Freitag, Mai 15, 2015

Nur-Mut-Hymnen vom Discounter

Nach langem Warten erscheint das Debütalbum von Conchita Wurst: Formatradiopop mit tröstlicher Note.

Sollte es noch einen Beweis dafür brauchen, dass das Medium nicht immer die Botschaft ist, dürfte man bei Conchita Wurst an der richtigen Stelle sein. Schließlich gelang es Österreichs international aktuell meistbeachteter Sängerin, zwischen ihrem Auftauchen im Jahr 2011 und dem heutigen Tag im Wesentlichen mit zwei, drei Liedern nicht nur gut durchzukommen. Die Frau mit dem Bart im Gesicht und der Wurst unter dem Rock schaffte vor allem das Kunststück, ihre zentralen Inhalte wie etwa den Kampf gegen Intoleranz, Borniertheit und anderweitiges inneres Österreichertum (So war es, so ist es, so wird es immer sein!) sowie für Offenheit und (sexuelle) Selbstbestimmung nicht über das eigentliche Trägermedium, den Song, zu verbreiten. Conchita Wurst hat das mit je zwei, drei Nebensätzen in Interviews erledigt, deren Anzahl mittlerweile im Fantastilliardenbereich liegen sollte. Punkt.

Sie kann, sie darf

In Sachen Kulturgut Pop darf jetzt zwar über eine erhebliche Degradierung zum Abfall- oder bestenfalls Nebenprodukt nachgedacht werden. Es ist allerdings bezeichnend für unser Schnitzelland, dass etwa angesichts der „Amadeus“-Verleihung zuletzt nicht die Frage gestellt wurde, ob eine Musikerin, die (noch) nicht vordergründig auch eine ist, Künstlerin des Jahres sein soll, sehr wohl aber jene, ob ein Mann das darf, der sich „bloß“ als Frau inszeniert. Dabei wäre die Antwort in diesem Fall einfach: Ja, natürlich darf, kann und soll er das. Ihr Wappler!

Zum Thema Provokation und gesellschaftlicher „Fortschritt“ wiederum ist derzeit vielleicht noch zu sagen: In den 70er Jahren wäre ein Frau mit Bart als Punk im Heroin-Look plus Hakenkreuz-Emblem auf der Bühne gestanden und hätte „Fuck You!“, „Kill! Die!“ oder etwas gegen das verlotterte „System“ geschrien. Heute gibt Teilen von uns, die natürlich die anderen sind, eine Art auf Diva gestylte RTL-Moderatorin den Rest, die auf Stöckelschuhen gutmütig in die Kamera lächelt und sich als Testimonial für eine Bank verdingt. Vielleicht aber sollte man sich auch hier um etwas mehr Toleranz bemühen (okay, nicht beim letzten Teil!). Aber wurst. Anlässlich des nach langer Wartezeit nun also erscheinenden ersten Albums von Conchita Wurst mit dem nicht unbedingt originellen Titel „Conchita“ steht zur Abwechslung ja einmal die Musik selbst im Fokus.

Wie bereits bei „Rise Like A Phoenix“, dem für den Song Contest hocherfolgreich an die maximale Einfüllmenge von Pathos und großen Gesten produzierten Vorjahreshit im Sinne Shirley Basseys für James Bond, wurden nun auch für die lange Distanz mit je bis zu fünf Songwritern und Produzenten pro Song (!) weder Kosten noch Mühen gescheut. Bei Sony Music ist scheinbar noch Geld vorhanden. Dieses wurde erfolgreich dafür verwendet, grundsolide, ihren Zweck erfüllende Konfektionsware für das Formatradio zu zimmern und musikalisch exakt kein Alleinstellungsmerkmal zuzulassen. Man hat diese Songs und ihre einzelnen Baukomponenten von x anderen Namen schon so oft beim Bezahlen an der Discounterkassa gehört, dass sie bereits beim ersten Abspielen aus den Ohren stauben.

Herzeleid und Wurstlprater

Grundiert in semielektronischen Powerballaden, die sich im Wissen um Herzeleid und Unrecht über das nötige „Nicht mit mir!“-Gefühl in Richtung Entladung und Tusch hochhanteln, setzt es dabei auch Bezüge zur Musical- und Walt-Disney-Welt („Pure“), etwas heute wieder angesagten Swing („Where Have All The Good Men Gone“) und im Falle von „Firestorm“ auch Nachwehen von Gay-Clubbing-technisch wichtigem Chicago House im Madonna-Remix. „Out Of Body Experience“ grenzt im Refrain an ein Lana-Del-Rey-Plagiat („Ultraviolence“). Und bei „Colours Of Your Love“ reitet dann auch noch das „Dark Horse“ von Katy Perry ein, um zwischen fernöstlicher Schurkenfolklore und Autodromgeplärre im Wurstlprater Party zu machen.

Am Ende ist die Nur-Mut-Botschaft nachdrücklich dargebracht. Jetzt liegt es am Glauben der Jünger vor der Kanzel, die – Bankmenschen wissen es! – in der Konsumwelt ein Geldschalter ist. 

(Wiener Zeitung, 16./17.5.2015) 

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