Bilderbuch
triumphierten bei ihrem Open-Air-Konzert in der Wiener Arena
Die
große Geste war lange Zeit ein nicht existenter Faktor im heimischen Pop. Im
Mainstream gab es niemanden, der dazu das Talent oder die Eier hatte. Im
Underground wiederum wurde es als Verrat angesehen, mehr Fans zu haben, als in
einen VW-Bus passen. Alles darüber hinaus wäre mit schlaflosen Nächten verbunden,
weil ein Verkauf der Seele an den Kommerzteufel gewesen. Schau du dich in den
Spiegel. Komm du mir heim! Als künstlerisch wertvoll galt, wer am besten
überhaupt nur bei seinen Brüdern bekannt war und weniger als fünf handkopierte
Kassetten von seinem Demotape neben dem Joy-Division-Gedenkschrein liegen
hatte, um sie - sicherlich nicht!! - gegen Geld feilzubieten. Seinerzeit war man ja
so sehr dagegen, dass die Beamtengewerkschaft noch heute davon lernen kann.
Bilderbuch
haben gegen diese Einstellung als neben Wanda aktuell erfolgreichste heimische
Band nun auch live etwas vorzubringen und für ihr explizit gegen den noch vor
kurzem als „Mafia“ bezeichneten Konzertveranstalter Skalar Music, von dem man
sich heute aber eh buchen lässt, organisiertes Open-Air in der selbstverständlich
ausverkauften Wiener Arena das Salzburger Dosenfernsehen mitgebracht, das die
Show professionell abfilmen darf. Das erinnert an berühmte Konzertmitschnitte,
die ansonsten Anton Corbijn für Bands mit einem Vierteljahrhundert
Bühnenerfahrung dreht. One Night In Erdberg! Vom Regiepult aus sieht man
Schnitte nach backstage, was auch ans millionendollarschwere Preisboxen auf RTL
denken ließe, würde dort hinten nicht gerade an Zigaretten gesogen. Jetzt aber
schnell. Get ready to rumble!
Der
bühnenumspannende Vorhang fällt, Sänger Maurice Ernst erscheint im
paillettenbesetzten Glitzersakko als Goldmanderl mit Sonnenbrille an der Rampe und
singt darüber, wie er von der Bar aus die Mädels abcheckt. Der Gitarrist
verleugnet per Beinstellung, die sehr cool ist, seine Herkunft und kommt heute
aus einem Vorort von London, falls er nicht doch einst in New Jersey geboren
wurde, bevor es aus Businessgründen nach L.A. weiterging. Unter Tormännern im Fußball
ist eine ähnliche Arbeitshaltung als Schmähparade bekannt. Später wird noch
atemberaubend (sehr lässig!) im Blindflug mit der Gitarre hinterrücks ein Solo
gespielt, wie Bilderbuch das einst bei der Musikerziehung im Stiftsinternat
Kremsmünster eher nicht gelernt haben.
Die
Stimmung ist aufgeladen, der Groove sexuell, zum Glück haben die Salzburger
etwas vom Schnürlregen nach Wien mitgebracht. Maurice Ernst: „Es ist eh schon
so hot!“. „Willkommen im Dschungel“ ist das Vorspiel, „Rosen zum Plafond
(Besser wenn du gehst)“ mit Prince-Bezügen, dass man ganz ding wird, der Akt, und
„Maschin“ schließlich der Höhepunkt, der die Löcher aus dem Käse stanzt. Zwischendurch
erklärt aber auch der zackig nach Arctic-Monkeys-Vorbild auf den Dancefloor
geschmissene Indierock von 2009 erst den Quantensprung, den das heute mit der
Bandfarbe Gold ausgezeichnete Album „Schick Schock“ im Februar darstellte.
Zur großen Geste
vielleicht noch: Ein Gastrapper ist auch dabei und gegen Ende steht ein Koloss
aus der Muckibude auf der Bühne. Maurice Ernst sagt sehr oft „Danke, Wien!“ und
die Schmähparaden sind eigentlich auch sehr sexy!
(Wiener Zeitung, 20./21.6.2015)
(Wiener Zeitung, 20./21.6.2015)
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