Freitag, Juni 19, 2015

Der Alt-Hippie als Wutbürger

Neil Young präsentiert sich mit seinem neuen Album in bester Angriffslaune. Auf „The Monsanto Years“ richtet er seine brüchige Stimme nicht nur gegen Großkonzerne.

Rückblickend betrachtet war „Who’s Gonna Stand Up?“ im Vorjahr nur eine Aufwärmübung für den Meister. Während das dazugehörige Album „Storytone“ mit Neil Young zwischen sedierenden „Traumschiff“-Streichern aus der Schule James Lasts und müdem Las-Vegas-Jazz irritierte, geriet der Song live im Stadionrockarrangement immerhin auch zu einer Rückbesinnung in Sachen Umweltschutz und „Nicht mit uns!“. Es ging um die Gier der Menschheit, fossile Brennstoffe und Fracking, verhandelt in Hinblick auf die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder, die einmal ausbaden müssen, was wir nicht mehr erleben werden.

Mit geballter Faust, grimmiger, alle Falten in Stellung bringender Altmännermiene und im „Save Earth“-T-Shirt befand sich Neil Young sichtbar in seinem Kernelement. Das kommende Woche erscheinende neue Album „The Monsanto Years“ geht nun aber nicht nur einen Schritt weiter. Als Konzeptarbeit zu Themen wie Landwirtschaft und Hybridsaatgut, Kapitalismus und Konzerninteressen (Lohndumping, Umgehung der Steuerpflicht!), der Macht von Lobbys zum Unwohl des Volks sowie Verstrickungen zwischen Großkonzernen und der Justiz ist dabei neben einer Neuaufnahme des Protestsongs auch eine Neigung zum Wutbürgertum auszumachen, die nicht zuletzt heillos populistische Zeilen wie „Too big to fail, too rich for jail!“ zeitigt.

Das Coversujet des Albums kontrastiert, kaum weniger plakativ, Neil Young und seine Lebensgefährtin daheim vor der Farm mit Männern im Schutzanzug und ein Pestizide über den Acker streuendes Flugzeug. An den Bildrändern werden Dollarnoten und die US-Verfassung in einen direkten Zusammenhang gestellt. Diesbezüglich auch nicht schlecht, dass Youngs aktuelle Begleitband den erheblich missionarischen Namen Promise Of The Real trägt. Dahinter verbergen sich mit Lukas und Micah Nelson die Söhne der Country- und Kiffer-Legende Willie Nelson und Mitstreiter, die als dienstjunge Erfüllungsgehilfen nicht zwingend auch frische Luft in die Aufnahmen bringen. Immerhin dürfte eine Vorgabe gelautet haben, möglichst exakt wie (oder noch weniger exakt als) Crazy Horse zu spielen. Entsprechend setzt es trocken-repetitiven, wie beim ersten Take hingerotzten Garagenrock, zu dem Youngs Gesang stärker neben der Spur denn je liegen darf.

Für die aktuellen Hauptfeinde wird per Namedropping Schleichwerbung gemacht. Neben Monsanto, dem mächtigen Hersteller von (gentechnisch manipuliertem) Saatgut und der Kaffee(haus)kette Starbucks ist auch der Einzelhandelskonzern Walmart zu nennen, der für sein Lohndumping ebenso bekannt ist wie für seine alte US-Traditionen bewahrende Anti-Gewerkschafts-Politik. Neil Young widmet Walmart den Song „Big Box“, in dem die Auswirkungen des Tante-Emma-Läden auslöschenden Großkonzern- und Shoppingmalltums bis hin zur Verödung der Innenstädte skizziert werden. Zusätzlich wird es in (ihren zornigen Inhalten zum Trotz) durchaus heiteren Liedern wie dem fröhlich gepfiffenen „A Rock Star Bucks A Coffee Shop“ oder „Workinʼ Man“ auch noch um die versuchte Einflussnahme des Kapitals auf die US-Justiz gehen.

Zu hübschem Harmoniegesang und dabei hübsch polemisch in seiner Methode verknüpft „People Want To Hear About Love“ seine Titelzeile mit unangenehmen Wahrheiten wie der Überfischung der Meere, während von „Rules Of Change“ der fahle Nachgeschmack eines aus (vermeintlicher) Ohnmacht entstandenen „Volkszorns“ bleibt, wie man ihn von gänzlich anderer Seite her kennt: „Halls of justice, rules of change. Rolling by in front of me. Human people feeling strange. Things happening in front of them“.

Das Titelstück groovt beseelt über einem abgebremsten Bo-Diddley-Beat und mit „If I Don’t Know“ ist auch eine Art Sperrstundenballade dabei. Zum zart naturmystischen Folk von „Wolf Moon“ wiederum bedankt sich Neil Young beim Mond höchstpersönlich dafür, dass dieser angesichts aller menschlichen Plünderungen down under überhaupt noch täglich zum Dienst erscheint. Folkrock ist … wenn Anklagen wichtig sind, wir uns am Ende aber doch zur Friedenspfeife versammeln. Zisch, knister. Paff-paff!

(Wiener Zeitung, 20./21.6.2015)      

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