Samstag, April 18, 2015

Die DM-Situation

Schall & Rauch

Die unmittelbaren Konsequenzen waren mir nicht im vollen Ausmaß bewusst, als ich 1997 im EDV-Raum des Bundesgymnasiums Vöcklabruck meine Handlungen setzte. Fest stand aber immerhin – bald auch über die an Sowjet-Science-Fiction aus fernen Tagen erinnernden Einwahlgeräusche eines 56k-Modems der Marke U.S. Robotics zuhause im Zimmer –, dass das Internet großartig war. Man konnte sich dort nicht nur mit Informationen über seine own, personal Helden der Musik effizient von „nächste Woche Chemie-Test, Latein-Schularbeit und irgendetwas mit Mathematik war auch noch, ja spinnen denn die?“ ablenken, den Konsum indiskreter Zeitschriften (aber psst!) mit einem Mausklick umgehen und per E-Mail fast schneller mit den Freunden kommunizieren, als das mit der Schneckenpost möglich war – sofern die Freunde auch ein Standgerät hatten, an dem sie sich in drei Tagen mit dem Aliengeräuschmodem wieder ins Netz beamen würden, obwohl sie doch eigentlich lernen sollten. „Piep, tipp, pfeif – stotter-stotter, zusch, zosch!“

Was waren nun meine Handlungen? Um eine E-Mail schreiben zu können, braucht man auch eine E-Mail-Adresse. Diese sollte nicht unbedingt fad mit „andi.84“ beginnen, wird aber, wenn man keine Idee und keine Zeit, dafür aber bald Test, Schularbeit und irgendetwas mit Mathematik hat, letztlich auch nicht kreativer als „dmrauschal“ ausfallen, während man sich gerade im Netz über seine own, personal Helden der Musik informiert: Depeche Mode, DM. DM wie Deutsche Mark, Direktmarketing, Dunkle Materie, Dieselmotor, Denkmal, D-Moll, Diabetes mellitus und Diplom-Medizin, also immer auch: Rätsel, Spekulation, was meint er, was will er, heißt er in Wirklichkeit Doris Martina oder Daniel Maria, macht er ein Praktikum beim Drogeriemarkt, warum wissen wir das nicht, und kriegen wir dann bitte wenigstens einen Rabatt auf unsere Hygieneartikel, wenn wir dort das nächste Mal einkaufen gehen?

Bedauerlicher-, teils vielleicht auch glücklicherweise drang nur ein Teil der bestimmt aufschlussreichen Überlegungen zu mir vor, die die E-Mail-Adresse zeitigen sollte. Nicht zuletzt die Vermutung einer Kollegin, ich könnte mich selbst als „der Meister“ bezeichnen, überzeugte mich jedenfalls von der Notwendigkeit einer öffentlichen Beichte mit der wahren Bedeutung. Dass sich der Berliner Promoter anlässlich eines möglichen Interviews mit Martin Gore, dem Mastermind (DM!) von DM, unlängst mit meiner Mailadresse konfrontiert, nichts anmerken ließ, war übrigens nobel. Eine solche Koinzidenz erahnt man ja selbst im Traum nicht, 1997, als 13-jähriger Fanboy.

(Wiener Zeitung, 18./19.4.2015)

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