Mittwoch, Mai 27, 2015

Zuckerwatte und Melancholie

Jamie xx von den Londoner Pop-Reduktionisten The xx und sein erstes Soloalbum „In Colour“

Als „ausführendes Organ“ im Sinne eines Soundschmieds aus dem Studio mag Jamie Smith alias Jamie xx bisher grundsätzlich einen Platz im Hintergrund bevorzugt haben, der ihm – mit Pausen als DJ an der Kanzel – im auf Oberflächenglanz und -glamour bedachten Popbusiness das nötige Maß an Anonymität und Diskretion garantierte. Das kann nicht schaden. Immerhin wird der heute erst 26-jährige Londoner bereits seit dem sehr frühen Karrierestart mit seiner Band The xx und spätestens seit deren Debütalbum aus dem Jahre 2009 von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeiert, was die Gefahr mangelnder Privatheit ebenso impliziert wie eine Fallhöhe, die nicht die geringste ist.

Rekontextualisierungen

Der geglückte Spagat zwischen Arbeiten mit Anspruch und dem gleichzeitigen Erfolg am Ladentisch bedeutete neben noch stärkeren wie stärker elektronisch geprägten Einflüssen Smiths auf das zweite The-xx-Album „Coexist“ (2012), Remix- und Produktionsaufträgen für Namen wie Radiohead und Four Tet, aber auch Drake feat. Rihanna und Alicia Keys, vor allem den Auftrag, an einer Neuverortung des großen US-Soul- und Jazzpoeten Gil Scott-Heron zu feilen. „We’re New Here“, als Langspieler mehr Rekontextualisierung als Remix und in Briefkonversationen eines möglichen Großvater- und Enkel-Gespanns am Papier entworfen und diskutiert, wurde zu einer Art Feuertaufe Smiths unter eigenem Namen, die Scott-Heron gerade noch miterleben durfte, ehe er im Mai 2011 inmitten eines zu diesem Zeitpunkt voll angelaufenen Comebacks verstarb, das ihn erstmals seit Mitte der 90er Jahre auch live nach Europa führte.

Smith selbst trat die Flucht nach vorne an und widmete sich im stillen Kämmerlein seinem bereits länger geplanten Solodebüt, das nun abermals auf dem Haus- und Hoflabel seiner Band, Young Turks, erscheint. Vom Titel her steht „In Colour“ einerseits stark im Widerspruch zur straffen Schwarz-Weiß-Ästhetik von The xx, deren Symbolik hier andererseits aber ebenso wiedergespiegelt wird, wie in der Musik teils ihre Aufgeräumtheit und vor allem die auf Intimität gestimmte Funktionsharmonik durchschimmert. Zusätzlich hört man auf den songzentrierten Einschüben dieser von elf Nummern getragenen Spieldreiviertelstunde nicht zuletzt das xx-Frontduo Romy Madley Croft und Oliver Sim, das sich auch ratgebend einbrachte. Im Kern legt Jamie xx aber ein elektronisches Instrumentalalbum vor, das als Hommage an gut abgehangene bis historische Genres wie Rave, Jungle und House deren Teilkomponenten absorbiert, um sie einem heutigen Entwurf zuzuführen. Wir hören den funky Drummer gebende Break- und durch die Kühlschranktür pumpende Dancebeats sowie nächtliche Clubstreifzüge festhaltende Verkehrsgeräusche, Folgetonhorn und Partygemurmel.

Brückenbau mit Tiefe

Nichts will erzwungen arty sein, alles bleibt greifbar. Das führt zu lieblichen, gerne auch in Richtung Zuckerwatte tendierenden Melodien, die dabei so wenig cheesy sind wie es ihnen nicht an der nötigen Tiefe mangelt. Außerdem versteht sich Smith ausgezeichnet darauf, selbst in den „euphorischsten“ Momenten Melancholie zu verbreiten. Bei „Loud Places“ gelingt das sogar zu einem Grundgerüst aus Loftparty-House und Umarmungsgospel. Das sehnsüchtig abgedunkelte „Stranger In A Room“ hat ohnehin leichtes Spiel. Einzig „I Know There’s Gonna Be (Good Times)“ widmet sich zur Gänze der Sonne, scheitert dort aber ausschließlich an den als sexistisch gebrandmarkten Lyrics der Gäste Young Thug und Popcaan.

„The Rest Is Noise“, zu dem sich wunderbar aus dem Zugfenster und bestimmt auch sehr gut aufs Meer starren lässt, legt gegen Ende übrigens eine Brücke zum neuen Album von The xx, für das bereits Aufnahmesessions in Los Angeles, Texas und Island absolviert wurden. Man darf gespannt, in der Zwischenzeit aber auch mit „In Colour“ sehr glücklich sein.

Jamie xx: In Colour (Young Turks/Beggars Group/Indigo)

(Wiener Zeitung, 27.5.2015)

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