Jamie xx von den
Londoner Pop-Reduktionisten The xx und sein erstes Soloalbum „In Colour“
Als
„ausführendes Organ“ im Sinne eines Soundschmieds aus dem Studio mag Jamie
Smith alias Jamie xx bisher grundsätzlich einen Platz im Hintergrund bevorzugt
haben, der ihm – mit Pausen als DJ an der Kanzel – im auf Oberflächenglanz und
-glamour bedachten Popbusiness das nötige Maß an Anonymität und Diskretion garantierte.
Das kann nicht schaden. Immerhin wird der heute erst 26-jährige Londoner
bereits seit dem sehr frühen Karrierestart mit seiner Band The xx und spätestens
seit deren Debütalbum aus dem Jahre 2009 von Kritik und Publikum gleichermaßen
gefeiert, was die Gefahr mangelnder Privatheit ebenso impliziert wie eine
Fallhöhe, die nicht die geringste ist.
Rekontextualisierungen
Der
geglückte Spagat zwischen Arbeiten mit Anspruch und dem gleichzeitigen Erfolg
am Ladentisch bedeutete neben noch stärkeren wie stärker elektronisch geprägten
Einflüssen Smiths auf das zweite The-xx-Album „Coexist“ (2012), Remix- und Produktionsaufträgen
für Namen wie Radiohead und Four Tet, aber auch Drake feat. Rihanna und Alicia
Keys, vor allem den Auftrag, an einer Neuverortung des großen US-Soul- und Jazzpoeten
Gil Scott-Heron zu feilen. „We’re New Here“, als Langspieler mehr
Rekontextualisierung als Remix und in Briefkonversationen eines möglichen
Großvater- und Enkel-Gespanns am Papier entworfen und diskutiert, wurde zu
einer Art Feuertaufe Smiths unter eigenem Namen, die Scott-Heron gerade noch
miterleben durfte, ehe er im Mai 2011 inmitten eines zu diesem Zeitpunkt voll
angelaufenen Comebacks verstarb, das ihn erstmals seit Mitte der 90er Jahre auch
live nach Europa führte.
Smith
selbst trat die Flucht nach vorne an und widmete sich im stillen Kämmerlein seinem
bereits länger geplanten Solodebüt, das nun abermals auf dem Haus- und Hoflabel
seiner Band, Young Turks, erscheint. Vom Titel her steht „In Colour“ einerseits
stark im Widerspruch zur straffen Schwarz-Weiß-Ästhetik von The xx, deren Symbolik
hier andererseits aber ebenso wiedergespiegelt wird, wie in der Musik teils ihre
Aufgeräumtheit und vor allem die auf Intimität gestimmte Funktionsharmonik
durchschimmert. Zusätzlich hört man auf den songzentrierten Einschüben dieser von
elf Nummern getragenen Spieldreiviertelstunde nicht zuletzt das xx-Frontduo
Romy Madley Croft und Oliver Sim, das sich auch ratgebend einbrachte. Im Kern
legt Jamie xx aber ein elektronisches Instrumentalalbum vor, das als Hommage an
gut abgehangene bis historische Genres wie Rave, Jungle und House deren Teilkomponenten
absorbiert, um sie einem heutigen Entwurf zuzuführen. Wir hören den funky Drummer
gebende Break- und durch die Kühlschranktür pumpende Dancebeats sowie nächtliche
Clubstreifzüge festhaltende Verkehrsgeräusche, Folgetonhorn und Partygemurmel.
Brückenbau mit
Tiefe
Nichts
will erzwungen arty sein, alles bleibt greifbar. Das führt zu lieblichen, gerne
auch in Richtung Zuckerwatte tendierenden Melodien, die dabei so wenig cheesy
sind wie es ihnen nicht an der nötigen Tiefe mangelt. Außerdem versteht sich
Smith ausgezeichnet darauf, selbst in den „euphorischsten“ Momenten Melancholie
zu verbreiten. Bei „Loud Places“ gelingt das sogar zu einem Grundgerüst aus
Loftparty-House und Umarmungsgospel. Das sehnsüchtig abgedunkelte „Stranger In
A Room“ hat ohnehin leichtes Spiel. Einzig „I Know There’s Gonna Be (Good
Times)“ widmet sich zur Gänze der Sonne, scheitert dort aber ausschließlich an
den als sexistisch gebrandmarkten Lyrics der Gäste Young Thug und Popcaan.
„The
Rest Is Noise“, zu dem sich wunderbar aus dem Zugfenster und bestimmt auch sehr
gut aufs Meer starren lässt, legt gegen Ende übrigens eine Brücke zum neuen
Album von The xx, für das bereits Aufnahmesessions in Los Angeles, Texas und
Island absolviert wurden. Man darf gespannt, in der Zwischenzeit aber auch mit
„In Colour“ sehr glücklich sein.
Jamie xx: In Colour (Young Turks/Beggars Group/Indigo)
(Wiener Zeitung, 27.5.2015)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen