Donnerstag, April 02, 2015

„Oh weh!“-Gefühle und Trost

Paul Simon und Sting unterhielten in der Wiener Stadthalle als gemischtes Doppel

Die Summe aller Radioeinsätze des Doppels liegt vermutlich im Fantastilliardenbereich. Gemeinsam haben Paul Simon und Sting aber nicht nur eine Weltkarriere als Songwriter, die man zumindest auszugsweise auf Ö3 nachhören könnte –  wenn man blöd genug wäre, Ö3 zu hören. Auch kann mit Band oder solo auf ein üppiges Werk abseits der Genres „Hit“, „Evergreen“ und „Das kennt sogar meine Oma!“, je einen Musicalflop am Broadway und die gleiche Wohnadresse in New York, die nun auch zur „On Stage Together“-Tour führte, verwiesen werden.

So lonely!

Im Duo mit Art Garfunkel beklagte Paul Simon zwischen 1964 und 1970 als zarteste Folkmusikversuchung das Leid an einer Welt, die hoffentlich nicht so schlimm wird, wie sie es schon ist. Bei erhöhtem sozialen Gewissen und zu blauen Noten war nicht nur im September, sondern auch in den elf Monaten rundherum Melancholie angesagt. Solo ab dem Album „Graceland“ im Jahr 1986 auch auf Einflüsse afrikanischer Musik unter besonderer Berücksichtigung des Zulu-Traditionen fortführenden Mbaqanga-Stils fokussiert, änderte sich an diesem Lebensgefühl grundsätzlich nichts. Sting wiederum musste über seine schneidig Jungmännerleid (Zu wenig Sex! Zu viel Zeit! So lonely!) verhandelnde Arbeit mit The Police im „Oh weh!“-New-Wave erst die Erkenntnis erlangen, dass es anderen Menschen noch schlechter geht. Die Folgen im Bereich der Wohltäterschaft sind bekannt. Zu gleichfalls erfolgten stilistischen Brückenschlägen nach Afrika und Jamaika kamen hier aber auch Irrgänge in Richtung Besserverdienerjazz, Ethnofusions-Dullijöh und elisabethanische Lautenmusik. Wenn ein Musiker leidet, leidet das Publikum mit.

In der Wiener Stadthalle vor 11.000 Fans unterstreicht das an die Unterstützung versiertester Sessionmusiker gewöhnte Joint Venture zunächst vor der Kulisse einer 16-köpfigen Begleitband inklusive dreier Schlagwerker, dass es bezüglich seiner Kernkompetenzen heute in die Vollen geht. Entsprechend wird Sting auch eigentlich sehr gut gealterte Police-Hadern wie „Driven To Tears“, „Roxanne“, „Message In A Bottle“ und  „Every Breath You Take“ mit zum Vollblutmusikertum neigendem Spiel zwischen Jam- und Jazzkeller-Intermezzo, Tubasolo und zentralafrikanisch angehauchtem „Iye-Iye-yoyo“-Call-and-response-Gesang sanft ins Eitel-Edle deuten. Wir hören Versionen mit dem gewissen Rotweinabendgefühl, die dem einstigen inneren SOS-Zustand eines Wegs, der kein leichter ist, eine vielleicht alters-, hochwahrscheinlich aber kontostandsbedingt gelassene Note verleihen. Sting, der spirituell-durchtrainierte Agnostiker und Paul Simon, der kurze Nachdenkliche an der zu großen Gitarre, werden so teils im auf Harmonie gestimmten Zusammenspiel oder mit karriereerklärenden „Solo“-Blöcken samt Band auf 35 Songs in knapp drei Stunden kommen.

Alles wird gut

Sting, heute im Out-of-Bed-Look samt Hipsterbart, mag auch angesichts vom Formatradio dauerabonnierter Hits wie „Englishman In New York“ die offensichtlicheren Mitsingangebote auf die Setlist geschrieben haben. Mitunter hat der Abend dann auch seinen Preis, der in etwa im Bereich der mit 567 Euro teuersten offiziellen Vorverkaufstickets liegen dürfte (das Strandhaus in Malibu erhält sich nicht von alleine!). Als Understatement angelegte Paul-Simon-Songs wie das eklektische „Dazzling Blue“ vom 2011er-Album „So Beautiful Or So What“ sind vor diesem Hintergrund also durchaus willkommen. Pflichtschuldig für das Publikum werden mit „Diamonds On The Soles Of Her Shoes“ und „You Can Call Me Al“ aber auch hier im Ö3-Teil die größten Hits der 80er Jahre gereicht.

Am Ende vergibt Paul Simon zwar zum mindestens zweiten Mal die historische Chance, sich „Bridge Over Troubled Water“ ganz zu eigen zu machen. Zu diesem Zeitpunkt weiß ein erheblich vom Konzert gezeichnetes, gerührtes Publikum aber bereits, dass letztlich alles gut sein wird – ganz im Sinne der prototypischen Kernbotschaft, die sich hier immer mit Trost und Rat und Zuversicht gegen das innere „Oh weh!“-Gefühl stemmt. 

(Wiener Zeitung, 3.4.2015)

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