Angekündigte Rebellionen
finden nicht statt: Madonna und ihr neues Album „Rebel Heart“
Zweifelsohne
stand dieses Album unter keinem günstigen Stern. Der Leak früher Demoversionen bereits
im Dezember 2014 und die daraus resultierende Hinfälligkeit im Kernbereich Pop
so wichtiger Marketingkampagnen trafen Madonna schlimm genug, dass sie die
Ereignisse nicht nur als „artist rape“, sondern auch als „terrorism“ bezeichnete.
Die öffentliche Schelte dafür ließ kaum länger auf sich warten als im Falle der
von Madonna mitlancierten Stacheldraht-Porträts, für die zur Verdeutlichung des
Albumtitels „Rebel Heart“ auch Nelson Mandela und Martin Luther King Jr. herhalten
mussten. Man kennt ähnliche, gerne auch um Saddam Hussein und George W. Bush als
Kontrastmittel erweiterte Sujets nicht zuletzt von Madonna-Konzerten und dem
dort obligatorischen Weltfriedensblock. Dieser kam zuletzt im Rahmen der „MDNA-Tour“
2012 in Wien immerhin als Pause einer Inszenierung mit Madonna als NRA-Spezialbotschafterin
an der Schusswaffe und den Blut-und-Beuschel-Spielen auf der Videowall daher. Pop
ist ein Spiel mit Symbolen und Bedeutung. Pop, der sich mit Bedeutung auflädt,
ist oft aber auch eine Gratwanderung über Minenfelder. Nur ein falscher Schritt
– und schon „bumm!“
Blick nach innen
Vor
diesem bei Madonna einst geglückter auch mit dem Papst, unserer großen
katholischen Schuld, Porno als Selbstbestimmung und vor allem jeder Menge „Express
(yourself!)“-Feminismus einhergehenden Hintergrund überrascht es doch, dass
ausgerechnet das nun also auch offiziell erscheinende 13. Studioalbum die im Titel
angekündigte Rebellion nicht nur nicht stattfinden lässt, sondern dabei ganz grundsätzlich
handzahm daherkommt. Vermutlich war es nach drei „Girls just wanna have fun“-Alben
mit auf ewig jungem Party-Pop und vor allem dem auch mit Ostblock-Techno auffahrenden
Vorgänger „MDNA“ an der Zeit, zur Abwechslung wieder einmal nach innen zu
blicken. Ist da jemand? Sorgen muss man sich aber keine machen. Mit Altern in
Würde oder auch nur einem Alterswerk in dem Sinn hat „Rebel Heart“ dann natürlich
eh nichts zu tun.
Grundsätzlich
einmal zeigt sich Madonna auch heute bemüht, dem Zeitgeist auf den Fersen zu
bleiben. Mit dem Produzentenzuschlag für vor Jahren am Karrierehöhepunkt
angelangte Leute wie M.I.A.-Mann Diplo oder dem Rückgriff auf farblose Blitzhütten-Dienstleister
wie Avicii aus Schweden kommt sie nur schon wieder zu spät. Die Anbiederung an
Gäste wie die psychotische Turborapperin Nicki Minaj oder Kanye West wiederum riecht
zunächst nach Verzweiflungstat. Vor diesem Setting aber kann es unter
besonderer Berücksichtigung des Wortes „Bitch“ zumindest zwischendurch noch zu bei
der heutigen Jugend beliebten Songs über Ausschweifung mit den Girls im Rooftop-Pool
kommen, die alarmistisches Signalgeläut und gepimpte Hip-Hop-Beats zum Cruisen
durch Downtown verbinden.
Achtung: Stierkampf
Im
Kern aber geht es auf Basis relativ simpler „Ich liebe dich“-„Ich hasse dich“-Songs
mit Drang ins Fach der (Power-)Ballade durchaus darum, echte Songs mit
richtigen Melodien zu schreiben. Der erstmalige Gebrauch von akustischen
Gitarren seit gefühlt sehr langer Zeit legt bereits nahe, dass man das Liedgut
von „Rebel Heart“ mühelos am Lagerfeuer anstimmen könnte. Dazu kommt
gleichfalls nicht grundlegend moderner, dank Diplo aber hübsch ins Kraut
schießender Reggae und der im Formatradio nicht unangenehm auffallende Radiopop
der Auftaktsingle „Living For Love“. Hier schließt Madonna selbstreferenziell
alte Kernkompetenzen zwischen House-Nachwehen, Restgospel beinhaltendem
Eurodance-Gesang und zeitgemäße Knarzelektronik mit Themen wie Sex,
Du-brichst-mich-nicht und der Kunst des Stierkampfs kurz. Statements von der
Männerberatung, dem Verein der Tierfreunde oder Morrissey liegen bisher nicht
dazu vor. Anmerken könnte man auch noch, dass „Body Shop“ wie Nelly Furtado vor
einigen Jahren klingt und die Grenzen zwischen Madonna und Rihanna heute
mitunter mindestens fließend sind.
Wenn
dazu nicht wie in „Holy Water“ mit peinlich den Vatikan erschüttern wollendem
Einschlag das Seelenheil in der Vagina verortet wird („I promise you it‘s not a
sin / Find salvation deep within“), darf es übrigens einmal mehr um Self-Empowerment
gehen – aktuell aber aus dem Bekenntnis zu Schwäche, Leere und Verletzlichkeit gedeutet.
Wider die Anfeindung einer womöglich von der Lügenpresse angestachelten
Öffentlichkeit wird Madonna dann fast zur „Joan Of Arc“. Sehr gut hingegen sind
die zahlreichen Durchhalteparolen der Texte. Am Ende von „Rebel Heart“ steht
fest, dass man sie brauchen kann.
Madonna: Rebel
Heart (Universal Music)
(Wiener Zeitung, 6.3.2015)
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