Die US-Band Liturgy
und ihr Black Metal für Menschen, die keinen Black Metal hören
Früher
einmal war die Sache ganz klar. Black-Metal-Musiker und ihre Fans träumten auf
Bettgestellen aus am Kopf stehenden Kreuzen vom Tier 666, dem Ausweiden
germanischer Jungfrauen zwecks Opfergabe an den „Lord Of The Abyss“ und dem langen
Abgang der Erde durch den ewigen Höllenschlund. Nach dem Frühstück (die Asche
von Aleister Crowley und ein halber Liter finnischer Korn der Marke „Total War“
für hinterher!) ging es durch den dunklen, dunklen Wald zum nächsten Dorf, in
dem es eine Kirche gab, die man anzünden konnte. Keine Gnade ist unsere Gnade!
Kill! Kill! Die! Die!
IS der Popkultur
Black-Metal-Musiker
trugen Leichenschminke im Gesicht und sangen guttural zwischen grabestiefem Sensenmanngrunz
und dem exorzistisch-besessenen Falsett eines Untergangsrumpelstilzchens zu
Doublebassdrum-Attacken und messerscharfen Massakerriffs in fremden Zungen ohne
Scham über Schändung. Sie kultivierten eine Vorliebe für nordische Heldensagen,
Massenmord und Joseph Goebbels und wurden von den US-Behörden für Amokläufe auf
Schularealen verantwortlich gemacht, wenn daran gerade einmal keine Videospiele
schuld sein sollten. Zweifelsohne war Black Metal der Islamische Staat der
Popkultur! Zumindest wenn man davon absieht, dass man die Fans des Genres
zuhause am Land als freundliche Veganer kennenlernte, die nach dem Zivildienst
eine Ausbildung zum Altenpfleger anstrebten, um der Gemeinschaft ihren Dienst
zu erweisen. Keine Hintergedanken jetzt! No sacrifices!
Nach
diversen Mutationen ist man heute aber längst anderswo angekommen. Immerhin wurde
das bevorzugt in Überschallgeschwindigkeit absolvierte Dauerstakkato im
sogenannten Blackgaze ab Mitte der Nullerjahre über Bezüge zu Postrock,
Shoegazing und Ambient nicht nur in Richtung Entschleunigung und ein mehr an
Subtilität adaptiert. Vor allem die Loslösung vom ideologischen Unterbau zwecks
Fokussierung auf die ästhetische Kraft der per se wirkungsmächtigen Musik
allein ist zu nennen. Bands wie Wolves In The Throne Room oder vor allem die
für die Hochenergiestudien ihres Albums „Sunbather“ von 2013 auch im Feuilleton
gefeierten Deafheaven aus San Francisco konnten damit nicht zuletzt eine
Indie-affine Zielgruppe erreichen: Black Metal für Leute, die keinen Black
Metal hören. Ohne Leichenschminke und mit Jeans und Freizeithemd wie du und ich
im verhaltensunauffälligen Allerweltsoutfit versahen hier Acts ihren Dienst, denen
mit dieser Montur in Finnland vor zwanzig Jahren wegen Entwürdigung eines
Kulturguts noch der Scheiterhaufen gedroht hätte.
Dunkel und Licht
Liturgy
aus New York mit dem zum Manifest neigenden Sänger und Mastermind Hunter Hunt-Hendrix
an der gegenwärtigen Spitze einer Bewegung werden aus puritanischen Kreisen übrigens
auch heute noch angefeindet. Mit dem nun erscheinenden dritten Album des
Quartetts, dem knapp einstündigen programmatischen Monolithen „The Ark Work“,
sollte sich daran nichts ändern. Immerhin weicht die Band den Grundentwurf hier
auch ohne gutturalen Gesang noch weiter auf. Zwischen monumentalen
Bläserfanfaren, nachtschwarzen Bassdrones, grundierenden Orgelsounds,
beigestelltem Dudelsack, Glockengeläut, in endzeitlicher Wucht sonische
Schönheit verbreitenden Gitarrenakkorden und einem Schlagzeug, das an
gebirgsmassive Gerölllawinen erinnert, entsteht ein Sound, in dem man ertrinken, in dem man sich ertränken könnte. Dabei beweist sich einmal mehr,
dass die zwischenzeitliche Reduktion von Tempo mit einem Griff zur Handbremse
den Druck nur ins Angenehm-Unerträgliche zu erhöhen vermag.
Trotz
all der auf die letzten Tage verweisenden Düsterharmonik fokussieren die
Ergebnisse im Gegensatz zu alten Black-Metal-Vorgaben allerdings nicht den Tod,
sondern das Leben. Liturgy, Wandlung, aus Dunkel wird Licht: Letztlich hört man
Musik, die vorzüglich reinigt und unermesslich befreit.
Liturgy: The Ark
Work (Thrill Jockey)
(Wiener Zeitung, 21./22.3.2015)
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