Kendrick
Lamar landet mit seinem neuen Album an der Speerspitze des US-Hip-Hop
Auf
der Branchen-Watchlist stand Kendrick Lamar bereits vor seinem Debütalbum
„Section.80“, das ihm 2011 Kritikerlob einbrachte. Spätestens sein Majorlabel-Einstand
„Good Kid, M.A.A.D City“ zeitigte nur ein knappes Jahr später dann auch kommerziellen
Erfolg. Unter Schützenhilfe von Größen wie Dr. Dre erklomm die Aufarbeitung
einer Kindheit und Jugend im sogenannten „Problemmilieu“ der kalifornischen 100.000-Einwohner-Stadt
Compton zwischen Bandenkriminalität samt Schusswaffengebrauch und mindestens
ebenso tot machendem Drogenkonsum den zweiten Platz der US-Billboardcharts.
Eine Tour mit Kanye West sollte der Karriere im Anschluss nicht abträglich
sein.
Schwarzes
Bewusstsein
Der
knapp vor seiner physischen Veröffentlichung zum Download bereit gestellte
dritte Streich „To Pimp A Butterfly“ darf nun bereits als Opus magnum gefeiert
werden, mit dem sich Lamar im Alter von 27 Jahren nicht nur endgültig an die
Speerspitze des US-Hip-Hop katapultiert. Vor allem erlebt man einen Rapper mit
Haltung, der sein Genre über die Re-Reflexion in Sachen schwarzes Bewusstsein –
nicht zuletzt inspiriert durch die Unruhen in Ferguson – wieder mit Botschaft
und Bedeutung auflädt.
Auch
musikalisch ist angesichts des mit einer Spielzeit von rund einer Stunde und 19
Minuten opulent ausgefallenen Albums festzuhalten, dass nur tote Fische mit dem
Strom schwimmen. Trotz seiner Zusammenarbeit mit dem eklektischen
US-Produzenten Flying Lotus, die durchaus auf Zeitgenossenschaft schließen
ließe, kommen die 16 Tracks so weitgehend radiounfreundlich wie keiner Mode
verschrieben daher. Zwischen Old-School-Hip-Hop, etwas den Lumpi gebendem
Prince-R&B und klassischen Soul- und Funk-Einsprengseln steht vor allem auch
Jazz auf dem Programm. Dazu Saxofon, Hotelbarklavier, Schwurbeldrums, Fender
Rhodes und aus den Knien wippende P-Funk-Gummibässe, als deren Miterfinder auch
der gute alte George Clinton aus dem Mothership steigt, um sich Kendrick Lamar
und seinem Team anzuschließen. Eingebettet in eine lose Rahmenhandlung und teils
in Richtung Hörspiel und Lesung collagiert, trifft der Grundflow des Albums
dazu bevorzugt auf harte Brüche.
Die
zahlreichen, tendenziell eher Diskursfelder eröffnenden als um rasche Antworten
bemühten Querverweise Lamars werden bereits vom Albumtitel selbst unterstrichen,
der sich auf Harper Lees den (Südstaaten-)Rassismus verhandelnden Roman „To
Kill A Mockingbird“ von 1960 bezieht. Und auch der Auftaktsong fällt programmatisch
aus, eröffnet „Wesley’s Theory“ mit seiner Problematisierung des Ichs,
ausgelöst beispielsweise durch die Schwierigkeit, mit dem Erfolg
zurechtzukommen, doch den zweiten Erzählstrang der Arbeit: Kendrick Lamars
(Selbst-)Zweifel, erzählt mit dem afroamerikanischen Fokus, etwa den Zuarbeiter
für Unterhaltungskonzerne (mit weißer Führungsetage) zu geben. Aber auch Themen
wie die Entwurzelung von der „Hood“ und die Schwierig- bis Unmöglichkeit, als
plötzlich von Geldsorgen befreiter Hip-Hop-Star an den Ort des Aufwachsens
zurückzukehren, stehen auf dem Programm.
Mit Tupac im
Interview
Man
muss auf „To Pimp A Butterfly“ mitunter länger suchen, um Hoffnung spendende
Frohbotschaften wie jene der grammyprämierten Auftaktsingle „I“ zu finden. Es
wird davor auch noch um Depressionen, schwarze Nächte und noch mehr
Zerrissenheit gehen. Bei „The Blacker The Berry“ zerlegt sich das Autoren-Ich
schließlich als „Heuchler“, der die Gewalt anprangert, die er als Teil des
Systems selbst bereits mittrug.
Das
„Happy End“ liefert ein montiertes Interview mit dem 1996 erschossenen Rapper Tupac
Shakur, der den Ausbruch einer Gewaltwelle fatalistisch vorausahnt, um von Lamar
an das Mikrofon erinnert zu werden – die eigentliche Waffe des Hip-Hop, die der
zweifelnde junge Mann seinem auf ewig verehrten Vorbild solchermaßen gleich
auch entgegenhält.
Kendrick Lamar: To Pimp A Butterfly (Interscope/Universal)
(Wiener Zeitung, 19.3.2015)
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