Freitag, Juni 19, 2015

Schmähparaden im Blindflug

Bilderbuch triumphierten bei ihrem Open-Air-Konzert in der Wiener Arena

Die große Geste war lange Zeit ein nicht existenter Faktor im heimischen Pop. Im Mainstream gab es niemanden, der dazu das Talent oder die Eier hatte. Im Underground wiederum wurde es als Verrat angesehen, mehr Fans zu haben, als in einen VW-Bus passen. Alles darüber hinaus wäre mit schlaflosen Nächten verbunden, weil ein Verkauf der Seele an den Kommerzteufel gewesen. Schau du dich in den Spiegel. Komm du mir heim! Als künstlerisch wertvoll galt, wer am besten überhaupt nur bei seinen Brüdern bekannt war und weniger als fünf handkopierte Kassetten von seinem Demotape neben dem Joy-Division-Gedenkschrein liegen hatte, um sie - sicherlich nicht!! - gegen Geld feilzubieten. Seinerzeit war man ja so sehr dagegen, dass die Beamtengewerkschaft noch heute davon lernen kann.

Bilderbuch haben gegen diese Einstellung als neben Wanda aktuell erfolgreichste heimische Band nun auch live etwas vorzubringen und für ihr explizit gegen den noch vor kurzem als „Mafia“ bezeichneten Konzertveranstalter Skalar Music, von dem man sich heute aber eh buchen lässt, organisiertes Open-Air in der selbstverständlich ausverkauften Wiener Arena das Salzburger Dosenfernsehen mitgebracht, das die Show professionell abfilmen darf. Das erinnert an berühmte Konzertmitschnitte, die ansonsten Anton Corbijn für Bands mit einem Vierteljahrhundert Bühnenerfahrung dreht. One Night In Erdberg! Vom Regiepult aus sieht man Schnitte nach backstage, was auch ans millionendollarschwere Preisboxen auf RTL denken ließe, würde dort hinten nicht gerade an Zigaretten gesogen. Jetzt aber schnell. Get ready to rumble!

Der bühnenumspannende Vorhang fällt, Sänger Maurice Ernst erscheint im paillettenbesetzten Glitzersakko als Goldmanderl mit Sonnenbrille an der Rampe und singt darüber, wie er von der Bar aus die Mädels abcheckt. Der Gitarrist verleugnet per Beinstellung, die sehr cool ist, seine Herkunft und kommt heute aus einem Vorort von London, falls er nicht doch einst in New Jersey geboren wurde, bevor es aus Businessgründen nach L.A. weiterging. Unter Tormännern im Fußball ist eine ähnliche Arbeitshaltung als Schmähparade bekannt. Später wird noch atemberaubend (sehr lässig!) im Blindflug mit der Gitarre hinterrücks ein Solo gespielt, wie Bilderbuch das einst bei der Musikerziehung im Stiftsinternat Kremsmünster eher nicht gelernt haben.

Die Stimmung ist aufgeladen, der Groove sexuell, zum Glück haben die Salzburger etwas vom Schnürlregen nach Wien mitgebracht. Maurice Ernst: „Es ist eh schon so hot!“. „Willkommen im Dschungel“ ist das Vorspiel, „Rosen zum Plafond (Besser wenn du gehst)“ mit Prince-Bezügen, dass man ganz ding wird, der Akt, und „Maschin“ schließlich der Höhepunkt, der die Löcher aus dem Käse stanzt. Zwischendurch erklärt aber auch der zackig nach Arctic-Monkeys-Vorbild auf den Dancefloor geschmissene Indierock von 2009 erst den Quantensprung, den das heute mit der Bandfarbe Gold ausgezeichnete Album „Schick Schock“ im Februar darstellte.

Zur großen Geste vielleicht noch: Ein Gastrapper ist auch dabei und gegen Ende steht ein Koloss aus der Muckibude auf der Bühne. Maurice Ernst sagt sehr oft „Danke, Wien!“ und die Schmähparaden sind eigentlich auch sehr sexy!

(Wiener Zeitung, 20./21.6.2015)         

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