Samstag, Mai 02, 2015

Kühle Kometenmelodien

Depeche-Mode-Mastermind Martin Gore und sein instrumentales Soloalbum „MG“ 

Die Ankündigung dieses Albums kam relativ aus dem Nichts. Schließlich führten 35 Dienstjahre als Songschreiber für Depeche Mode dazu, dass bisher keine einzige Soloveröffentlichung Martin Gores mit Eigenmaterial vorlag. Nach den eineinhalb hübschen, 1989 und 2003 veröffentlichten „Counterfeit“-Alben mit als Fremdinterpretationen angelegten Coversongs darf rückwirkend der Zusammenschluss mit Vince Clarke für das Techno-Projekt VCMG im Jahr 2012 als wichtiger Schritt in die Richtung gedeutet werden, abseits der fixen, neue Arbeiten im Vierjahrestakt zeitigenden DM-Routine einmal etwas anderes mit der kreativen Energie anzustellen.

Gekannt und geschätzt wird Martin Gore vom Publikum für erhaben-bittersüße Popsongs zum Thema Glaube, Liebe, Hoffnung, das hier immer auch streng mit Sex und der von diesem beförderten katholischen Schuld in Verbindung steht. Oft hat man es dabei mit Liedern zu tun, die von ihrer Natur her „sophisticated“ sind, dabei aber auch schlau genug, sich trotzdem für Stadionkonzerte zu eignen. Neben Gores herrlicher, gerne auf ein mächtiges Vibrato gebuchter Stimme, die meist zwei, drei Songs pro Album trägt und für den Rest andächtig Dave Gahans Leadgesang aus dem Background abfedert, wird der Laufkundschaft auch die zum Blues tendierende Gitarre des Meisters erinnerlich sein. Nichts davon befindet sich nun allerdings auf den 16 Stücken von „MG“ (Mute). Hier wird auf die Liebe Eingeschworener gesetzt, die Gores zunehmend zum Fetisch gewordene Faszination für alte Analog-Synthesizer und die darauf gezimmerten Instrumentalstücke kennen, die auf Depeche-Mode-Alben gelegentlich den Steigbügel für die Hits machen durften. Diese Tradition wurde auf dem Album „Delta Machine“ zuletzt übrigens abgeschafft, weil seit der Neuerfindung Dave Gahans als Teilzeitsongwriter bei allen Sessions mehr Material entsteht, als auf einer CD Platz finden kann. Vier für die Band geschriebene Instrumentals also bildeten die Basis, um die herum sich Gore nach Tourende im Heimstudio ein ganzes Album von der Seele schraubte. 

Plingen und plongen 

Die auf einem raumausfüllenden, dank zahlreicher Knöpfe an Spaceshuttle-Bordcomputer erinnernden Eurorack-System entstandenen Stücke sind dabei entsprechend nicht am Zeitgeist interessiert. Sie liefern mit starker retrofuturistischer Schlagseite einen möglichen Soundtrack, dessen Trägerfilm zumindest über weite Teile draußen im Orbit spielt. Im modernsten Fall darf man vielleicht an die „Space Night“-Reisen des Bayerischen Rundfunks denken, wenn sich daran noch jemand erinnern kann. Der Rest aber geht um Dekaden zurück und lässt mit zart-kühlen Kometenmelodien zwischendurch auch an die diesbezügliche Vorarbeit von Kraftwerk aus Düsseldorf denken. 

Synthiebässe plingen und plongen, drastische Zuschs und Zoschs reißen Extraterrestrier aus dem Schlaf, und bezüglich der „Hooks“ vermeidet Martin Gore jedwede Gefahr, Ideen für die Arbeit als Songwriter zu verschwenden. Das führt zu aufgeräumten, gelegentlich auch etwas ereignisarmen Miniaturen im Dienst der Atmosphäre, deren heterogene Klangfarben zwischen dem düster-reduzierten „Islet“ und der breiter ausformulierten, luftig in den Frühling drängenden „Europa Hymn“ nichts an der ästhetischen Geschlossenheit des Gesamtpakets ändern. Ja! Guter Mann. Immer noch.

(Wiener Zeitung, 2./3.5.2015) 

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