Freitag, April 17, 2015

Der Riss bringt das Licht

Das Wiener Trio Shampoo Boy veröffentlicht mit „Crack“ sein zweites Album

Die Geschichte geht so: Der auch für eigene musikalische Projekte wie etwa KTL mit Stephen OʼMalley von den Drone-Metal-Mönchen Sunn O))) bekannte britische Wahlwiener Peter Rehberg betreibt mit Editions Mego das international wahrscheinlich meistbeachtete Label des Landes. Mit Christian Schachinger, Musikkritiker der Tageszeitung „Der Standard“, verbindet ihn nicht nur eine Freundschaft, sondern durch die 1989/1990 nur sehr kurzzeitig aktiven Peterlicker auch ein kreatives Joint Venture. Aus einer kaum länger währenden Reunion im Jahr 2011 ging unter anderem die Erkenntnis hervor, dass man heute etwas anderes machen will. Unter Einbindung der Comfortzone-Labelchefin Christina Nemec am Bass wurden Shampoo Boy gegründet, die 2013 mit „Licht“ debütierten. Die dabei eingeschlagene Route wird mit dem Nachfolger „Crack“ nun konsequent fortgeführt.

Dem Zufall eine Chance

Ohne Gesang und Schlagzeug, dafür mit Bass, Gitarre und diverser elektronischer Gerätschaft wird über Bezüge zu den Fachbereichen Drone und Ambient sowie über Noise-Nachwehen und metallische Überreste im Experiment improvisiert. Wir hören stoische Monolithen inklusive endzeitliches Kirchturmgeläut imitierender Bassgitarren, die eine dustere Gestimmtheit vermuten lassen. Als Kontrast dient aber nicht nur die bei Leonard Cohen („There is a crack in everything / That’s how the light gets in“) angelehnte Titelgebung der Arbeiten. Christian Schachinger zur „Wiener Zeitung“: „Dunkelheit ohne Mindestbeleuchtung ist langweilig. Dort, wo das Licht durchbricht, wird es spannend. Unsere Musik ist nicht negativ oder lichtabgewandt. Der Weg zur Sonne ist allerdings oft mit Arbeit verbunden.“

Die offene Arbeitsweise („Freie Improvisation ohne Absprache und Vorgaben. Anschließend Mischpult und schneiden, mischen, kürzen. Keine Overdubs.“) trifft dabei auf eine auch von knapp gehaltenen Songtiteln wie „Spalt“, „Riss“ und „Bruch“ vermittelte ästhetische Formenstrenge. Wie steht es um das Verhältnis von Konzept und Zufall bei Shampoo Boy? „Es gibt musikalische Neigungen im Sinne eines natürlichen Einverständnisses innerhalb der Band, man muss dem Zufall allerdings immer eine Chance geben.“

Die Bestrebung, trotz bis zu gut 16-minütiger Stücke zu wirtschaften, also keinen Ton zu viel zu spielen („Keine Akkorde, keine Refrains! Der Rest ist Jazz mit gebrochenen Fingern“), ist hörbar geglückt. Über das Unterfangen, heute „ruhigere, atmosphärische Musik“ zu machen, konstatiert Schachinger, ironisch gebrochen, hingegen ein Scheitern: „Das ist wahrscheinlich gründlich schiefgegangen, aber das Testosteron und der Rock ’n’ Roll sind weitgehend draußen.“

Am Ende: Katharsis

Dass Shampoo Boy zu zwei Dritteln aus Labelbetreibern bestehen, ist zumindest in der Hinsicht egal, dass „Crack“ trotzdem beim angesagten Londoner Label Blackest Ever Black erscheint: „Peter Rehberg hat sich noch nie mit seiner eigenen Musik bei einem anderen Label beworben. Er fand die Idee charmant. Das BEB-Label macht coole Sachen. Wir bekamen die Zusage innerhalb von drei Tagen.“ Und auch für die Albumpräsentation blickt und fährt man über die Grenze – sie wird am 23. April im Berliner N.K. stattfinden. Schachinger: „In Wien ist es seit zehn Jahren und dem Aufkommen katholischer Jungscharlager-Bands mit Wandergitarren und Peter-Bursch-Gitarrenbüchern schwierig für extremere Arten der Musik geworden. Selbst auf Ö1 oder FM4 sind sie absolutes Nischenprogramm. International extrem erfolgreiche Leute wie Fennesz bekommen kaum noch Angebote aus Wien oder Österreich. Bei Shampoo Boy kommt noch dazu, dass ich natürlich aufgrund meines Berufs der Böse bin. Wir können aber damit gut leben.“

Diese Einstellung ist „Crack“ durchaus anzuhören. Soll die Musik am Ende Katharsis, Reinigung, Befreiung ermöglichen? Christian Schachinger says „Ja!“.

Shampoo Boy: Crack (Blackest Ever Black)

(Wiener Zeitung, 18./19.4.2015)

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