„The Magic
Whip“: die einstigen Britpop-Helden Blur und ihr erstes Album seit zwölf Jahren
Sich
an Blur vor allem über Beiträge aus dem Sportfernsehen beschallende Hits wie
den „Song 2“ zu erinnern, ist gleichzeitig ebenso verzerrend bis falsch und
dabei so unerlässlich, wie beispielsweise an heute egale wie damals zentrale
Problemstellungen wie ein Verhältnis zu den „Kollegen“ von Oasis als gar nicht
einmal so liebste Feinde zu denken. Britpop, das war die Sache mit den
schlechten Frisuren, der auch nicht so guten Post-Lager-Lager-, also der ewigen
Katerstimmung und den Augenpartien, die zwischen „Ich hau dir in die Gosch’n!“
(Oasis) und „Medizinmann, verschreib mir die Ich-will-nicht-länger-traurig-sein-Pille“
(Damon Albarn von Blur) mindestens Bände sprachen.
Pop, die
wichtigste Sache
Es
war vor allem aber die Zeit der 90er Jahre, in denen Popmusik noch als wichtigste
Sache der Welt galt und die Unzufriedenheit junger Leute eher eine
Lebenseinstellung war als das Resultat der Lebensumstände. Es gab noch Chancen
am Arbeitsmarkt und Zinsen auf der Bank. 9/11 war nichts mehr als eine
Zahlenkombination mit Schrägstrich, der russische Präsident hieß Boris Jelzin
und selbst in London stand beim Bierpreis vermutlich noch kein Vierer davor.
Ähnlich
wie Oasis scheiterten zwar auch Blur am zunehmend auf Jagger/Richards-Niveau
fahrenden „beste Feinde“-Verhältnis ihrer zentralen Charaktere, zusätzlich
hatten Sänger Damon Albarn und Gitarrist Graham Coxon als um Weiterentwicklung
bemühte Musikarbeiter aber auch unter „künstlerischen Differenzen“ zu leiden. Coxon
verließ die Band am Beginn der Aufnahmen zum vorläufig letzten Album „Think
Tank“, das 2003 vor allem Albarns neue Interessen offenlegte. Diese zeitigten nach
dem Band-Aus neben seiner kommerziell erfolgreichsten Unternehmung, den
Gorillaz, etwa auch die Supergroup The Good, The Bad & The Queen, zwei
Ausflüge in die Oper, Klangreisen durch Afrika und 2014 das sehr gute Solodebüt
„Everyday Robots“. Graham Coxon wiederum widmete sich auf zahlreichen
Einzelgängerwerken der musikalischen Liebhaberei, Schlagzeuger Dave Rowntree
wurde Pflichtverteidiger in London und Bassist Alex James, der Playboy der
Gruppe, Käseproduzent draußen am Land. Eine Blur-Reunion für Live-Auftritte wurde
2009 als Sensation gefeiert. Dass mit „The Magic Whip“ nun auch ein Album
vorliegt, grenzt nicht zuletzt aufgrund seiner Entstehungsgeschichte gar an ein Wunder. Immerhin waren die während einer erzwungenen Tourpause in
Hongkong eingespielten Songskizzen gerade wichtig genug, um sie gleich wieder in
die Schublade zu legen. Erst eine Neusichtung durch Coxon und den Blur-geeichten
Produzenten Stephen Street beförderte die wahren Qualitäten der Demos zutage.
Mit der Zeit
gereift
Ohne
große Hits und bis auf wenige Ausnahmen wie etwa den Midtempostampf von „Go Out“
oder das quengelige „I Broadcast“ auch ohne die Verstärker zum Glühen bringende
Fuzzgitarren wird dem Geist der alten Blur auf zwölf Songs eine mit der Zeit
gereifte Form verliehen, deren verträumte, nachdenkliche, mitunter
melancholische Grundstimmung Albarn mit beiläufig-müdem Hallgesang unterstützt
– was selbst dem hübsch ins Kinderwunderland verweisenden „Ice Cream Man“ und
seinen Produkten etwas zart Gedämpftes verleiht. Hier und auch bei Songs wie „New
World Towers“ oder „My Terracotta Heart“ stehen die Ergebnisse dann auch sehr
nahe an Albarns Solosound, den Rowntree und James als sublime Rhythmusgruppe mit
kühlem Understatement fortführen. „Thought I Was A Spaceman“ schwebt erhaben
durch den Kosmos, das „Ghost Ship“ flottiert soulful über die Gewässer, und bei
„Mirrorball“ schneiden satte Twanggitarren in der Tradition eines Ennio
Morricone durch die Wüste. Wir hören kluges Liedgut in eleganter Umrahmung.
Am
Ende steht die Erkenntnis, dass die Sache mit den Zinsen zwar stimmt. Alles war
an den 90er Jahren dann aber auch nicht besser!
Blur: The Magic Whip (Parlaphone/Warner)
(Wiener Zeitung, 24.4.2015)
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