Ringo Starr
widmet sich mit einem neuen Album ganz der Zufriedenheit. Nichts muss, alles
darf.
Die
Frage ist die: Wird jemand, der auf seinem Debütalbum im Alter von 29 Jahren
schon nostalgisch war, mit 74 plötzlich weniger nostalgisch sein? „Sentimental
Journey“, so hieß 1970 der erste Solostreich Ringo Starrs, damals, als die
Beatles kurz davor waren, Musikgeschichte zu werden, und Richard Starkey Jr.,
den alle Welt nur als Ringo kennt, nicht wusste, was für ihn folgen sollte. Mit
ein klein wenig Hilfe seiner Freunde entstand eine mit Standards aufwartende
Hommage an die Musik aus der Zeit seiner Eltern, produziert von George Martin
und mit einem Gastauftritt Paul McCartneys als Arrangeur, und sie war tatsächlich
der sentimental gestimmte Beginn einer Reise, die aus dem sentimentalen Ende
einer anderen hervorging. Johnny Mercers „Dream“ gab dabei die Richtung vor, die
für Ringo, den Leichten, so typisch war: „Things never are as bad as they seem
… So dream, dream, dream.“
Zwangloses Tun
Im
noch sprudelnden Fahrwasser des großen Post-Fab-Four-Lochs ließ sich im
Anschluss selbst der harte Bruch der Country- und Westernarbeit „Beaucoups Of
Blues“ so halbwegs verkaufen, während die Rockpop-Rückbesinnung „Ringo“ von
1973 ein voller Erfolg wurde, von dem neben Cameos aller Ex-Beatles, ersten
selbstgeschriebenen Solosongs und mit der George-Harrison-Komposition „Photograph“
einer der größten Ringo-Hits zu erwähnen wären. Spätestens „Ringo The 4th“
(1977) mit dem US-Chartsspitzenplatz 162 markierte dann aber das Ende einer
Ära, das Ringo auch nicht verbitterte. Unter dem Motto „Alles darf, nichts
muss“ entstehen bis heute Alben, die außer der zwanglosen Freude am Tun nichts
als der zwanglosen Freude am Tun geschuldet sind und sich dabei mitunter auch
selbst genügen. Ein Umstand, der seit 1989 seine Entsprechung in Tourneen von Ringo
Starr & His All-Starr Band findet, die, wie man zuletzt 2011 in der Wiener
Arena erleben durfte, teils so rührend wie entsetzlich sein können.
„Postcards
From Paradise“ heißt nun das auch von Dave Stewart (Eurythmics) oder Peter
Frampton unterstützte 18. Soloalbum von Ringo Starr, das mit der All-Starr Band
eingespielt wurde und dessen Songmaterial einen überraschend soliden Eindruck
macht – hat man erst die Produktion überwunden, die sich oft wieder selbst
genügt. Sanft aus der Zeit gefallener Midtempo-Schunkelrock steht neben
versunkener Balladenfachpatina, knieweicher Reggae kommt zu hüftsteifem Blues, ein
wenig Funk und viel Backgroundgegospel. Dazu der eine oder andere Gummibass aus
dem Umhängekeyboard und indische Tablaklänge.
Musikhistorisch
erzählt eingangs „Rory And The Hurricanes“ von Ringos gleichnamiger Band vor
den Beatles, von einer ersten, ausgelassen-unbeschwerten (Dienst-)Reise nach
London, wohin ein zweiter Ausflug nach dem Karriereaufstieg ungleich arbeitsamer
ausfiel: „I was with you know who. I played the drums like I always do“, singt
Ringo – und stürzt sich in eine Schlagzeugsoloeinlage. Zum Marihuanaphasenbekennungstext
von „Island In The Sun“ fällt einem historisch wiederum ein, dass es Bob Dylan
war, der den Beatles einst das Krautjäten beibrachte. Und dass Ringo sich als
Erster bediente.
Im
Kern aber handeln die Texte von großer Liebe („Not Looking Back“) sowie vor
allem vom großen Glück im Kleinen. Es geht um das Queren von Brücken, die Suche
nach Zufriedenheit und – solchermaßen nur teilnostalgisch – den Blick nach
vorne. Wobei sich die Lebensberatungslyrik zum Gospelgesang auch einmal ins
Missionarische steigern darf („Are you open to be turned around?“).
Zweifelsohne
ist das X-Millionendollarvermögen Ringo Starrs hilfreich dabei, für immer froh
und König zu sein. Manchmal, und dafür steht „Postcards From Paradise“, braucht
es aber auch gar nicht mehr als ein einfaches kleines Lied oder ein „Schubidu“
auf den Lippen – und schon sieht die Welt wieder ganz anders aus.
Ringo Starr:
Postcards From Paradise (Universal Music)
(Wiener Zeitung, 27.3.2015)
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