Mika, libanesisch-britischer
Held des Falsett- und Gute-Laune-Pop, und sein neues Album
Bisher
war noch immer Verlass auf den Mann gewesen, wenn es um gute Schwingungen ging.
Seit seinem Debütalbum „Life In Cartoon Motion“ von 2007 als damals noch frischgebackener
„BBC Sound Of …“-Sieger der Saison versteht sich Michael Holbrook Penniman Jr. unter
seinem Alias Mika bekanntlich sehr gut darauf, allfällige Probleme mit quietschend-quengelndem
Falsett- und Gute-Laune-Pop wegzuwischen. Keine Tränen mehr! Nicht einmal
Sorgenfalten. Mit Hits wie „Grace Kelly“ und auch vom Titel her bezeichnenden
Songs wie „Love Today“, „Lollipop“, „We Are Golden“ oder „Celebrate“ zünftig sich
zwischen Freakout, Kinderfaschingspolonäse, Musical-Mucke und Ententanz vergnügend,
hörte man nicht nur vor dem Hintergrund unseres Krisenzeitalters weniger
Verdrängungs- als viel mehr Erbauungspop.
Wenn
du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Mika-Song her. Du wirst
ihn exakt einmal hören und als heiter-beschwingte „La-la-la“-Melodie niemals wieder
aus dem Ohr und dem Gedächtnis bekommen. Wurden in Guantanamo Häftlinge mit
Death-Metal-Musik gefoltert, stellt man sich die Höchststrafe für alte
Griesgrame ja so vor, dass sie sich ein Mika-Medley von der örtlichen
Kindergartengruppe antun müssen. La-la-la! Und jetzt alle! Nicht nur die
Kinder! Nein, auch du da hinten! Hallo? Haaaalllo!! La-la-la!
Wie
viel Freude im Sinne eines den Happy-Sound für die Jetztzeit darstellenden Formatradio-Songwritertums
Mika dabei tatsächlich in die Welt gebracht hat, ist aber auch aus einem
anderen Grund schwer zu sagen. Immerhin hat der Mann zugegeben, unter diversen
Pseudonymen längst auch für die Kollegenschaft fremdzuschreiben. In Sachen
Mika-Leaks ist mit Eros Ramazzotti bisher zumindest ein Name gefallen.
Vielleicht konnte so auch erfolgreich für das Fach der auf Drama gestimmten „Oh
weh!“-Ballade geübt werden. In dieser Hinsicht hält das soeben erschienene
vierte, von Mikas Plattenfirma Universal Music vielleicht auch wegen eines sicheren
soliden Verkaufserfolgs (Und notfalls reißt uns der Kernmarkt in Frankreich
raus! Dort lieben sie Käse! Und Mika!) unmotiviert bis kaum beworbene Album „No
Place In Heaven“ die eine oder andere Überraschung bereit.
Neben
einer organischen, „erwachsenen“ sowie semi-akustisch auf Lagerfeuer- und den „You
gotta have faith“-Gitarren eines George Michael beruhenden Produktion, für die
auch das Klavier aus der „Merci“-Werbung eine tragende Rolle spielt, erlebt man
Mika nicht nur zwischendurch nachdenklich wie nie. Introspektiv balladistisch
darf es dann um mitunter schwierige Mutter-Sohn-Beziehungen („All She Wants“)
und persönliche Krisen („Ordinary Man“) gehen, die zur Flucht vor sich selbst
wie zur Flucht in die Flucht führen („Rio“) und sich etwa auch dann ergeben,
wenn man zwar gläubig, aber nicht unbedingt heterosexuell ist („No Place In
Heaven“). „Last Party“ als definitiv letztes Gelage angesichts des sicheren
Untergangs wiederum basiert auf der Legende, Freddie Mercury hätte einst zu
einem solchen geladen, nachdem er die HIV-Diagnose erhielt.
Weil
man die Geduld der dankbaren Zielgruppe nicht über Gebühr strapazieren soll, wird
es mit dem verspielten R&B von „Oh Girl You’re The Devil“, dem sanft
elektronisch abgefederten „Staring At The Sun“ und dem im Autoradio bestimmt
nicht unangenehm auffallenden „Talk About You“ (La-la-la! La-la-la!) aber auch wieder
leichter und lichter. Dazwischen: diesmal vorsichtig dosierte Einschübe mit
Mika als Quasi-Bee-Gee und pickert-süße „You’re the one that I
want“-Mann-Frau-Gesänge nach „Grease“-Vorbild. Schon Einstein wusste: „Wenn die
Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.“ Müsste man
sich nun auch unseren liebsten Quengel-Popper als depressiven Pillenschlucker
vorstellen, wäre der Untergang wohl noch schneller da.
Mika: No Place In Heaven (Universal Music)
(Wiener Zeitung, 19.6.2015)
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