Freitag, März 13, 2015

Schlager, das letzte Tabu

Dagobert, der „Schnulzensänger aus den Bergen“, veröffentlicht sein zweites Album

Grundsätzlich einmal geht es im Schlager exakt darum: Liebe, Liebe und nochmals Liebe. Immerhin lässt sich dank dieser der graue Alltag ebenso in Zuckerlrosa einfärben wie mit ihrem Trägermedium selbst, der Musik, die im Schlager bekanntlich nichts weniger ist als der Schlüssel zum Glück. Und natürlich geht es auch um die Sehnsucht, die sich nicht auf ein Herzilein allein konzentrieren muss. Man kann sich auch wünschen, dass etwas wieder so wird, wie es einmal war, oder dass etwas anders wird, als es ist, sofern man nicht konkretere Zielgegenstände ins Auge fasst – wie etwa die Heimat, die Berge, oder, als Kontrastmittel der Flucht in die Flucht, den Süden. Sommernacht in Rom! Am Ende aber auch: Arrivederci Hans!

Paradies: Liebe?

Dagobert, laut Eigenbezeichnung „Schnulzensänger aus den Bergen“, darf nach einem selbstbetitelten Debütalbum aus dem Jahr 2013, das sich ganz der (unglücklichen) Liebe verschrieb („Ich bin zu jung“) und dabei nicht zuletzt herrliche Zitatangebot mit sich brachte („Du bist viel zu schön, um auszusterben. Lass deine Kinder deine Schönheit erben!“), nun also die Koffer packen. Sein zweiter Streich trägt den Titel „Afrika“ und kommt nicht etwa als „Paradies: Liebe“ daher. Stichwort: Nicht mehr ganz so junge Mitteleuropäer, die Wärme suchen und deshalb nach Kenia fliegen – um dort vor allem die Sexwirtschaft anzukurbeln. Nein, Dagobert bringt den einst über das Wirtschaftswunder ermöglichten Eskapismus mit Endstation Jesolo ins Heute, verlagert und globalisiert den Schauplatz und rundet die Ergebnisse mit einer nicht unbedingt genrespezifischen Note ab, die dunkler, ja, weltabgewandter ausfällt. Der nicht von ungefähr bei „Go West“ von den Village People andockende Titelsong des Albums schließlich verabschiedet sich mit sanfter Wehmut gänzlich aus der Zivilisation. Stattdessen: Dschungel, Tiere um uns, ua-ua-ua!

Dagobert darf das. Sein Schlager ist nicht der Schlager für die Mehrzweckhallen zwischen Amstetten und Schwäbisch Gmünd. Sein Schlager ist der Schlager für die Clubs von Berlin Mitte und Kreuzberg, wo das Genre eigentlich so etwas sein sollte wie das letzte absolute Tabu. Mit Musik, die auffällt – was heute ja auch schon einmal etwas (und übrigens ziemlich schwierig) ist –, der sehr wahrscheinlich erflunkerten Biografie um eine künstlerisch motivierende fünfjährige Auszeit in einem Dreißigseelendorf und jeder Menge Charme unter dem eleganten Zwirn umschmeichelt Dagobert sein Publikum dabei hocherfolgreich. Man nimmt dem Mann, dessen schweizerisch akzentuierte Sprechstimme beim Singen einen tendenziell bayerischen Einschlag annimmt, selbst das Geständnis kaum übel, einst von den Scorpions zum Musikmachen bekehrt worden zu sein. Und das will etwas heißen!

Kleine Wahrheiten

Unter Mithilfe seines Produzenten Markus Ganter und mit Konstantin Gropper alias Get Well Soon als Sachverständigem in Sachen Streicherarrangements kommt „Afrika“ zwischen flotter Umpta-Rhythmik, von Pauken und Trompeten umrahmtem Walker-Brothers-Pop, Ennio-Morricone-Harmonien, Stromrocksolo und Synthesizerfanfare daher. Dazu etwas Chanson, liebliche Klaviermelodien, „La-la-la“-Chöre und nach französischen Schwarz-Weiß-Filmen mit Agenten klingende Noir-Gitarren. Vor allem aber geht es mit nüchtern-bedrückt bis nachdrücklich-flehender Stimme um Reflexionen in Sachen „Sehnsucht“, „Du bist tot“, „Wir leben aneinander vorbei“, Rede mit mir“ und das „Traurige Ende eines schönen Tages“. Nur zwischendurch – und dank heißer, die Nussschale zum Schaukeln bringender Amore in der „Moonlight Bay“ – ist alles fast so gut und schön wie bei Hansi Hinterseer im Fernsehen.

Als Dichterfürst der Liebe mag Dagobert heute nicht immer ins Schwarze treffen („Ich mag dich mehr als all den Frust. Hast du das eigentlich gewusst?“). Dafür aber kann man ihn verstärkt als Philosophen entdecken, der die kleinen Wahrheiten des Lebens mit der großen Überzeugung und Selbstverständlichkeit des Schlagers erzählt: „Manchmal traurig, manchmal froh. Das war bei mir immer so.“          

Dagobert: Afrika (Buback/Universal Music)

Live am 29. April im brut im Künstlerhaus

(Wiener Zeitung, 14./15.3.2015)

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