Dienstag, Februar 10, 2015

Regelbruch und Party

Charlotte Emma Aitchison alias Charli XCX veröffentlicht ihr neues Album „Sucker“

Nimmt man Punk als popkulturelles Versatzstück im Sinne von ungefähr drei faul von den Saiten gerissenen Akkorden – und nicht als Lebenseinstellung zwischen Dosenbier, Mit-dem-Hund-Gassi-Gehen und der geregelten Arbeit, Omas in der Fußgängerzone um Kleingeld zu bitten – und kombiniert ihn mit einer musikalischen Sozialisation über Britney Spears und die Spice Girls, dem Mickey-Maus-Gesang aus dem Disney-Chanel sowie einer rebellischen Ader, die beinahe so arg ist wie der Kauf eines Che-Guevera-T-Shirts in einer H&M-Filiale, kommt als Ergebnis vermutlich der Song „Breaking Up“ von Charli XCX heraus. Dieser will dann eh nicht die Verhältnisse ins Wanken bringen, einen Schuldenschnitt für Griechenland fordern oder zumindest die Welt im Abgrund sehen. Aargh! Immerhin aber – und das ist ja schon einmal ein Anfang – will er dem Lulu von Ex-Lover kräftig einen Marsch ins Revenge-Horn blasen: „Everything was wrong with you. So breaking up was easy to do. Hate your friends and your family too“ – buhu!

Vorrecht der Jugend

Ähnlich wie im Titelsong ihres nun am Freitag, dem 13. auch in Europa erscheinenden neuen Albums „Sucker“ (Warner), der nicht nur mit erhobenem Stinkefinger, sondern auch mit Gewehrabzugs- und Schussgeräuschen daherkommt, mag die als Charlotte Emma Aitchison in Cambridge geborene Sängerin hier das Gör des Jahrgangs 1992 mimen. Das geht mit dem „Ich lebe jetzt in Hollywood und bin die Geilste“-Text von „London Queen“ halt nur mittelmäßig wie über den dann eh handzahmen Weltumarmungspop von Stücken wie „Die Tonight“, „Caught In The Middle“ oder der erheblichen Hitsingle „Boom Clap“ eigentlich gar nicht gut. Davon wird man sich auch überzeugen können, wenn Charli XCX am 26. Februar in der Wiener Stadthalle für Katy Perry den Support-Act gibt.

Zum Glück aber gibt es das zumindest zwischendurch auch für ganze Fußballstadien zum Mitsummen gedeichselte „Break The Rules“ mit der an Mama und Papa sowie vor allem die Verantwortlichen hinter der UN-Menschenrechtscharta und Ban Ki-moon gerichteten Forderung für keine Schule und mehr Party. Dergleichen auch von artverwandten Sprechorganen der außerparlamentarischen Opposition wie, sagen wir, Miley Cyrus und Gefolgschaft als Splittergruppe „Pop-Oligarchie jetzt!“ unterstütze Anliegen werden zusätzlich mit programmatischen Songs wie „Gold Coins“ und „Famous“ in die Welt entlassen. Sie setzen die Basisarbeit fort, die Aitchison vor drei Jahren mit der von ihr geschriebenen, dann allerdings den Kolleginnen von Icona Pop aus Schweden überlassenen Textildiscounter-Beschallungshymne „I Love It“ beginnen sollte. Bereits hier ging es nicht zuletzt um das Vorrecht der Jugend auf eine, wie man bei uns sagt, sagenhafte Goschn und die auch von der Lebensplanung her noch gegebene Möglichkeit, „Nach mir die Sintflut“ zu spielen.

Dschungelcamp-Pop

Ein mit dem Titel „True Romance“ wenig später veröffentlichtes Album unter eigenem Namen scheiterte trotz seiner spekulativen Mischung aus Mainstream und Irgendwie-vielleicht-doch-auch-noch-Indie sowie 80er-Jahre-Gedenkharmonien und heutigem Zierrat kommerziell. Erst die verhaltensauffällige Single „Fancy“ an der Seite von Iggy Azalea führte zur ersten US-Nummereins. Auf dem nun gleich von zwölf Produzenten betreuten „Sucker“ wiederum bekommt man es zwar ebenso mit Stangenware zu tun wie mit etwas gar platten Zitaten aus der Popgeschichte, die nach den Arrows oder Joan Jett laut „I Love Rock ’n’ Roll“ skandieren. Weil „Break The Rules“, der Song aus dem Dschungelcamp, die Split-up-Studie „Breaking Up“, das bei David Bowies „China Girl“ andockende „Body Of My Own“ oder das beschwingt-heitere „Famous“ in Sachen Pop als simples Unterhaltungsprodukt für die Party derzeit nur schwer zu toppen sein dürften, zum Abschluss aber ein Geständnis: Ja, es stimmt. Ich bin Charli!

(Wiener Zeitung, 11.2.2015)

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