Dienstag, April 21, 2015

Eine radikale Performance

Ab Freitag und an zwei Wochenenden findet in Krems wieder das Donaufestival statt

Grundsätzlich sind schlechte Zeiten für eine eng in Verbindung mit den Verhältnissen stehende Kunstproduktion schon immer eine gute Sache gewesen. Man kann so nicht nur zwischen semi-resignativen Ausblicken („Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist“), heiterem Untergangssarkasmus („Bald haben wir es hinter uns“) und vor allem der Kritik an bestehenden Herrschaftsstrukturen („Schweinerei!“) in die dunkle Materie ewiger Problemfelder eindringen. Man kann in tollkühnen Momenten auch beginnen, die Versuchsanordnung neu zu denken und die Möglichkeit einer Insel in den (sozialen) Brennpunkt zu rücken. Beides versucht das Donaufestival ab kommendem Freitag an zwei Wochenenden in Krems zum vorletzten Mal unter Leitung Tomas Zierhofer-Kins, der ab 2017 den Wiener Festwochen vorsteht, über die gewohnte Reise zu den äußeren Zonen: Dystopie und Utopie sind vor allem auch in ihrer Natur als Extrempole interessant – alles dazwischen wäre Tumbleweed und gähnende Leere.

Kritische Interventionen

Vom Donaufestival hierzulande als treibende Kraft protegierte, prinzipiell mit dem Präfix „radikal“ versehene neue performative Spielarten rund um das Tanztheater treffen also auch heuer wieder auf Themen wie die Unterdrückung des Einzelnen durch die Umstände oder die Ausbeutung ökologisch-sozialer Ressourcen durch die Globalisierung, um künstlerische Gegenentwürfe auszustellen, die sich nicht nur vor dem idyllischen Hintergrund der äußeren Wachau als kritische Interventionen verstehen. Das ist mitunter so anstrengend, wie es sich anhört und liest, angesichts der auch vom Programmheft angeführten „zentralen globalen Überlebensthemen“ unserer Zeitrechnung aber mindestens unerlässlich. Man darf diesbezüglich auf das die Waffenindustrie umkreisende „Multi-Player-Videostück“ „Situation Rooms“ von Rimini Protokoll oder Bernhard Hammers Installation „The Upper Classroom“ gespannt sein, die „das Ausbildungssystem post-demokratischer Eliten im Spätkapitalismus und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft ins Visier“ nimmt. Und auch Reverend Billy und sein Stop Shopping Choir werden mit der vielversprechend-kompromisslos betitelten Performance „Monsanto Is The Devil“ Gift und Galle über das normierte Saatgut eines allesdurchdringenden Hybridkapitalismus speien.

Musikalisch darf man sich von all diesen Problempositionen allerdings keine Verschnaufpause erwarten. Mit Ausnahme am ehesten noch von Scott Matthew und dessen waidwunder Ukulelenmelancholie wird der klassische Song am Donaufestival heute endgültig abgeschafft, um mit studiertem Techno, freiem Jazz, Avantgarde-E-, elektroakustischer Experimental- und misanthropischer Lärmmusik überwiegend Dunkelheit, Untergang und allfällige Exorzismen walten zu lassen.

Leistungsschauen

Als Mann der Stunde ist der aus Venezuela gebürtige Produzent Arca geladen, der etwa auch das aktuelle Album der für Krems leider zu teuren Björk mitverantworten durfte und über seinen Geschlechteridentität und Körper verhandelnden Grundentwurf und eine Topposition auf der Watch-List des New Yorker Kunstmarkts aufgrund gemeinsamer Arbeiten mit dem Videokünstler Jesse Kanda für das Donaufestival wie maßgeschneidert wirkt. Dazu die Laptop- und Vokalakrobatin Holly Herndon, das endzeitliche Reinigungsgewitter von Godspeed You! Black Emperor mit dem neuen Album „Asunder, Sweet And Other Distress“, Battles und ihre zappeligen Math-Rock-Erweiterungen oder der ätherische Klavier-Ambient von Grouper aus Portland. Als Schwerpunkte ergänzen Leistungsschauen der Labels Noise Manifesto, Touch, Opal Tapes sowie der heimischen Plattform klingt.org das Line-up.  

Ein Gesamtprogramm wie eine radikale Performance, ein Experimentierfeld mit Reibebäumen, eine Frühlingsfrische unter genialischen Spinnern: Weniger ist vom Donaufestival nicht zu erwarten.

(Wiener Zeitung, 22.4.2015)

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