Schall &
Rauch
Allen Mythen zum Trotz ist der Arbeitsalltag des
Poprockstars nicht zwingend mit Glamour verbunden, dafür umso mehr aber von
Langeweile geprägt. Es wird gewartet: auf das Flugzeug, den Transferbus, das
Zimmer, die Presse, den Soundcheck, das Catering, den Auftritt und die Ankunft
des Adrenalinspiegels auf dem Boden der Tatsachen (um endlich schlafen zu
können) – sowie nach der täglichen Wiederholung des Rituals im Zuge einer Ochsentour
von mehreren Monaten vor allem: die nächste Idee. Diese ist schließlich der
Ausgangspunkt einer Verwertungskette aus dem Schaffensprozess, seiner
Vollendung im zu verkaufenden Werk und dessen Reproduktion auf der Bühne. Kurz
gesagt also: Idee=$.
Als heiliger Ort der Schöpfung wird dabei nicht
zuletzt das Studio mystifiziert. Gerade der Ausschluss des Publikums aus dem
Nämlichen macht die Sache so interessant – beziehungsweise lenken heute als
DVD-Bonusmaterial gereichte Bilder von locker-lässig ihrer Arbeit nachgehenden
Helden der Musik davon ab, dass der Aufnahmeprozess außer aus Gähnen vor allem
aus Däumchendrehen besteht. Und aus Nasenbohren. Es wird auf Godot gewartet und
mit der Akustik experimentiert, es werden Effekte getestet und einzelne
Tonspuren über Stunden hinweg präpariert. Phasen der Fadesse biblischen Ausmaßes
sind möglich!
Dass die wunderbare, die fantastische, die von ihren
Fans (Sie können es an diesem Satz ablesen!) nicht selten glorifizierte PJ
Harvey im Londoner Somerset House aktuell das Wagnis eingeht, ihr neues Album
öffentlich aufzunehmen, wird aus ihrem Umfeld zwar auch mit der „Entmystifizierung
des Aufnahmeprozesses“ erklärt. Der Erfolg dieser Entzauberung aber ist fraglich,
waren die aufgelegten Karten für die mehrwöchigen Sessions doch sofort ausverkauft.
Für die Fans ein gefundenes Fressen, bleibt der Künstlerin – so denkt man – neben
dem Gewinn aus den Tickets vor allem ein Gefühl des Beobachtetwerdens und die
in Zeiten des Leaks inhärente Gefahr, unfertiges Material ins Internet gestellt
zu bekommen – was durch die Pflicht zur Abgabe sämtlicher Aufnahmegeräte (und
somit auch Handys) bisher aber verhindert wurde.
Je 45 Minuten lang wohnen die Besuchergruppen PJ
Harvey und ihrem Team, hinter Glaswänden wie ein Ausstellungsartefakt inszeniert,
bei der Arbeit bei. Erste Erfahrungsberichte künden (übrigens durchaus verzaubert) auch von dabei gehörten ganzen
Songs, also mehr als homöopathischen Eindrücken. Harte Fanwährung! Liebhaber
sollten aber auch von ereignisloseren Sessions nicht allzu enttäuscht sein. Es
ist immerhin PJ Harvey, die da ihre Däumchen dreht.
(Wiener Zeitung, 14./15.2.2015)
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