Freitag, April 03, 2015

Sonnenschein und Gartenkunst

Als astronomischen Frühlingsbeginn kennt und schätzt die Nordhalbkugel der Erde noch bis ins Jahr 2048 den 20. März. Sollte sich das Wetter als vom Stichtag unbeeindruckt erweisen, hilft nur mehr Musik. Meteorologisch-popkulturelle Fusionsnotizen mit Hörbeispielen.

Sigur Rós – Gobbledigook: Als „Das finstere Tal“ der echten Welt gilt Viganella im Piemont. Die umliegenden Berge sorgten traditionellerweise dafür, dass 170 Einheimische knapp drei sehr lange Wintermonate lang keiner Sonne ansichtig wurden. Erst die Montage einer Spiegelvorrichtung brachte im Jahr 2006 einen Hauch jener Linderung, die man sich in vergleichbar dusteren Gebieten zwischen Sibirien, Finnland und Ebensee hart mit Vodka und Schnaps erarbeiten muss. Da nur ein kleiner Teil des Tals von der Lichtspiegelung erreicht werden kann, bleibt die Möglichkeit, „I See A Darkness“ von Bonnie „Prince“ Billy zur Ortshymne zu ernennen, aber weiterhin gegeben. Trotz ähnlicher Lichterfahrungen in ihrer isländischen Heimat spielten sich Sigur Rós mit „Gobbledigook“ 2008 hocheffizient von Kälte und Schatten frei. Ein Song, so frisch wie der Morgentau, so zart wie die Kirschblüte, so leichtfüßig wie eine Primaballerina, über Wiesen aus Zuckerwatte tänzelnd.

Prince – Sometimes It Snows In April: Nicht nur Eisbären, Auerhähne und Luchse beginnt es spätestens im März erheblich zu jucken. Auch der Mensch im Frühling: immer ein wenig wurlert und ding. Weniger Kleidung. Mehr Reize. Dazu erhöhte Lockstoffwerte in der Luft und sich eifrig tupfendes Getier am Rande des Wegs! Dass Prince, dieser erotomanischste Sexomat aller Gitarrenschwurbler, mit einem Geburtsdatum am 7. Juni ein Kind des Frühlings ist, versteht sich von selbst. Dass sein bekanntester Song mit Frühlingsbezug in Sachen Doppelbettbödigkeit („I’d like to funk!“), Adjektiva („hot!“, „funky!“) und Symptominterjektionen („sh-boogie bop“) allerdings unauffällig bleibt, überrascht dann schon eher. Das zur aktuellen Wetterlage passende „Sometimes It Snows In April“ ist eine betrübte Meditation zum Thema Tod, die auch bei einem Sonnenbad im Grünen melancholisch stimmen dürfte.

Joanna Newsom – In California: Schon in der Bibel steht geschrieben, dass es im Himmel Geigen gibt – und vor allem auch Harfen. Über die US-Harfenistin Joanna Newsom sagen die einen: lieber freiwillig Fegefeuer für immer als zwei Minuten mit dieser Stimme! Die anderen wiederum sind der Meinung: Hach! Seufz! Ja! Ja! Als Hippieparadies für Menschen mit Blumen im Haar wurde Kalifornien schon vielfach besungen. Realiter wird der US-Bundesstaat heute nicht zuletzt von Wohlhabenden als Rückzugsgebiet mit gutem Klima und Weinanschluss geschätzt. Joanna Newsom reicht mit „In California“ ein knapp neunminütiges Kammerdrama, das uns alles gibt: „When you come and see me in California / you cross the border of my heart.“ Wer diese Musik nicht liebt, liebt nichts mehr auf Erden.

Brian Eno/John Cale – Spinning Away: Am Ende des Tages sitzt jemand auf einem Hügel unter dem Himmel und fängt die Stimmung mit dem Bleistift ein. Der Himmel ist violett, später rabenschwarz, Hauptrollen spielen ein Flugzeug, eine goldene Kette (poetisch für den Kondensstreifen) und der auftauchende Mond. Die Zeichnung entschwindet und alle vier Winde verfallen in ein letztes leises Seufzen. Die Kollaboration von Brian Eno und John Cale mit dem Album „Wrong Way Up“ markierte im Jahr 1990 ein ebenso überraschendes wie überzeugtes Bekenntnis des Doppels zum Pop – Streicher und Synthesizer in himmlischer Umarmung. Ein Song wie ein Tagtraum. Im Gras. Am Flussufer. Für immer.

Future Islands – Sun In The Morning: „Ohne Sonne kein Leben“, das klang vermutlich immer schon schlüssig. Dass sich die Erde um den ewigen Feuerball bewegt (und nicht der ewige Feuerball um die Erde), wäre über eine frühere Erfindung der Popmusik aber wesentlich schneller verständlich gewesen. Die dort erfolgte Gleichsetzung der Geliebten mit einer Sonne, um die sich alles dreht – Und für die wir uns ja bitteschön alle verdrehen! Jederzeit wieder! Gerne gleich jetzt! – dominiert nicht unbedingt wenige Songs. Steinzeitlich von Trommeln bestimmte, sogar noch vor dem geozentrischen Weltbild hängengebliebene männliche Grunzspielarten im Metal, bei denen ewige Dunkelheit das höchste Gut ist und die Sonne maximal eine auch von PeterLicht besungene „gelbe Sau“, jetzt einmal ausgelassen. Wenn Samuel T. Herring, Sänger der US-Band Future Islands, als Sonnenanbeter für uns vor ihr auf die Knie geht, ist jedenfalls alles eindeutig: Sowohl Kopernikus als auch das Problem der Kirche mit den Frauen. Und immer, immer wieder geht die Sonne auf. Schon in der Früh zum Beispiel, beim gemeinsamen Kaffeetrinken.

Gustav – Verlass die Stadt: „O schüttle ab den schweren Traum / und die lange Winterruhʼ; / es wagt es der alte Apfelbaum / Herze, wag’s auch du!“ – nicht nur die Gentrifizierung in Richtung der Außenbezirke könnte ein Argument dafür sein, sich anstelle einer Eigentumswohnung in der Stadt ein Häuschen im „strukturschwächeren“ Raum zuzulegen, wo Fuchs und Hase sich wesentlich später Gute Nacht sagen, als der örtliche „Nah & Frisch“ offen hat. Am frühen Abend werden die Gehsteige hochgeklappt und außer einer erzwungenen Abkehr von unserer „Hektomatikwelt“ bleibt einem nur eventuell noch etwas Gartenarbeit. Die eingangs zitierten Verse aus der Feder Theodor Fontanes fanden popkulturell selten so deutlich Widerhall wie 2006 bei Blumfeld: „Der Apfelmann in seinem Garten / hat keine Zeit sich auszuruhʼn. / Er sieht die Apfelbäume warten / und weiß, es gibt noch viel zu tun.“ Bei Eva Jantschitsch alias Gustav wiederum schickt sich der städtische Moloch an, bald alles in Schutt und Asche zu legen, und die Folgen für uns sind ebenso eindeutig wie die Konsequenzen: „Die Seele brennt / genau wie all der Orte Straßen. / Es ist Zeit diese Stadt zu verlassen.“ Zwischen den Salathäupteln wächst Unkraut. Und bitte, der Buchsbaum gehört auch wieder geschnitten!

Beach House – Walk In The Park: Parks sind eine tolle Erfindung. Sie verschönern die Städte, denen sie auch in Sachen Sauerstoffbildung aushelfen, und bieten Büromenschen in der Mittagspause eine willkommene optische Abwechslung zu Betonwand, Bildschirm und Espressomaschine – nicht zuletzt mit dem studentischen Jungvolk im Hintergrund, das sich, auf der Wiese lümmelnd, bereits dem Dosenbier widmet. Those were the days! Historisch darf man an Ursprünge der Gartenkunst in der Antike ebenso denken wie an das Prä-Schloss-Geprotze französischer Sonnenkönige oder die Ankunft des öffentlichen Gartens in den Niederungen des Volks im 18. Jahrhundert. In Amerika gibt es Parks, die sehr unnatürlich sind, und in die der alte Walt Disney Kinder mit freilaufenden Mickey Mäusen zu locken gedenkt.

Udo Jürgens hatte eine Gaby im Park warten, um im gehobenen Schlagerfach über Seitensprünge zu reflektieren. Lou Reed erlebte seinen „Perfect Day“ auf der Liegewiese (ohne Dosenbier, mit Sangria). Hinter dem „Parklife“ von Blur mochte sich auch ein Sinnbild für das Lotterleben verstecken. In keinem Genre dürfte der Volksgarten aber besser aufgehoben sein als im Dream Pop, der Mußestunden quer durch die Jahreszeiten fokussiert und im Fall von Beach House zwar inhaltlich ohne Happy End daherkommt. Als im Sound mindestens angenehme Einladung zum Schwelgen in Gedanken wird der Seele hier aber hocherfolgreich geschmeichelt.                  

(Wiener Zeitung, 4./5.4.2015)                 

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