Dagobert, der
„Schnulzensänger aus den Bergen“, veröffentlicht sein zweites Album
Grundsätzlich
einmal geht es im Schlager exakt darum: Liebe, Liebe und nochmals Liebe. Immerhin
lässt sich dank dieser der graue Alltag ebenso in Zuckerlrosa einfärben wie mit
ihrem Trägermedium selbst, der Musik, die im Schlager bekanntlich nichts
weniger ist als der Schlüssel zum Glück. Und natürlich geht es auch um die
Sehnsucht, die sich nicht auf ein Herzilein allein konzentrieren muss. Man kann
sich auch wünschen, dass etwas wieder so wird, wie es einmal war, oder dass
etwas anders wird, als es ist, sofern man nicht konkretere Zielgegenstände ins
Auge fasst – wie etwa die Heimat, die Berge, oder, als Kontrastmittel der
Flucht in die Flucht, den Süden. Sommernacht in Rom! Am Ende aber auch:
Arrivederci Hans!
Paradies: Liebe?
Dagobert,
laut Eigenbezeichnung „Schnulzensänger aus den Bergen“, darf nach einem
selbstbetitelten Debütalbum aus dem Jahr 2013, das sich ganz der (unglücklichen)
Liebe verschrieb („Ich bin zu jung“) und dabei nicht zuletzt herrliche
Zitatangebot mit sich brachte („Du bist viel zu schön, um auszusterben. Lass deine
Kinder deine Schönheit erben!“), nun also die Koffer packen. Sein zweiter
Streich trägt den Titel „Afrika“ und kommt nicht etwa als „Paradies: Liebe“
daher. Stichwort: Nicht mehr ganz so junge Mitteleuropäer, die Wärme suchen und
deshalb nach Kenia fliegen – um dort vor allem die Sexwirtschaft anzukurbeln. Nein,
Dagobert bringt den einst über das Wirtschaftswunder ermöglichten Eskapismus
mit Endstation Jesolo ins Heute, verlagert und globalisiert den Schauplatz und rundet
die Ergebnisse mit einer nicht unbedingt genrespezifischen Note ab, die dunkler,
ja, weltabgewandter ausfällt. Der nicht von ungefähr bei „Go West“ von den Village
People andockende Titelsong des Albums schließlich verabschiedet sich mit
sanfter Wehmut gänzlich aus der Zivilisation. Stattdessen: Dschungel, Tiere um
uns, ua-ua-ua!
Dagobert
darf das. Sein Schlager ist nicht der Schlager für die Mehrzweckhallen zwischen
Amstetten und Schwäbisch Gmünd. Sein Schlager ist der Schlager für die Clubs
von Berlin Mitte und Kreuzberg, wo das Genre eigentlich so etwas sein sollte wie
das letzte absolute Tabu. Mit Musik, die auffällt – was heute ja auch schon
einmal etwas (und übrigens ziemlich schwierig) ist –, der sehr wahrscheinlich
erflunkerten Biografie um eine künstlerisch motivierende fünfjährige Auszeit in
einem Dreißigseelendorf und jeder Menge Charme unter dem eleganten Zwirn
umschmeichelt Dagobert sein Publikum dabei hocherfolgreich. Man nimmt dem Mann,
dessen schweizerisch akzentuierte Sprechstimme beim Singen einen tendenziell bayerischen
Einschlag annimmt, selbst das Geständnis kaum übel, einst von den Scorpions zum
Musikmachen bekehrt worden zu sein. Und das will etwas heißen!
Kleine
Wahrheiten
Unter
Mithilfe seines Produzenten Markus Ganter und mit Konstantin Gropper alias Get
Well Soon als Sachverständigem in Sachen Streicherarrangements kommt „Afrika“
zwischen flotter Umpta-Rhythmik, von Pauken und Trompeten umrahmtem
Walker-Brothers-Pop, Ennio-Morricone-Harmonien, Stromrocksolo und Synthesizerfanfare
daher. Dazu etwas Chanson, liebliche Klaviermelodien, „La-la-la“-Chöre und nach
französischen Schwarz-Weiß-Filmen mit Agenten klingende Noir-Gitarren. Vor
allem aber geht es mit nüchtern-bedrückt bis nachdrücklich-flehender Stimme um Reflexionen
in Sachen „Sehnsucht“, „Du bist tot“, „Wir leben aneinander vorbei“, Rede mit
mir“ und das „Traurige Ende eines schönen Tages“. Nur zwischendurch – und dank
heißer, die Nussschale zum Schaukeln bringender Amore in der „Moonlight Bay“ –
ist alles fast so gut und schön wie bei Hansi Hinterseer im Fernsehen.
Als
Dichterfürst der Liebe mag Dagobert heute nicht immer ins Schwarze treffen
(„Ich mag dich mehr als all den Frust. Hast du das eigentlich gewusst?“). Dafür
aber kann man ihn verstärkt als Philosophen entdecken, der die kleinen
Wahrheiten des Lebens mit der großen Überzeugung und Selbstverständlichkeit des
Schlagers erzählt: „Manchmal traurig, manchmal froh. Das war bei mir immer so.“
Dagobert: Afrika
(Buback/Universal Music)
Live am 29.
April im brut im Künstlerhaus
(Wiener Zeitung, 14./15.3.2015)
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