Donnerstag, April 23, 2015

Lieder wie gedämpftes Eis

„The Magic Whip“: die einstigen Britpop-Helden Blur und ihr erstes Album seit zwölf Jahren

Sich an Blur vor allem über Beiträge aus dem Sportfernsehen beschallende Hits wie den „Song 2“ zu erinnern, ist gleichzeitig ebenso verzerrend bis falsch und dabei so unerlässlich, wie beispielsweise an heute egale wie damals zentrale Problemstellungen wie ein Verhältnis zu den „Kollegen“ von Oasis als gar nicht einmal so liebste Feinde zu denken. Britpop, das war die Sache mit den schlechten Frisuren, der auch nicht so guten Post-Lager-Lager-, also der ewigen Katerstimmung und den Augenpartien, die zwischen „Ich hau dir in die Gosch’n!“ (Oasis) und „Medizinmann, verschreib mir die Ich-will-nicht-länger-traurig-sein-Pille“ (Damon Albarn von Blur) mindestens Bände sprachen.

Pop, die wichtigste Sache

Es war vor allem aber die Zeit der 90er Jahre, in denen Popmusik noch als wichtigste Sache der Welt galt und die Unzufriedenheit junger Leute eher eine Lebenseinstellung war als das Resultat der Lebensumstände. Es gab noch Chancen am Arbeitsmarkt und Zinsen auf der Bank. 9/11 war nichts mehr als eine Zahlenkombination mit Schrägstrich, der russische Präsident hieß Boris Jelzin und selbst in London stand beim Bierpreis vermutlich noch kein Vierer davor.

Ähnlich wie Oasis scheiterten zwar auch Blur am zunehmend auf Jagger/Richards-Niveau fahrenden „beste Feinde“-Verhältnis ihrer zentralen Charaktere, zusätzlich hatten Sänger Damon Albarn und Gitarrist Graham Coxon als um Weiterentwicklung bemühte Musikarbeiter aber auch unter „künstlerischen Differenzen“ zu leiden. Coxon verließ die Band am Beginn der Aufnahmen zum vorläufig letzten Album „Think Tank“, das 2003 vor allem Albarns neue Interessen offenlegte. Diese zeitigten nach dem Band-Aus neben seiner kommerziell erfolgreichsten Unternehmung, den Gorillaz, etwa auch die Supergroup The Good, The Bad & The Queen, zwei Ausflüge in die Oper, Klangreisen durch Afrika und 2014 das sehr gute Solodebüt „Everyday Robots“. Graham Coxon wiederum widmete sich auf zahlreichen Einzelgängerwerken der musikalischen Liebhaberei, Schlagzeuger Dave Rowntree wurde Pflichtverteidiger in London und Bassist Alex James, der Playboy der Gruppe, Käseproduzent draußen am Land. Eine Blur-Reunion für Live-Auftritte wurde 2009 als Sensation gefeiert. Dass mit „The Magic Whip“ nun auch ein Album vorliegt, grenzt nicht zuletzt aufgrund seiner Entstehungsgeschichte gar an ein Wunder. Immerhin waren die während einer erzwungenen Tourpause in Hongkong eingespielten Songskizzen gerade wichtig genug, um sie gleich wieder in die Schublade zu legen. Erst eine Neusichtung durch Coxon und den Blur-geeichten Produzenten Stephen Street beförderte die wahren Qualitäten der Demos zutage.

Mit der Zeit gereift

Ohne große Hits und bis auf wenige Ausnahmen wie etwa den Midtempostampf von „Go Out“ oder das quengelige „I Broadcast“ auch ohne die Verstärker zum Glühen bringende Fuzzgitarren wird dem Geist der alten Blur auf zwölf Songs eine mit der Zeit gereifte Form verliehen, deren verträumte, nachdenkliche, mitunter melancholische Grundstimmung Albarn mit beiläufig-müdem Hallgesang unterstützt – was selbst dem hübsch ins Kinderwunderland verweisenden „Ice Cream Man“ und seinen Produkten etwas zart Gedämpftes verleiht. Hier und auch bei Songs wie „New World Towers“ oder „My Terracotta Heart“ stehen die Ergebnisse dann auch sehr nahe an Albarns Solosound, den Rowntree und James als sublime Rhythmusgruppe mit kühlem Understatement fortführen. „Thought I Was A Spaceman“ schwebt erhaben durch den Kosmos, das „Ghost Ship“ flottiert soulful über die Gewässer, und bei „Mirrorball“ schneiden satte Twanggitarren in der Tradition eines Ennio Morricone durch die Wüste. Wir hören kluges Liedgut in eleganter Umrahmung.

Am Ende steht die Erkenntnis, dass die Sache mit den Zinsen zwar stimmt. Alles war an den 90er Jahren dann aber auch nicht besser!

Blur: The Magic Whip (Parlaphone/Warner)

(Wiener Zeitung, 24.4.2015)

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