Donnerstag, Juni 18, 2015

Nachdenklich zur letzten Party

Mika, libanesisch-britischer Held des Falsett- und Gute-Laune-Pop, und sein neues Album

Bisher war noch immer Verlass auf den Mann gewesen, wenn es um gute Schwingungen ging. Seit seinem Debütalbum „Life In Cartoon Motion“ von 2007 als damals noch frischgebackener „BBC Sound Of …“-Sieger der Saison versteht sich Michael Holbrook Penniman Jr. unter seinem Alias Mika bekanntlich sehr gut darauf, allfällige Probleme mit quietschend-quengelndem Falsett- und Gute-Laune-Pop wegzuwischen. Keine Tränen mehr! Nicht einmal Sorgenfalten. Mit Hits wie „Grace Kelly“ und auch vom Titel her bezeichnenden Songs wie „Love Today“, „Lollipop“, „We Are Golden“ oder „Celebrate“ zünftig sich zwischen Freakout, Kinderfaschingspolonäse, Musical-Mucke und Ententanz vergnügend, hörte man nicht nur vor dem Hintergrund unseres Krisenzeitalters weniger Verdrängungs- als viel mehr Erbauungspop.

Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Mika-Song her. Du wirst ihn exakt einmal hören und als heiter-beschwingte „La-la-la“-Melodie niemals wieder aus dem Ohr und dem Gedächtnis bekommen. Wurden in Guantanamo Häftlinge mit Death-Metal-Musik gefoltert, stellt man sich die Höchststrafe für alte Griesgrame ja so vor, dass sie sich ein Mika-Medley von der örtlichen Kindergartengruppe antun müssen. La-la-la! Und jetzt alle! Nicht nur die Kinder! Nein, auch du da hinten! Hallo? Haaaalllo!! La-la-la!

Wie viel Freude im Sinne eines den Happy-Sound für die Jetztzeit darstellenden Formatradio-Songwritertums Mika dabei tatsächlich in die Welt gebracht hat, ist aber auch aus einem anderen Grund schwer zu sagen. Immerhin hat der Mann zugegeben, unter diversen Pseudonymen längst auch für die Kollegenschaft fremdzuschreiben. In Sachen Mika-Leaks ist mit Eros Ramazzotti bisher zumindest ein Name gefallen. Vielleicht konnte so auch erfolgreich für das Fach der auf Drama gestimmten „Oh weh!“-Ballade geübt werden. In dieser Hinsicht hält das soeben erschienene vierte, von Mikas Plattenfirma Universal Music vielleicht auch wegen eines sicheren soliden Verkaufserfolgs (Und notfalls reißt uns der Kernmarkt in Frankreich raus! Dort lieben sie Käse! Und Mika!) unmotiviert bis kaum beworbene Album „No Place In Heaven“ die eine oder andere Überraschung bereit.

Neben einer organischen, „erwachsenen“ sowie semi-akustisch auf Lagerfeuer- und den „You gotta have faith“-Gitarren eines George Michael beruhenden Produktion, für die auch das Klavier aus der „Merci“-Werbung eine tragende Rolle spielt, erlebt man Mika nicht nur zwischendurch nachdenklich wie nie. Introspektiv balladistisch darf es dann um mitunter schwierige Mutter-Sohn-Beziehungen („All She Wants“) und persönliche Krisen („Ordinary Man“) gehen, die zur Flucht vor sich selbst wie zur Flucht in die Flucht führen („Rio“) und sich etwa auch dann ergeben, wenn man zwar gläubig, aber nicht unbedingt heterosexuell ist („No Place In Heaven“). „Last Party“ als definitiv letztes Gelage angesichts des sicheren Untergangs wiederum basiert auf der Legende, Freddie Mercury hätte einst zu einem solchen geladen, nachdem er die HIV-Diagnose erhielt.

Weil man die Geduld der dankbaren Zielgruppe nicht über Gebühr strapazieren soll, wird es mit dem verspielten R&B von „Oh Girl You’re The Devil“, dem sanft elektronisch abgefederten „Staring At The Sun“ und dem im Autoradio bestimmt nicht unangenehm auffallenden „Talk About You“ (La-la-la! La-la-la!) aber auch wieder leichter und lichter. Dazwischen: diesmal vorsichtig dosierte Einschübe mit Mika als Quasi-Bee-Gee und pickert-süße „You’re the one that I want“-Mann-Frau-Gesänge nach „Grease“-Vorbild. Schon Einstein wusste: „Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.“ Müsste man sich nun auch unseren liebsten Quengel-Popper als depressiven Pillenschlucker vorstellen, wäre der Untergang wohl noch schneller da.

Mika: No Place In Heaven (Universal Music)

(Wiener Zeitung, 19.6.2015)

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