Freitag, Juni 12, 2015

Altes Herz macht wieder „bumm“

Giorgio Moroder, Altmeister der Disco-Ära, veröffentlicht sein erstes Album seit 30 Jahren

Als junger Mensch kann man sich das heute kaum mehr vorstellen, aber: Es gab eine Zeit, in der wurde noch neue Musik erfunden, mit der sich auch gesellschaftlich etwas anstellen ließ. Zusätzlich erleichterte es vielleicht die Nachrichtenlage und bestimmt die noch etwas heilere Finanzwelt zwischen harter D-Mark und tatsächlich existierenden Habenzinsen (Sag mir Mutter, worum handelt es sich?), ein entsprechendes Lebensgefühl auch zu feiern. Wir schreiben die frühen 1970er Jahre: Die Hippies dürfen sich schleichen, in Monaco, das in Süddeutschland liegt, wird die Schickeria geboren. In den Diskotheken herrscht Schneegestöber, Champagner fließt wie Wasser in durstige Kehlen, im Separee wird Liebe gemacht. Es gibt noch kein Aids! Gut, einen Tripper kannst du dir holen, aber das biegt der Arzt wieder hin.

Elektro-Futurismus

Der Soundtrack zum Treiben wurde von Giorgio Moroder geliefert, der das Grödner Tal für musikalische Wanderjahre verließ, um zunächst noch eine Gesangskarriere im Zeichen der sogenannten Beat-Musik anzusteuern – bevor die Anschaffung eines ersten Moog-Synthesizers gottlob dazwischenkam. Dieser ermöglichte einen herrlich unterkühlten, sphärisch pluckernden Elektro-Futurismus, der sich gut mit funky Gitarrenlicks, markanten Bassläufen und sanften Streichern als Phillysound-Leihgaben kombinieren ließ. Giorgio Moroder trug sich mit Soloarbeiten wie „From Here To Eternity“ (1977) und nicht zuletzt genredefinierenden Singleproduktionen für Donna Summer in die Geschichtsbücher ein. Neben dem umgehend von der BBC boykottierten Stöhn-Epos „Love To Love You, Baby“ ist vor allem „I Feel Love“ zu erwähnen, das zum Herzschlag einer Ära wurde.

Im Anschluss hielt sich Moroder mit Oscar- und Grammy-prämierten Soundtracks und Hymnen für Sportevents ebenso beschäftigt, wie er die Rolling Stones, David Bowie, Iggy Pop, Led Zeppelin und andere große Namen mehr zu Aufnahmen in seine Münchner Musicland-Studios holte, um bis 1985 auch weiterhin Alben unter eigenem Namen vorzulegen. Danach musste er sich selbst und der Welt nichts mehr beweisen. Und er bewies sich selbst und der Welt nichts mehr. 30 Jahre sollten vergehen, ehe mit „Déjà Vu“ (Sony Music) nun wieder neues Material zum Kauf bereitsteht.

Ins „Business“ zurückgeholt wurde Moroder 2013 zunächst von den Disco-Robotern Daft Punk, die ihn auf ihrer Genre-Hommage „Random Access Memories“ aus dem Nähkästchen plaudern ließen. Das machte dem Meister offenbar nicht nur Lust, wässrigen Auges DJ-Sets zu spielen, die die alten Zeiten für die Leute von heute wieder aufleben ließen. Moroder fertigte auch einen Remix für Coldplay an und folgte dem alten Konzept, Gastsängerinnen wie nun etwa Charli XCX, Kylie Minogue, Sia, Kelis und auch Britney Spears zur Arbeit an neuen Songs einzuladen. Wobei der längst in Los Angeles ansässige Produzent ohne Wehmut akzeptiert haben dürfte, dass 2015 nicht 1975 ist, die aktuellen Heldinnen der Vokalkunst überwiegend also nur Sounddateien schickten, anstatt persönlich bei ihm vorstellig zu werden.

Soundteppich für Heidi

Zum Thema Wehmut vielleicht noch: Ein hübsch retrofuturistisch nach weißrussischem Prototechno klingender, von Moroder als Bordcomputer aus Fleisch und Blut „besungener“ Track des neuen Albums heißt „74 Is The New 24“. Ernsthaft. Die Frage drängt sich auf, ob der mittlerweile aber eh schon 75-Jährige heute eine Art männliche Madonna sein will. Immerhin orientiert sich auch die überraschend oft, wenn „dank“ käsiger Sounds auch nicht durchwegs ohne Peinlichkeiten auskommende Musik schneidig am kontemporären Mainstreampop. Songs wie „I Do This For You“ könnten so oder so ähnlich auch von Katy Perry und Konsorten aus dem Formatradio schallen, während sich der große Rest strikt auf Lebensfreude gepolt zwischen sonnigem Synthie-Pop, House-Formalismen, kurz angeschlagenen „Get Lucky“-Gitarren und als Disconachwehen gebrauchten Keyboardstreichern ansiedelt. Die instrumentale, Strandbar-taugliche Fingerübung „4 U With Love“ wiederum würde sich auch als Soundteppich gut eignen, wenn die Mädchen bei „Germany’s Next Topmodel“ von Heidi das Laufen lernen.

Am Ende ist das im Titelstück von Sia quasi-amerikanisch behauptete „Dehscha vu“ mit U also nur bedingt ein solches. Giorgio Moroder verabschiedet sich mit „La Disco“ noch einmal im Robotersprech. Danach wird ihn ein zufriedenes Lächeln unter dem Schnauzbart nur als allzu menschlich ausweisen. 

(Wiener Zeitung, 13./14.6.2015)

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