Ab Freitag und an
zwei Wochenenden findet in Krems wieder das Donaufestival statt
Grundsätzlich sind schlechte Zeiten für eine eng in Verbindung mit den
Verhältnissen stehende Kunstproduktion schon immer eine gute Sache gewesen. Man
kann so nicht nur zwischen semi-resignativen Ausblicken („Hoffentlich wird es
nicht so schlimm, wie es schon ist“), heiterem Untergangssarkasmus („Bald haben
wir es hinter uns“) und vor allem der Kritik an bestehenden Herrschaftsstrukturen
(„Schweinerei!“) in die dunkle Materie ewiger Problemfelder eindringen. Man
kann in tollkühnen Momenten auch beginnen, die Versuchsanordnung neu zu denken
und die Möglichkeit einer Insel in den (sozialen) Brennpunkt zu rücken. Beides
versucht das Donaufestival ab kommendem Freitag an zwei Wochenenden in Krems
zum vorletzten Mal unter Leitung Tomas Zierhofer-Kins, der ab 2017 den Wiener Festwochen
vorsteht, über die gewohnte Reise zu den äußeren Zonen: Dystopie und Utopie
sind vor allem auch in ihrer Natur als Extrempole interessant – alles
dazwischen wäre Tumbleweed und gähnende Leere.
Kritische
Interventionen
Vom
Donaufestival hierzulande als treibende Kraft protegierte, prinzipiell mit dem
Präfix „radikal“ versehene neue performative Spielarten rund um das Tanztheater
treffen also auch heuer wieder auf Themen wie die Unterdrückung des Einzelnen
durch die Umstände oder die Ausbeutung ökologisch-sozialer Ressourcen durch die
Globalisierung, um künstlerische Gegenentwürfe auszustellen, die sich nicht nur
vor dem idyllischen Hintergrund der äußeren Wachau als kritische Interventionen
verstehen. Das ist mitunter so anstrengend, wie es sich anhört und liest, angesichts
der auch vom Programmheft angeführten „zentralen globalen Überlebensthemen“
unserer Zeitrechnung aber mindestens unerlässlich. Man darf diesbezüglich auf das
die Waffenindustrie umkreisende „Multi-Player-Videostück“ „Situation Rooms“ von
Rimini Protokoll oder Bernhard Hammers Installation „The Upper Classroom“
gespannt sein, die „das Ausbildungssystem post-demokratischer Eliten im
Spätkapitalismus und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft ins Visier“ nimmt.
Und auch Reverend Billy und sein Stop Shopping Choir werden mit der
vielversprechend-kompromisslos betitelten Performance „Monsanto Is The Devil“ Gift
und Galle über das normierte Saatgut eines allesdurchdringenden
Hybridkapitalismus speien.
Musikalisch
darf man sich von all diesen Problempositionen allerdings keine Verschnaufpause
erwarten. Mit Ausnahme am ehesten noch von Scott Matthew und dessen waidwunder
Ukulelenmelancholie wird der klassische Song am Donaufestival heute endgültig
abgeschafft, um mit studiertem Techno, freiem Jazz, Avantgarde-E-,
elektroakustischer Experimental- und misanthropischer Lärmmusik überwiegend Dunkelheit,
Untergang und allfällige Exorzismen walten zu lassen.
Leistungsschauen
Als
Mann der Stunde ist der aus Venezuela gebürtige Produzent Arca geladen, der etwa
auch das aktuelle Album der für Krems leider zu teuren Björk mitverantworten
durfte und über seinen Geschlechteridentität und Körper verhandelnden Grundentwurf
und eine Topposition auf der Watch-List des New Yorker Kunstmarkts aufgrund gemeinsamer
Arbeiten mit dem Videokünstler Jesse Kanda für das Donaufestival wie
maßgeschneidert wirkt. Dazu die Laptop- und Vokalakrobatin Holly Herndon, das
endzeitliche Reinigungsgewitter von Godspeed You! Black Emperor mit dem neuen
Album „Asunder, Sweet And Other Distress“, Battles und ihre zappeligen Math-Rock-Erweiterungen
oder der ätherische Klavier-Ambient von Grouper aus Portland. Als Schwerpunkte
ergänzen Leistungsschauen der Labels Noise Manifesto, Touch, Opal Tapes sowie
der heimischen Plattform klingt.org das Line-up.
Ein
Gesamtprogramm wie eine radikale Performance, ein Experimentierfeld mit
Reibebäumen, eine Frühlingsfrische unter genialischen Spinnern: Weniger ist vom
Donaufestival nicht zu erwarten.
(Wiener Zeitung, 22.4.2015)
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