Paul Simon und Sting unterhielten in der Wiener Stadthalle als gemischtes
Doppel
Die Summe aller Radioeinsätze des Doppels liegt
vermutlich im Fantastilliardenbereich. Gemeinsam haben Paul Simon und Sting
aber nicht nur eine Weltkarriere als Songwriter, die man zumindest auszugsweise
auf Ö3 nachhören könnte – wenn man blöd
genug wäre, Ö3 zu hören. Auch kann mit Band oder solo auf ein üppiges Werk
abseits der Genres „Hit“, „Evergreen“ und „Das kennt sogar meine Oma!“, je einen
Musicalflop am Broadway und die gleiche Wohnadresse in New York, die nun auch
zur „On Stage Together“-Tour führte, verwiesen werden.
So lonely!
Im Duo mit Art Garfunkel beklagte Paul Simon zwischen
1964 und 1970 als zarteste Folkmusikversuchung das Leid an einer Welt, die
hoffentlich nicht so schlimm wird, wie sie es schon ist. Bei erhöhtem sozialen
Gewissen und zu blauen Noten war nicht nur im September, sondern auch in den
elf Monaten rundherum Melancholie angesagt. Solo ab dem Album „Graceland“ im
Jahr 1986 auch auf Einflüsse afrikanischer Musik unter besonderer
Berücksichtigung des Zulu-Traditionen fortführenden Mbaqanga-Stils fokussiert,
änderte sich an diesem Lebensgefühl grundsätzlich nichts. Sting wiederum musste
über seine schneidig Jungmännerleid (Zu wenig Sex! Zu viel Zeit! So lonely!) verhandelnde
Arbeit mit The Police im „Oh weh!“-New-Wave erst die Erkenntnis erlangen, dass
es anderen Menschen noch schlechter geht. Die Folgen im Bereich der Wohltäterschaft
sind bekannt. Zu gleichfalls erfolgten stilistischen Brückenschlägen nach
Afrika und Jamaika kamen hier aber auch Irrgänge in Richtung
Besserverdienerjazz, Ethnofusions-Dullijöh und elisabethanische Lautenmusik.
Wenn ein Musiker leidet, leidet das Publikum mit.
In der Wiener Stadthalle vor 11.000 Fans unterstreicht
das an die Unterstützung versiertester Sessionmusiker gewöhnte Joint Venture zunächst
vor der Kulisse einer 16-köpfigen Begleitband inklusive dreier Schlagwerker,
dass es bezüglich seiner Kernkompetenzen heute in die Vollen geht. Entsprechend
wird Sting auch eigentlich sehr gut gealterte Police-Hadern wie „Driven To
Tears“, „Roxanne“, „Message In A Bottle“ und
„Every Breath You Take“ mit zum Vollblutmusikertum neigendem Spiel
zwischen Jam- und Jazzkeller-Intermezzo, Tubasolo und zentralafrikanisch angehauchtem
„Iye-Iye-yoyo“-Call-and-response-Gesang sanft ins Eitel-Edle deuten. Wir hören
Versionen mit dem gewissen Rotweinabendgefühl, die dem einstigen inneren SOS-Zustand
eines Wegs, der kein leichter ist, eine vielleicht alters-, hochwahrscheinlich
aber kontostandsbedingt gelassene Note verleihen. Sting, der
spirituell-durchtrainierte Agnostiker und Paul Simon, der kurze Nachdenkliche an
der zu großen Gitarre, werden so teils im auf Harmonie gestimmten Zusammenspiel
oder mit karriereerklärenden „Solo“-Blöcken samt Band auf 35 Songs in knapp
drei Stunden kommen.
Alles wird gut
Sting, heute im Out-of-Bed-Look samt Hipsterbart, mag
auch angesichts vom Formatradio dauerabonnierter Hits wie „Englishman In New
York“ die offensichtlicheren Mitsingangebote auf die Setlist geschrieben haben.
Mitunter hat der Abend dann auch seinen Preis, der in etwa im Bereich der mit
567 Euro teuersten offiziellen Vorverkaufstickets liegen dürfte (das Strandhaus
in Malibu erhält sich nicht von alleine!). Als Understatement angelegte Paul-Simon-Songs
wie das eklektische „Dazzling Blue“ vom 2011er-Album „So Beautiful Or So What“
sind vor diesem Hintergrund also durchaus willkommen. Pflichtschuldig für das
Publikum werden mit „Diamonds On The Soles Of Her Shoes“ und „You Can Call Me
Al“ aber auch hier im Ö3-Teil die größten Hits der 80er Jahre gereicht.
Am Ende vergibt Paul Simon zwar zum mindestens zweiten
Mal die historische Chance, sich „Bridge Over Troubled Water“ ganz zu eigen zu
machen. Zu diesem Zeitpunkt weiß ein erheblich vom Konzert gezeichnetes, gerührtes
Publikum aber bereits, dass letztlich alles gut sein wird – ganz im Sinne der
prototypischen Kernbotschaft, die sich hier immer mit Trost und Rat und
Zuversicht gegen das innere „Oh weh!“-Gefühl stemmt.
(Wiener Zeitung, 3.4.2015)
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