Donnerstag, März 26, 2015

Für immer froh und König sein

Ringo Starr widmet sich mit einem neuen Album ganz der Zufriedenheit. Nichts muss, alles darf.

Die Frage ist die: Wird jemand, der auf seinem Debütalbum im Alter von 29 Jahren schon nostalgisch war, mit 74 plötzlich weniger nostalgisch sein? „Sentimental Journey“, so hieß 1970 der erste Solostreich Ringo Starrs, damals, als die Beatles kurz davor waren, Musikgeschichte zu werden, und Richard Starkey Jr., den alle Welt nur als Ringo kennt, nicht wusste, was für ihn folgen sollte. Mit ein klein wenig Hilfe seiner Freunde entstand eine mit Standards aufwartende Hommage an die Musik aus der Zeit seiner Eltern, produziert von George Martin und mit einem Gastauftritt Paul McCartneys als Arrangeur, und sie war tatsächlich der sentimental gestimmte Beginn einer Reise, die aus dem sentimentalen Ende einer anderen hervorging. Johnny Mercers „Dream“ gab dabei die Richtung vor, die für Ringo, den Leichten, so typisch war: „Things never are as bad as they seem … So dream, dream, dream.“

Zwangloses Tun

Im noch sprudelnden Fahrwasser des großen Post-Fab-Four-Lochs ließ sich im Anschluss selbst der harte Bruch der Country- und Westernarbeit „Beaucoups Of Blues“ so halbwegs verkaufen, während die Rockpop-Rückbesinnung „Ringo“ von 1973 ein voller Erfolg wurde, von dem neben Cameos aller Ex-Beatles, ersten selbstgeschriebenen Solosongs und mit der George-Harrison-Komposition „Photograph“ einer der größten Ringo-Hits zu erwähnen wären. Spätestens „Ringo The 4th“ (1977) mit dem US-Chartsspitzenplatz 162 markierte dann aber das Ende einer Ära, das Ringo auch nicht verbitterte. Unter dem Motto „Alles darf, nichts muss“ entstehen bis heute Alben, die außer der zwanglosen Freude am Tun nichts als der zwanglosen Freude am Tun geschuldet sind und sich dabei mitunter auch selbst genügen. Ein Umstand, der seit 1989 seine Entsprechung in Tourneen von Ringo Starr & His All-Starr Band findet, die, wie man zuletzt 2011 in der Wiener Arena erleben durfte, teils so rührend wie entsetzlich sein können.

„Postcards From Paradise“ heißt nun das auch von Dave Stewart (Eurythmics) oder Peter Frampton unterstützte 18. Soloalbum von Ringo Starr, das mit der All-Starr Band eingespielt wurde und dessen Songmaterial einen überraschend soliden Eindruck macht – hat man erst die Produktion überwunden, die sich oft wieder selbst genügt. Sanft aus der Zeit gefallener Midtempo-Schunkelrock steht neben versunkener Balladenfachpatina, knieweicher Reggae kommt zu hüftsteifem Blues, ein wenig Funk und viel Backgroundgegospel. Dazu der eine oder andere Gummibass aus dem Umhängekeyboard und indische Tablaklänge.

Musikhistorisch erzählt eingangs „Rory And The Hurricanes“ von Ringos gleichnamiger Band vor den Beatles, von einer ersten, ausgelassen-unbeschwerten (Dienst-)Reise nach London, wohin ein zweiter Ausflug nach dem Karriereaufstieg ungleich arbeitsamer ausfiel: „I was with you know who. I played the drums like I always do“, singt Ringo – und stürzt sich in eine Schlagzeugsoloeinlage. Zum Marihuanaphasenbekennungstext von „Island In The Sun“ fällt einem historisch wiederum ein, dass es Bob Dylan war, der den Beatles einst das Krautjäten beibrachte. Und dass Ringo sich als Erster bediente.

Im Kern aber handeln die Texte von großer Liebe („Not Looking Back“) sowie vor allem vom großen Glück im Kleinen. Es geht um das Queren von Brücken, die Suche nach Zufriedenheit und – solchermaßen nur teilnostalgisch – den Blick nach vorne. Wobei sich die Lebensberatungslyrik zum Gospelgesang auch einmal ins Missionarische steigern darf („Are you open to be turned around?“).

Zweifelsohne ist das X-Millionendollarvermögen Ringo Starrs hilfreich dabei, für immer froh und König zu sein. Manchmal, und dafür steht „Postcards From Paradise“, braucht es aber auch gar nicht mehr als ein einfaches kleines Lied oder ein „Schubidu“ auf den Lippen – und schon sieht die Welt wieder ganz anders aus.

Ringo Starr: Postcards From Paradise (Universal Music)

(Wiener Zeitung, 27.3.2015)

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