Giorgio Moroder,
Altmeister der Disco-Ära, veröffentlicht sein erstes Album seit 30 Jahren
Als
junger Mensch kann man sich das heute kaum mehr vorstellen, aber: Es gab eine
Zeit, in der wurde noch neue Musik erfunden, mit der sich auch gesellschaftlich
etwas anstellen ließ. Zusätzlich erleichterte es vielleicht die Nachrichtenlage
und bestimmt die noch etwas heilere Finanzwelt zwischen harter D-Mark und tatsächlich
existierenden Habenzinsen (Sag mir Mutter, worum handelt es sich?), ein
entsprechendes Lebensgefühl auch zu feiern. Wir schreiben die frühen 1970er
Jahre: Die Hippies dürfen sich schleichen, in Monaco, das in Süddeutschland
liegt, wird die Schickeria geboren. In den Diskotheken herrscht Schneegestöber,
Champagner fließt wie Wasser in durstige Kehlen, im Separee wird Liebe gemacht.
Es gibt noch kein Aids! Gut, einen Tripper kannst du dir holen, aber das biegt
der Arzt wieder hin.
Elektro-Futurismus
Der
Soundtrack zum Treiben wurde von Giorgio Moroder geliefert, der das Grödner Tal
für musikalische Wanderjahre verließ, um zunächst noch eine Gesangskarriere im
Zeichen der sogenannten Beat-Musik anzusteuern – bevor die Anschaffung eines
ersten Moog-Synthesizers gottlob dazwischenkam. Dieser ermöglichte einen
herrlich unterkühlten, sphärisch pluckernden Elektro-Futurismus, der sich gut
mit funky Gitarrenlicks, markanten Bassläufen und sanften Streichern als Phillysound-Leihgaben
kombinieren ließ. Giorgio Moroder trug sich mit Soloarbeiten wie „From Here To Eternity“
(1977) und nicht zuletzt genredefinierenden Singleproduktionen für Donna Summer
in die Geschichtsbücher ein. Neben dem umgehend von der BBC boykottierten
Stöhn-Epos „Love To Love You, Baby“ ist vor allem „I Feel Love“ zu erwähnen,
das zum Herzschlag einer Ära wurde.
Im
Anschluss hielt sich Moroder mit Oscar- und Grammy-prämierten Soundtracks und
Hymnen für Sportevents ebenso beschäftigt, wie er die Rolling Stones, David
Bowie, Iggy Pop, Led Zeppelin und andere große Namen mehr zu Aufnahmen in seine
Münchner Musicland-Studios holte, um bis 1985 auch weiterhin Alben unter
eigenem Namen vorzulegen. Danach musste er sich selbst und der Welt nichts mehr
beweisen. Und er bewies sich selbst und der Welt nichts mehr. 30 Jahre sollten vergehen,
ehe mit „Déjà Vu“ (Sony Music) nun wieder neues Material zum Kauf bereitsteht.
Ins
„Business“ zurückgeholt wurde Moroder 2013 zunächst von den Disco-Robotern Daft
Punk, die ihn auf ihrer Genre-Hommage „Random Access Memories“ aus dem
Nähkästchen plaudern ließen. Das machte dem Meister offenbar nicht nur Lust,
wässrigen Auges DJ-Sets zu spielen, die die alten Zeiten für die Leute von
heute wieder aufleben ließen. Moroder fertigte auch einen Remix für Coldplay an
und folgte dem alten Konzept, Gastsängerinnen wie nun etwa Charli XCX, Kylie
Minogue, Sia, Kelis und auch Britney Spears zur Arbeit an neuen Songs
einzuladen. Wobei der längst in Los Angeles ansässige Produzent ohne Wehmut akzeptiert
haben dürfte, dass 2015 nicht 1975 ist, die aktuellen Heldinnen der Vokalkunst überwiegend
also nur Sounddateien schickten, anstatt persönlich bei ihm vorstellig zu
werden.
Soundteppich für
Heidi
Zum
Thema Wehmut vielleicht noch: Ein hübsch retrofuturistisch nach weißrussischem
Prototechno klingender, von Moroder als Bordcomputer aus Fleisch und Blut
„besungener“ Track des neuen Albums heißt „74 Is The New 24“. Ernsthaft. Die
Frage drängt sich auf, ob der mittlerweile aber eh schon 75-Jährige heute eine
Art männliche Madonna sein will. Immerhin orientiert sich auch die überraschend
oft, wenn „dank“ käsiger Sounds auch nicht durchwegs ohne Peinlichkeiten
auskommende Musik schneidig am kontemporären Mainstreampop. Songs wie „I Do
This For You“ könnten so oder so ähnlich auch von Katy Perry und Konsorten aus
dem Formatradio schallen, während sich der große Rest strikt auf Lebensfreude
gepolt zwischen sonnigem Synthie-Pop, House-Formalismen, kurz angeschlagenen
„Get Lucky“-Gitarren und als Disconachwehen gebrauchten Keyboardstreichern ansiedelt.
Die instrumentale, Strandbar-taugliche Fingerübung „4 U With Love“ wiederum würde
sich auch als Soundteppich gut eignen, wenn die Mädchen bei „Germany’s Next
Topmodel“ von Heidi das Laufen lernen.
Am Ende ist das im
Titelstück von Sia quasi-amerikanisch behauptete „Dehscha vu“ mit U also nur
bedingt ein solches. Giorgio Moroder verabschiedet sich mit „La Disco“ noch
einmal im Robotersprech. Danach wird ihn ein zufriedenes Lächeln unter dem
Schnauzbart nur als allzu menschlich ausweisen.
(Wiener Zeitung, 13./14.6.2015)
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