Bilderbuch
gelten als die heimische Band nicht nur dieser Stunde. Nun erscheint ihr
drittes Album.
Ob
jetzt Adolf Hitler oder doch nur ein vor 800 semiinteressierten Zuschauern irgendwo
in der Einschicht ausgetragener Erstligasport namens „Fußball“, Rainhard
Fendrich oder alte Filme von Franz Antel dafür verantwortlich sind, es ist im
Grunde egal. Tatsache ist, dass die Frage „Where are you from?“ oft nur mit
großer Scham und ein wenig restkatholischer Schuld mit „I am from … (hüstel), I am from … (räusper), I am from … (buhu), I
am from … Austria“
beantwortet wird.
Dazu
Minderwertigkeitskomplexe. Und noch mehr Schuld! Österreich, das Land der Berge,
seiner Söhne und deren Keller. Wir sind nicht komplex, nein, wir sind Komplex! Fest
steht aber auch, dass es nicht besser sein würde, „I am from Tschöamäni“ behaupten
zu müssen. Tschöamäni, der depperte große Nachbar, ohne den Hitler gar nicht erst
möglich gewesen wäre!
Zweite
Republik, Österreich – Keller hin, Keller her: Man will unter sich sein, quasi
Familienanschluss, man schätzt, was man kennt. Die FPÖ wird unter Jörg Haider
zur Massenbewegung. Kulinarisch bleibt man ein Schnitzelland. Die Industrie
sagt außer Stahl Steyr, der Ackerbau stöhnt unter der Globalisierung, aber er
ackert im Auftrag der Tradition bei seiner Ehrʼ fort. Steirer sind noch in
Hollywood und Kanada als Steirer zu erkennen. Gut ist, dass man zumindest auf
Weißweine aus dem niederösterreichischen Donauraum international stolz sein
kann. Keine Frostschutzmittel mehr!
Popmusikalisch
darf man behaupten, dass mit einigem Lokalkolorit teils herrliche, die Landes- oder
Gemeindegrenzen aber kaum überwindende Nischenarbeit betrieben wird.
Indiehausen verbohrt sich verbissen genug in seine Glaubwürdigkeit, um das
Publikum mit dem eigenen Freundeskreis überschaubar zu halten. Kurz gesagt:
Falco war der letzte österreichische Musiker, der Eier hatte. Auch wenn daran
das Koka-, das teure Koka-, das super Kokaiiiin schuld war, das sich so schön
auf „hin, hin, hin“ reimen lässt.
Zeitsprung.
2013, Wien. Die ehemalige Schülerband Bilderbuch aus dem Stiftsgymnasium zu
Kremsmünster mietet sich einen Lamborghini Diablo und filmt mit Sänger Maurice
Ernst und dessen mastercardgoldblonder Frisur das Video zum Song „Maschin“. Das
Ergebnis ist größer als Gott und die britische Bombastrockband Muse zusammen,
dabei aber verspielter als jede Games Convention, gewitzter als die Faschingssitzung
der Karnevalsprinzen – und fast so sexy wie Prince! Der Online-Ableger der
„Süddeutschen Zeitung“ wird dafür das Wort „geil“ in den Mund nehmen müssen.
Das
nun erscheinende dazugehörige dritte Album der Band macht unter dem Titel
„Schick Schock“ alles noch deutlicher. Man will nicht länger Komplex sein. Man
ist jung und schön und stark. Man ist international – und man denkt groß. Pop erstrahlt
in Versalien und wird endlich wieder als bunter Hund definiert. „Plansch“,
„Spliff“, „OM“: Bilderbuch haben die Hits. Sie sind gottlob aber schlau genug, ihren
Hang zur überbordenden Geste mit Aberwitz in den Arrangements aufzubrechen. Wir
hören markant-abgehackte Falsettgesänge, nach Akkubohrern klingende
Stromrocksolos und psychedelische Effekteinsprengsel zu schelmischen Austropop-Referenzen.
Zu alledem wird in Sachen Sounddesign durchwegs mehr Ambition bewiesen, als
dies international nach einer kurzen Kosten-Nutzen-Rechnung heute noch üblich
ist. Bilderbuch veröffentlichen das Album auf ihrem eigenen Label. Sie haben
eine Mission.
Die
Hemden sind hipsterig, die Stimmung ist sexuell, der Groove stimmt. Maurice
Ernst macht von der Bar aus die Mädels klar. Im Club sind mit alten „Das
Boot“-Keyboard-Patterns gekreuzte New-Wave-Beats mit Abzählreimen über das Verbrennen
von Geld wieder erlaubt. Mit Prince als Türöffner ins Schlafzimmer geht es mit
reinster Seide am Leib in die Federn. Nach dem Höhepunkt heult man im Auto-Tune-Gesang
eines Kanye West etwas von „Barry Manilow“ oder einer Fernbeziehung über das
Internet nach Gibraltar in die Decke. Das Referenzsystem Pop wächst bei
Bilderbuch zu einem Zitat-Tsunami an, dem es aber keineswegs an Eigenständigkeit
fehlt.
„Schick
Schock“ kommt zur rechten Zeit. Mit Mitte 20 kann man auf die intellektuelle
Wortgruppe „Proust, Camus und Derrida“ noch locker die Zeile „Mein Schwanz – so
lang wie ein Aal“ folgen lassen. Und auch das für diese Kunst so zentrale
überhebliche Gʼschau stellt sich mit dem Erfolg ganz automatisch ein. Man muss
dafür nicht extra Nasenscheidewände riskieren gehen. Bilderbuch sind derzeit mehr
als erfolgreich. Und das ist sehr gut so.
Bilderbuch:
Schick Schock (Maschin Records/Universal)
(Wiener Zeitung, 21./22.2.2015)
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