehört auch die Volkshilfe zu den Big Playern im Bereich der Freien Wohlfahrtsverbände. Die Volkshilfe kommt mit mobilen Pflegediensten bei den Leuten an, kümmert sich um die Rechte Asylwerbender, engagiert sich mit humanitären Hilfseinsätzen im Ausland, unterstützt Erwerbslose bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt und ist Zivildienern eine sinnvolle Alternative zu Oberstleutnant „Habt Acht!“ und seinem lästigen Zapfenstreich. Kurz: Sie ist für uns Menschen da.

Die in Oberösterreich bereits weltberühmte Folkshilfe dürfte ein artverwandtes Anliegen haben, transportiert es allerdings mit anderen Mitteln – den Mitteln der Musik. Immerhin erklärt bereits der hübsch für Feuerzeugalarm sorgende Song „Loss da helfn“ als Rührstück und Umarmungsangebot, dass es hier neben Trost immer auch Rat geben sollte. „Varrotzt und vareat, gonz kla und leer“, das sind wir ja alle – an einem schlechten Tag. Mit, wie man in Oberösterreich sagt, „Quetschn und Kitarr“ sowie gleich drei Sängern wird in Sachen Melodie und Ohrwurm ebenso anlassig wie im Grundcharakter geerdet und hemdsärmelig bis zum Anschlag gegen diesen buchstäblichen Zustand vorgegangen. Mit dem im Rahmen der Vorausscheidung zum Song Contest bereits in der ersten Runde live präsentierten „Seit a poa Tog“ gelingt das etwa über den Zusammenschluss ob-der-Enns-gemütlicher Volksmusikelemente an der Knopferlharmonika mit knieweichem jamaikanischem Reggae zu einem Loblied auf die Faulheit als Grund- und Menschenrecht, das aber auch keine Lösung ist. Hubert von Goisern hätte übrigens kaum besser gejodelt!

Zweifelsohne würde ein mit der Folkshilfe konfrontiertes internationales Publikum nur Bahnhof verstehen, wie Rapper Nazar von der Vorausscheidungs-Jury sinngemäß meinte. Aber das wird es beispielsweise bei den wunderbaren finnischen Eurovisions-Punks von Pertti Kurikan Nimipäivät ja definitiv auch, wenn diese beim ersten Halbfinale am 19. Mai mit „Aina mun pitää“ auf die Bühne gehen.

Johann Sebastian Bass

Das im fernen Jahr 1757 gegründete Trio Johann Sebastian Bass um die Herren Johann Davidus, Johann Martinus und Johann Domenicus Bass an Basspauke, Basso Continuo und Sprechkasten sollte Österreichs Fixstarter für den Song Contest 2015 sein. Immerhin steht die durch sogenannte Umstände im Heute gelandete Band mit den wahlweise an bange Stunden vor dem Kadi oder aber an einst in Weimar perfektionierte Kompositionskunst barocken Zuschnitts erinnernden Weißhaarperücken nicht nur für jene Mischung aus Glamour und Exzentrik, die die große Showbühne nun einmal braucht. Sie macht die internationale Laufkundschaft mit einer Art bereits in die Wiener Klassik verweisendem „Rock Me Amadeus“-Outfit, wie es Hans Hölzel alias Falco einst beim Videodreh zu seiner US-Nummereins etwa in der Wiener Blue Box trug, sehr zum Segen der Österreich-Werbung auch darauf aufmerksam, dass es hierzulande mehr als Hansi Hinterseer oder „The Sound Of Music“ spielt.

Mit erhöhter Neigung zu Pudernase, Rouge, Lidschatten und Kajal sind von Johann Sebastian Bass tanzbare Dancefloorbeats und sexy Grooves zu hören, die sich dennoch zum Popsong bekennen. Disco-Reminiszenzen, wie Bohrmaschinen durch Mauerwerk brechende Dubstep-Einsprengsel und nicht zuletzt ein dem Genre des „Electrococo“ geschuldetes Cembalo aus der Dose gibt es auch. Zur englischen Sprache als Zugeständnis an die neumodernen heutigen Zeiten gesellen sich zu alledem enigmatische lateinische Orgien-Mysterien-Choräle mit kathedralischem Donnerhall, wie man sie aus dem Alten Testament oder „Eyes Wide Shut“ mit Nicole Kidman und Tom Cruise kennen könnte, sofern sie das „Heute“ nicht mit angesagten Vocoder-Effekten in Richtung Giorgio Moroder reflektieren.  

Die laut Legende den Affären des Johann Sebastian Bach entstammenden Musiker dürfen übrigens selbst im Fall eines Scheiterns am Song Contest hoffnungsfroh in die Zukunft blicken: Auch ihr Erzeuger wurde erst rund 80 Jahre nach seinem Tod im großen Stil von der Musikbranche entdeckt. 

The Makemakes

Mit Sicherheit handelt es sich bei der Geschichte, Dodo Muhrer sei ein unehelicher Sohn des halbheimischen Vorzeigefilmschauspielers Christoph Waltz, nicht um eine fingierte Biografie (siehe dazu: Johann Sebastian Bass), sondern schlicht um eine Ente. Ob der Sänger von The Makemakes aus dem Salzburgerischen eventuell Pharrell Williams („Happy“) um seinen Hut erleichtert hat, kann fürs Erste hingegen nicht eindeutig beantwortet werden. In Sachen Outfit jedenfalls steht fest, dass der Pharrell’sche Kopfbedeckungszwilling wie auch sein Kollege Markus Christ am Bass sonst eher einen auf Folkrocker aus der Zeitmaschine macht. Nicht nur vom Bartwuchs her wird hier, zumindest ungefähr auch zur Musik passend, gut und gerne fünf Jahrzehnte zurückgeblickt. Wir hören handwerklich solide gezimmerte Stromrocksongs, die sich bei leicht-fluffiger bis sanft beliebiger Note allerdings für das (und vor allem mit dem) Formatradio arrangieren. So kann der erst vor drei Jahren gegründete Dreier bereits stolz auf einen sechsten und einen zweiten Platz in den Austria Top 40 verweisen. Von einem Engagement als Support-Act von – jessas! – Bon Jovi 2013 in der Wiener Krieau jetzt einmal ganz abgesehen.

Erstvorstellig im Song-Contest-Auswahlverfahren wurden The Makemakes mit dem sonnig gestimmten Gute-Laune-Song „Million Euro Smile“, dessen Melodie uns nicht zuletzt die „Herzblatt“-Signation in Erinnerung ruft (Rudi Carrell! Rainhard Fendrich! Die Jetzt-musst-du-dich-entscheiden-Susi!). „The Lovercall“ (die Charts-Nummersechs) bestätigt die internationale Ausrichtung der Grundformel und erweitert diese mit einer Bläserabordnung um eine kräftige Prise Soul. An dieser Stelle ist übrigens anzumerken, dass junge, popkulturell aber nicht allzu sehr um (Indie-)Kredibilität besorgte junge Frauen Sänger Dodo vermutlich nicht unattraktiv finden werden. Die „Dodo, ich will ein Kind von dir!“-Transparente kann man sich vorerst allerdings trotzdem sparen. The Makemakes werden es nicht ins Finale schaffen.      

Zoë

Unter den Baby-Boomnamen im deutschsprachigen Raum ist Zoë (auch „Zoe“ oder „Zoé“ geschrieben) etwa seit Anfang der Nullerjahre ein Hit. Parallel zur Erfolgsgeschichte der als Löwin zu übersetzenden Leonie und bereits einige Zeit nach dem Durchbruch der Kevins, den baldigen Zielobjekten der „Kevinismus“-Forschung, stark im Marktwert gestiegen (Wir schrieben die 80er und 90er Jahre. Es gab „Kevin – Allein zu Haus!“ für uns selbst und Kevin Costner und Kevin Kline für die Mütter), ist der altgriechische Hintergrund dieses Namens ganz im „Leben“ zu finden.

Zwar soll Aristoteles in Zusammenhang mit Zoe einmal etwas von wegen Staatsdienst philosophiert haben (bitte selber nachgoogeln!), die nun in Sachen Song Contest um die Publikumsgunst buhlende Sängerin (fast) gleichen Pseudonyms allerdings wird bei Humboldt garantiert nicht den Amtsrat machen. Au contraire! Die junge Dame will Sängerin werden.

Dabei hat sich Zoë, die 18-jährige Tochter von Christof Straub, dem Gitarristen, Sänger und Songwriter des heimischen Mann-Frau-Duos Papermoon („Tell Me A Poem“), für ihre Erstpräsentation mit „Adieu“ dem Chanson verschrieben. Mit diesem lässt sich kess im Handumdrehen oder während eines durchschnittlichen Augenaufschlags schon seit immer auch ein Publikum erspielen, dem Musik nicht einmal als Nebensache völlig egal ist. Das ist schade, hat die Dame mit der künstlerischen Vorvergangenheit im Kiddy Contest doch eine Stimme im Angebot, der zuzuhören sich durchaus lohnen würde. Ein Auftritt in der zweiten Vorausscheidungs-Runde als barfüßige Unschuld aber erschien dann doch wieder recht kontraproduktiv, allgemein mit dieser Ästhetik verbundenen Zuschreibungen wie „nett“, „niedlich“, „lieb“ oder „süß“ etwas entgegenzuhalten.

Dass Zoë ausgerechnet Edith Piaf als Vorbild nennt, darf aber nicht nur ihren möglichen Stammbeisln Hoffnung machen (der Umsatz!). Auch die Hörerschaft kann so noch mit einem Aufrauen der Oberflächen zugunsten der Ecken und Kanten und vielleicht etwas mehr Tiefe rechnen.

(www.wienerzeitung.at, 4.3.2015)

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