Donnerstag, Februar 19, 2015

Ausschweifung als Flucht

Kraftklub ist die Band der jungen Leute. Das zeigte sich nun auch live in Wien.

Weil der Arbeitsmarkt nicht mehr unbedingt auf den Nachwuchs wartet, hat die Wirtschaft lässige Start-up-Unternehmen und geile Ich-AGs erfunden. Diese erfreuen die Welt nicht nur mit crazy kreativen Ideen für ein besseres Leben zwischen gechillterer Freizeit und optimierterer Arbeit. Sie pumpen auch die Kohle zurück in den Kreislauf, die als Motor so wichtig ist. Im Optimalfall handelt es sich übrigens um keinen Kredit, sondern um das Erbe der zwei Vorgenerationen, das zumindest den ersten und bestimmt auch den letzten Konkurs in diesem Leben ermöglicht. Du hast keine Chance? Nütze sie, Dummkopf!

Sie sind wie wir

Geht man den traditionelleren, heute wieder gebräuchlichen Weg in die Gastronomie, kann man nach der Sperrstunde unter die Bar wechseln. Betätigt man sich vor der Annahme eines Kompromissjobs künstlerisch, bleibt das Werk. Willst du aber erfolgreich sein, dann schließe den Kompromiss in deinen Businessplan ein: Die Band Kraftklub aus Chemnitz, der einstigen, heute halbironisch besungenen „Karl-Marx-Stadt“ („Ich komm aus Karl-Marx-Stadt, bin ein Verlierer Baby, original Ostler!“) ist mit ihrer Mischung aus den Arctic-Monkeys-Gitarren des Jahrgangs 2006 und ein wenig deutschem Sprechgesang nicht nur unter FM4-Hörern ein Hit. Nein, sie ist unter der Jugend beinahe Konsens. Nach zwei Album-Nummereinsen zu Hause in Schland kann man sich etwa auch über ein ausverkauftes Konzert im Wiener Gasometer erklären lassen, warum: Kraftklub sprechen die Sprache der jungen Leute. Und sie bündeln Lebensrealitäten mit dem Fluchtweg in die Party zu einem Spiegelbild, in dem sich das Publikum selbst erkennt. Die sind nicht die anderen. Die sind ja wie wir!

Hartz IV, Besuch an der Tanke, wohin mit dem Hass? Der Alltag wird „konkret verkackt“, es gibt „Opfer“ in den Texten. Dazwischen: Stress mit der Liebe, Stress mit ohne Stress. Kiffen, Aspirin, Restwohlstandsdepression. Davor aber immerhin: Party! Wie hier gegen die Umstände ausgeschweift wird, bis zunächst die Freude zurück ins Leben und dann der Mageninhalt aus dem Biereinfüllschlund zurück ins Freie kommt: alle Achtung. Man könnte jetzt auch angesichts der Landsleute von Deichkind über die Ökonomisierung des Exzesses durch Musikdienstleister im Dauereinsatz an der Front philosophieren. Man kann sich aber auch ein Braugetränk über das Gewand schütten und es ganz einfach passieren lassen. Dem Sänger fliegen die Bierbecher im Sekundentakt um die Ohren. Felix Brummer, sich wundernd: „Habt ihr denn hier keinen Pfand?“ Doch, aber auf den scheißen wir heute!

Alles klingt gleich

Im heiter hüpfenden „Ich will nicht nach Berlin“ ziehen Kraftklub auch live gegen das Ich-AG-, Party- und Bionade-Epizentrum Berlin her. Auf der anderen Seite bezeugt das auf Probleme mit dem Chemnitzer Stammclub (die lieben Anrainer!) replizierende „Meine Stadt ist zu laut“, dass die geliebte Heimatstadt der Band auch nicht mehr ist, was sie vielleicht gar nie war.

Das Schlagzeug zickezackt, die Gitarren quengeln, gemeinsam mit dem monotonen Sprechgesangsrhythmus ist für erhöhte Wiedererkennbarkeit gesorgt. Alles klingt gleich. Aber es ist zumindest aufgrund der selbstironischen Texte nicht unsympathisch – und bringt die Fans mit akut „fahrenden“ Hits wie „Unsere Fans“ in die für ein Kraftklub-Konzert unabdingbare Feiertagsstimmung, die man auch von Siegesfesten der deutschen Fußballnationalmannschaft kennt. Im Publikum befinden sich zahlreiche Studierende aus der sogenannten „Bundesrepublich“.

Gegen Ende wird die Mutter eines Konzertbesuchers von der Bühne aus am Handy angerufen und irritiert in den Saal geschalten. Felix Brummer parliert höflich per Sie. Alles lacht. Danach Zugaben, Konfettiregen und Faschingsende, bei Kraftklub ungleich Beginn der Fastenzeit! Das Licht geht aus, wir, ja wir aber gehen nur in das nächste Haus.

(Wiener Zeitung, 20.2.2015)

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