Schall &
Rauch
Antworten sind eine tolle Erfindung. Sie geben
Sicherheit, Orientierung und Halt und sind so auch Balsam für Nerven und Seele –
sofern sie nicht „Sie haben noch zwei Monate“, „Also einen Kredit halten wir in
Ihrer gegenwärtigen finanziellen Lage für absolut ausgeschlossen“, „Ist das Ihr
Ernst?!“ oder „Weil du a Wappler bist!“ heißen. Wer Antworten im faktischen
Sinne mag, wird auch Google, Wikipedia, die Wissenschaft oder Armin Assinger
mögen; für spirituell veranlagte Menschen wiederum gibt es Gott, Scientology
oder Helga Kuhn.
Wer nicht nach Antworten sucht, ist entweder tot, Nihilist
oder Chuck Norris („Chuck Norris sucht nicht nach der Antwort. Chuck Norris IST
die Antwort“) – oder er bevorzugt es, die richtigen Fragen zu stellen. Leute,
die im Hauptberuf philosophisch, Anne Will oder Privatdetektiv Matula sind,
wären zu nennen. Aber auch das Kunst- und Kulturuniversum hilft uns, am Nachdenken
oder schlicht im Ungewissen zu bleiben. Als – nicht nur historisch betrachtet –
Musik des Aufbruchs etwa will Pop sich nicht Gedanken über strikt im Morgen liegende
Themen wie Lebensmitteleinkauf, Pensionsvorsorge oder „Wie heißt du eigentlich,
und hast du auch eine Telefonnummer?“ machen. Alles, was zählt und benötigt
wird, ist der Moment. Aus diesem heraus abgeleitete Fragen sind nicht selten
rhetorischer Natur, so sie nicht gleich als versteckte Ansage daherkommen: „Well, do you, do you, do you wanna?“
Das Autorendoppel Evelyn Peternel und Andreas R. Peternell
erlaubt es sich mit seinem soeben erschienenen Welterklärungsband „Who The Fuck
Is Alice? 101 Antworten auf die drängendsten Fragen der Popmusik“ (Rogner &
Bernhard), in Songs problematisierten Fragestellungen (durchwegs nicht der
Intention ihrer Schöpfer entsprechend) nachzugehen. Das führt über „Do You Have
To Talk Like That?“ von The Go-Betweens etwa zu einer weiteren Entzauberung
Mozarts als Schweinigel, mit „Baby Can I Hold You?“ von Tracy Chapman zu einer
Analyse der durchschnittlichen Haltedauer von Aktien im Zeitvergleich sowie zur
Schilderung tragischer Lottomillionärsschicksale anlässlich des guten alten
Die-Sterne-Hits „Was hat dich bloß so ruiniert?“
Am Ende der Lektüre fühlt man sich unterhalten und
fortgebildet. Letzteres passiert bei Pop sonst ja nur, wenn Björk eine
Themenarbeit zur Entstehung des Universums unter besonderer Berücksichtigung
von Virologie, Mondzyklen und der Teslaspule kredenzt. Wenngleich Björk-Skeptiker
jetzt einwenden werden: Auch hier sind Antworten kein Balsam für Nerven und
Seele. Dann doch lieber uns verunsichernde Fragen. Bitte!
(Wiener Zeitung, 14./15.3.2015)
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