Charlotte Emma
Aitchison alias Charli XCX veröffentlicht ihr neues Album „Sucker“
Nimmt
man Punk als popkulturelles Versatzstück im Sinne von ungefähr drei faul von
den Saiten gerissenen Akkorden – und nicht als Lebenseinstellung zwischen
Dosenbier, Mit-dem-Hund-Gassi-Gehen und der geregelten Arbeit, Omas in der
Fußgängerzone um Kleingeld zu bitten – und kombiniert ihn mit einer
musikalischen Sozialisation über Britney Spears und die Spice Girls, dem Mickey-Maus-Gesang
aus dem Disney-Chanel sowie einer rebellischen Ader, die beinahe so arg ist wie
der Kauf eines Che-Guevera-T-Shirts in einer H&M-Filiale, kommt als
Ergebnis vermutlich der Song „Breaking Up“ von Charli XCX heraus. Dieser will dann
eh nicht die Verhältnisse ins Wanken bringen, einen Schuldenschnitt für
Griechenland fordern oder zumindest die Welt im Abgrund sehen. Aargh! Immerhin
aber – und das ist ja schon einmal ein Anfang – will er dem Lulu von Ex-Lover kräftig
einen Marsch ins Revenge-Horn blasen: „Everything was wrong with you. So
breaking up was easy to do. Hate your friends and your family too“ – buhu!
Vorrecht der
Jugend
Ähnlich
wie im Titelsong ihres nun am Freitag, dem 13. auch in Europa erscheinenden neuen
Albums „Sucker“ (Warner), der nicht nur mit erhobenem Stinkefinger, sondern auch
mit Gewehrabzugs- und Schussgeräuschen daherkommt, mag die als Charlotte Emma
Aitchison in Cambridge geborene Sängerin hier das Gör des Jahrgangs 1992 mimen.
Das geht mit dem „Ich lebe jetzt in Hollywood und bin die Geilste“-Text von
„London Queen“ halt nur mittelmäßig wie über den dann eh handzahmen Weltumarmungspop
von Stücken wie „Die Tonight“, „Caught In The Middle“ oder der erheblichen Hitsingle
„Boom Clap“ eigentlich gar nicht gut. Davon wird man sich auch überzeugen
können, wenn Charli XCX am 26. Februar in der Wiener Stadthalle für Katy Perry
den Support-Act gibt.
Zum
Glück aber gibt es das zumindest zwischendurch auch für ganze Fußballstadien
zum Mitsummen gedeichselte „Break The Rules“ mit der an Mama und Papa sowie vor
allem die Verantwortlichen hinter der UN-Menschenrechtscharta und Ban Ki-moon
gerichteten Forderung für keine Schule und mehr Party. Dergleichen auch von artverwandten
Sprechorganen der außerparlamentarischen Opposition wie, sagen wir, Miley Cyrus
und Gefolgschaft als Splittergruppe „Pop-Oligarchie jetzt!“ unterstütze
Anliegen werden zusätzlich mit programmatischen Songs wie „Gold Coins“ und
„Famous“ in die Welt entlassen. Sie setzen die Basisarbeit fort, die Aitchison
vor drei Jahren mit der von ihr geschriebenen, dann allerdings den Kolleginnen
von Icona Pop aus Schweden überlassenen Textildiscounter-Beschallungshymne „I
Love It“ beginnen sollte. Bereits hier ging es nicht zuletzt um das Vorrecht
der Jugend auf eine, wie man bei uns sagt, sagenhafte Goschn und die auch von
der Lebensplanung her noch gegebene Möglichkeit, „Nach mir die Sintflut“ zu
spielen.
Dschungelcamp-Pop
(Wiener Zeitung, 11.2.2015)
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