Mittwoch, März 18, 2015

Junger Mann, zweifelnd

Kendrick Lamar landet mit seinem neuen Album an der Speerspitze des US-Hip-Hop

Auf der Branchen-Watchlist stand Kendrick Lamar bereits vor seinem Debütalbum „Section.80“, das ihm 2011 Kritikerlob einbrachte. Spätestens sein Majorlabel-Einstand „Good Kid, M.A.A.D City“ zeitigte nur ein knappes Jahr später dann auch kommerziellen Erfolg. Unter Schützenhilfe von Größen wie Dr. Dre erklomm die Aufarbeitung einer Kindheit und Jugend im sogenannten „Problemmilieu“ der kalifornischen 100.000-Einwohner-Stadt Compton zwischen Bandenkriminalität samt Schusswaffengebrauch und mindestens ebenso tot machendem Drogenkonsum den zweiten Platz der US-Billboardcharts. Eine Tour mit Kanye West sollte der Karriere im Anschluss nicht abträglich sein.

Schwarzes Bewusstsein

Der knapp vor seiner physischen Veröffentlichung zum Download bereit gestellte dritte Streich „To Pimp A Butterfly“ darf nun bereits als Opus magnum gefeiert werden, mit dem sich Lamar im Alter von 27 Jahren nicht nur endgültig an die Speerspitze des US-Hip-Hop katapultiert. Vor allem erlebt man einen Rapper mit Haltung, der sein Genre über die Re-Reflexion in Sachen schwarzes Bewusstsein – nicht zuletzt inspiriert durch die Unruhen in Ferguson – wieder mit Botschaft und Bedeutung auflädt.

Auch musikalisch ist angesichts des mit einer Spielzeit von rund einer Stunde und 19 Minuten opulent ausgefallenen Albums festzuhalten, dass nur tote Fische mit dem Strom schwimmen. Trotz seiner Zusammenarbeit mit dem eklektischen US-Produzenten Flying Lotus, die durchaus auf Zeitgenossenschaft schließen ließe, kommen die 16 Tracks so weitgehend radiounfreundlich wie keiner Mode verschrieben daher. Zwischen Old-School-Hip-Hop, etwas den Lumpi gebendem Prince-R&B und klassischen Soul- und Funk-Einsprengseln steht vor allem auch Jazz auf dem Programm. Dazu Saxofon, Hotelbarklavier, Schwurbeldrums, Fender Rhodes und aus den Knien wippende P-Funk-Gummibässe, als deren Miterfinder auch der gute alte George Clinton aus dem Mothership steigt, um sich Kendrick Lamar und seinem Team anzuschließen. Eingebettet in eine lose Rahmenhandlung und teils in Richtung Hörspiel und Lesung collagiert, trifft der Grundflow des Albums dazu bevorzugt auf harte Brüche.

Die zahlreichen, tendenziell eher Diskursfelder eröffnenden als um rasche Antworten bemühten Querverweise Lamars werden bereits vom Albumtitel selbst unterstrichen, der sich auf Harper Lees den (Südstaaten-)Rassismus verhandelnden Roman „To Kill A Mockingbird“ von 1960 bezieht. Und auch der Auftaktsong fällt programmatisch aus, eröffnet „Wesley’s Theory“ mit seiner Problematisierung des Ichs, ausgelöst beispielsweise durch die Schwierigkeit, mit dem Erfolg zurechtzukommen, doch den zweiten Erzählstrang der Arbeit: Kendrick Lamars (Selbst-)Zweifel, erzählt mit dem afroamerikanischen Fokus, etwa den Zuarbeiter für Unterhaltungskonzerne (mit weißer Führungsetage) zu geben. Aber auch Themen wie die Entwurzelung von der „Hood“ und die Schwierig- bis Unmöglichkeit, als plötzlich von Geldsorgen befreiter Hip-Hop-Star an den Ort des Aufwachsens zurückzukehren, stehen auf dem Programm.

Mit Tupac im Interview

Man muss auf „To Pimp A Butterfly“ mitunter länger suchen, um Hoffnung spendende Frohbotschaften wie jene der grammyprämierten Auftaktsingle „I“ zu finden. Es wird davor auch noch um Depressionen, schwarze Nächte und noch mehr Zerrissenheit gehen. Bei „The Blacker The Berry“ zerlegt sich das Autoren-Ich schließlich als „Heuchler“, der die Gewalt anprangert, die er als Teil des Systems selbst bereits mittrug.

Das „Happy End“ liefert ein montiertes Interview mit dem 1996 erschossenen Rapper Tupac Shakur, der den Ausbruch einer Gewaltwelle fatalistisch vorausahnt, um von Lamar an das Mikrofon erinnert zu werden – die eigentliche Waffe des Hip-Hop, die der zweifelnde junge Mann seinem auf ewig verehrten Vorbild solchermaßen gleich auch entgegenhält.

Kendrick Lamar: To Pimp A Butterfly (Interscope/Universal)

(Wiener Zeitung, 19.3.2015)

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