Nach langem
Warten erscheint das Debütalbum von Conchita Wurst: Formatradiopop mit
tröstlicher Note.
Sollte
es noch einen Beweis dafür brauchen, dass das Medium nicht immer die Botschaft
ist, dürfte man bei Conchita Wurst an der richtigen Stelle sein. Schließlich
gelang es Österreichs international aktuell meistbeachteter Sängerin, zwischen
ihrem Auftauchen im Jahr 2011 und dem heutigen Tag im Wesentlichen mit zwei,
drei Liedern nicht nur gut durchzukommen. Die Frau mit dem Bart im Gesicht und
der Wurst unter dem Rock schaffte vor allem das Kunststück, ihre zentralen
Inhalte wie etwa den Kampf gegen Intoleranz, Borniertheit und anderweitiges
inneres Österreichertum (So war es, so ist es, so wird es immer sein!) sowie
für Offenheit und (sexuelle) Selbstbestimmung nicht über das eigentliche
Trägermedium, den Song, zu verbreiten. Conchita Wurst hat das mit je zwei, drei
Nebensätzen in Interviews erledigt, deren Anzahl mittlerweile im
Fantastilliardenbereich liegen sollte. Punkt.
Sie kann, sie
darf
In
Sachen Kulturgut Pop darf jetzt zwar über eine erhebliche Degradierung zum
Abfall- oder bestenfalls Nebenprodukt nachgedacht werden. Es ist allerdings
bezeichnend für unser Schnitzelland, dass etwa angesichts der
„Amadeus“-Verleihung zuletzt nicht die Frage gestellt wurde, ob eine Musikerin,
die (noch) nicht vordergründig auch eine ist, Künstlerin des Jahres sein soll, sehr
wohl aber jene, ob ein Mann das darf, der sich „bloß“ als Frau inszeniert.
Dabei wäre die Antwort in diesem Fall einfach: Ja, natürlich darf, kann und
soll er das. Ihr Wappler!
Zum
Thema Provokation und gesellschaftlicher „Fortschritt“ wiederum ist derzeit vielleicht
noch zu sagen: In den 70er Jahren wäre ein Frau mit Bart als Punk im
Heroin-Look plus Hakenkreuz-Emblem auf der Bühne gestanden und hätte „Fuck
You!“, „Kill! Die!“ oder etwas gegen das verlotterte „System“ geschrien. Heute
gibt Teilen von uns, die natürlich die anderen sind, eine Art auf Diva gestylte
RTL-Moderatorin den Rest, die auf Stöckelschuhen gutmütig in die Kamera lächelt
und sich als Testimonial für eine Bank verdingt. Vielleicht aber sollte man
sich auch hier um etwas mehr Toleranz bemühen (okay, nicht beim letzten Teil!).
Aber wurst. Anlässlich des nach langer Wartezeit nun also erscheinenden ersten
Albums von Conchita Wurst mit dem nicht unbedingt originellen Titel „Conchita“
steht zur Abwechslung ja einmal die Musik selbst im Fokus.
Wie
bereits bei „Rise Like A Phoenix“, dem für den Song Contest hocherfolgreich an
die maximale Einfüllmenge von Pathos und großen Gesten produzierten
Vorjahreshit im Sinne Shirley Basseys für James Bond, wurden nun auch für die
lange Distanz mit je bis zu fünf Songwritern und Produzenten pro Song (!) weder
Kosten noch Mühen gescheut. Bei Sony Music ist scheinbar noch Geld vorhanden.
Dieses wurde erfolgreich dafür verwendet, grundsolide, ihren Zweck erfüllende
Konfektionsware für das Formatradio zu zimmern und musikalisch exakt kein
Alleinstellungsmerkmal zuzulassen. Man hat diese Songs und ihre einzelnen Baukomponenten
von x anderen Namen schon so oft beim Bezahlen an der Discounterkassa gehört,
dass sie bereits beim ersten Abspielen aus den Ohren stauben.
Herzeleid und
Wurstlprater
Grundiert
in semielektronischen Powerballaden, die sich im Wissen um Herzeleid und
Unrecht über das nötige „Nicht mit mir!“-Gefühl in Richtung Entladung und Tusch
hochhanteln, setzt es dabei auch Bezüge zur Musical- und Walt-Disney-Welt
(„Pure“), etwas heute wieder angesagten Swing („Where Have All The Good Men
Gone“) und im Falle von „Firestorm“ auch Nachwehen von Gay-Clubbing-technisch wichtigem
Chicago House im Madonna-Remix. „Out Of Body
Experience“ grenzt im Refrain an ein Lana-Del-Rey-Plagiat („Ultraviolence“). Und bei „Colours
Of Your Love“ reitet dann auch noch das „Dark Horse“ von Katy Perry ein, um
zwischen fernöstlicher Schurkenfolklore und Autodromgeplärre im Wurstlprater
Party zu machen.
(Wiener Zeitung, 16./17.5.2015)
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