Freitag, Februar 20, 2015

Planschen im Zitat-Tsunami

Bilderbuch gelten als die heimische Band nicht nur dieser Stunde. Nun erscheint ihr drittes Album.

Ob jetzt Adolf Hitler oder doch nur ein vor 800 semiinteressierten Zuschauern irgendwo in der Einschicht ausgetragener Erstligasport namens „Fußball“, Rainhard Fendrich oder alte Filme von Franz Antel dafür verantwortlich sind, es ist im Grunde egal. Tatsache ist, dass die Frage „Where are you from?“ oft nur mit großer Scham und ein wenig restkatholischer Schuld mit „I am from … (hüstel), I am from … (räusper), I am from … (buhu), I am from … Austria“ beantwortet wird.

Dazu Minderwertigkeitskomplexe. Und noch mehr Schuld! Österreich, das Land der Berge, seiner Söhne und deren Keller. Wir sind nicht komplex, nein, wir sind Komplex! Fest steht aber auch, dass es nicht besser sein würde, „I am from Tschöamäni“ behaupten zu müssen. Tschöamäni, der depperte große Nachbar, ohne den Hitler gar nicht erst möglich gewesen wäre!

Zweite Republik, Österreich – Keller hin, Keller her: Man will unter sich sein, quasi Familienanschluss, man schätzt, was man kennt. Die FPÖ wird unter Jörg Haider zur Massenbewegung. Kulinarisch bleibt man ein Schnitzelland. Die Industrie sagt außer Stahl Steyr, der Ackerbau stöhnt unter der Globalisierung, aber er ackert im Auftrag der Tradition bei seiner Ehrʼ fort. Steirer sind noch in Hollywood und Kanada als Steirer zu erkennen. Gut ist, dass man zumindest auf Weißweine aus dem niederösterreichischen Donauraum international stolz sein kann. Keine Frostschutzmittel mehr!

Popmusikalisch darf man behaupten, dass mit einigem Lokalkolorit teils herrliche, die Landes- oder Gemeindegrenzen aber kaum überwindende Nischenarbeit betrieben wird. Indiehausen verbohrt sich verbissen genug in seine Glaubwürdigkeit, um das Publikum mit dem eigenen Freundeskreis überschaubar zu halten. Kurz gesagt: Falco war der letzte österreichische Musiker, der Eier hatte. Auch wenn daran das Koka-, das teure Koka-, das super Kokaiiiin schuld war, das sich so schön auf „hin, hin, hin“ reimen lässt.

Zeitsprung. 2013, Wien. Die ehemalige Schülerband Bilderbuch aus dem Stiftsgymnasium zu Kremsmünster mietet sich einen Lamborghini Diablo und filmt mit Sänger Maurice Ernst und dessen mastercardgoldblonder Frisur das Video zum Song „Maschin“. Das Ergebnis ist größer als Gott und die britische Bombastrockband Muse zusammen, dabei aber verspielter als jede Games Convention, gewitzter als die Faschingssitzung der Karnevalsprinzen – und fast so sexy wie Prince! Der Online-Ableger der „Süddeutschen Zeitung“ wird dafür das Wort „geil“ in den Mund nehmen müssen.

Das nun erscheinende dazugehörige dritte Album der Band macht unter dem Titel „Schick Schock“ alles noch deutlicher. Man will nicht länger Komplex sein. Man ist jung und schön und stark. Man ist international – und man denkt groß. Pop erstrahlt in Versalien und wird endlich wieder als bunter Hund definiert. „Plansch“, „Spliff“, „OM“: Bilderbuch haben die Hits. Sie sind gottlob aber schlau genug, ihren Hang zur überbordenden Geste mit Aberwitz in den Arrangements aufzubrechen. Wir hören markant-abgehackte Falsettgesänge, nach Akkubohrern klingende Stromrocksolos und psychedelische Effekteinsprengsel zu schelmischen Austropop-Referenzen. Zu alledem wird in Sachen Sounddesign durchwegs mehr Ambition bewiesen, als dies international nach einer kurzen Kosten-Nutzen-Rechnung heute noch üblich ist. Bilderbuch veröffentlichen das Album auf ihrem eigenen Label. Sie haben eine Mission.

Die Hemden sind hipsterig, die Stimmung ist sexuell, der Groove stimmt. Maurice Ernst macht von der Bar aus die Mädels klar. Im Club sind mit alten „Das Boot“-Keyboard-Patterns gekreuzte New-Wave-Beats mit Abzählreimen über das Verbrennen von Geld wieder erlaubt. Mit Prince als Türöffner ins Schlafzimmer geht es mit reinster Seide am Leib in die Federn. Nach dem Höhepunkt heult man im Auto-Tune-Gesang eines Kanye West etwas von „Barry Manilow“ oder einer Fernbeziehung über das Internet nach Gibraltar in die Decke. Das Referenzsystem Pop wächst bei Bilderbuch zu einem Zitat-Tsunami an, dem es aber keineswegs an Eigenständigkeit fehlt.

„Schick Schock“ kommt zur rechten Zeit. Mit Mitte 20 kann man auf die intellektuelle Wortgruppe „Proust, Camus und Derrida“ noch locker die Zeile „Mein Schwanz – so lang wie ein Aal“ folgen lassen. Und auch das für diese Kunst so zentrale überhebliche Gʼschau stellt sich mit dem Erfolg ganz automatisch ein. Man muss dafür nicht extra Nasenscheidewände riskieren gehen. Bilderbuch sind derzeit mehr als erfolgreich. Und das ist sehr gut so.

Bilderbuch: Schick Schock (Maschin Records/Universal)

(Wiener Zeitung, 21./22.2.2015) 

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