Dienstag, Juni 23, 2015

Natursekt für alle!

Das Niedere-Instinkte-Projekt Lindemann und sein Niedere-Instinkte-Album „Lindemann“

Till Lindemann ist als Sänger und Texter der deutschen Band Rammstein dafür bekannt, auf der Bühne in Flammen stehend mit mächtig gerolltem „rrrrr“ und abgrundtiefer Stimme zu dumpfen, die deutsche Stahlindustrie in Musik übersetzenden Stakkatoriffs und flotten Marschrhythmen (das waren die 30er Jahre!) darüber zu singen, dass man den Wald gelegentlich mit einer Jungfrau aufsuchen muss, um ihn ohne sie wieder zu verlassen. Neben der Lust so groß, dem Herzen so wund oder dem Mond so helle wird es in der davon inspirierten Textarbeit bald entsprechend jenseitig zugehen. Lyrics von Rammstein lesen sich ungefähr so: „Ich grabe dir ein Grübelein / Das Grübelein sei dir dein Heim / Bevor es geht nach dort hernieder / Einen Sturmtrupp an dein Mieder!“

Das ist natürlich frei erfunden. Tatsache allerdings, dass sexuelle Unterwürfigkeits- und Dominanzfantasien bis hin zum Lustmord verhandelnde Hits der Band wie „Du riechst so gut“ dank Lindemanns dräuender Führerstimme so klingen, als hätte Walter Moers wieder einmal eine Sprechblase für Adolf Hitler gezeichnet: „Do rächst so got!“

Teutonische Freakshow

Dass das Ganze auch ohne die Sprache funktioniert, mag eingedenk der Musik zwar ein Wunder sein. Allerdings sorgt die Band, seit ihr David Lynch mit Soundtrack-Lizensierungen das Tor zum US-Markt öffnete, nicht zuletzt live als teutonische Freakshow mit hohem Schauwert dafür, dass der Deutsche in der Welt nicht mehr vordergründig als humorlos gilt, nein – dank Rammstein gilt er endlich wieder als geistesgestört und pervers. Crazy Krauts! Maximum perversion awesomeness. Look at that Gasmaske!

Peter Tägtgren wiederum ist unter eingeweihten Entweihten als Musiker und Produzent der halbstarken schwedischen „Komm, wir zünden eine Kirche an“-Metalmusik bekannt. Seine Freundschaft zu Till Lindemann geht auf die Verhinderung einer Schlägerei zurück, der eine durchzechte Nacht folgen sollte. Das nun vom Namen her sehr zu Gunsten des Mannes von der Rammstein-Front ausgefallene gemeinsame Projekt Lindemann als weitere Konsequenz wurde auch von Solobestrebungen der deutschen Bandkollegen begünstigt. Während Rammstein-Gitarrist Kruspe sich mit Emigrate beschäftigt hielt, ist von Keyboarder Flake zuletzt die inspiriert betitelte Biografie „Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann“ erschienen.

Von Lindemann wiederum liegt nun das Debütalbum „Skills In Pills“ (Warner) vor. Es verbindet auf Melodien bedachten Schlagermetal (oder so) zwischen Monumentalgitarren, endzeitlichen Keyboardstreichern, Glockengeläut und etwas Wagner-Feeling (Bayreuth! Nicht Wien Kärntner Straße!) mit Texten über niedere Instinkte. Das mag zwar lustig klingen, weil Till Lindemann heute in bester „Ser“- statt „There“-Tradition auf Englisch singt und dichtet („Yorr tscheient buhbs ar wunderbarrr!“). Allerdings geht in fremder Sprache hörbar etwas verloren. Man würde die übriggebliebene Deepness semideutsch vielleicht als „shallow“ bezeichnen.

Adipöse Akte

Zu Bildern von Mensch-Schwein-Hybriden mit Hängezitzen im dazugehörigen Video singt Lindemann in „Praise Abort“ über einen Wunsch, den man landläufig als „zurückpudern und abtreiben“ bezeichnet, wenn man sich gerade sehr über die eigene Brut ärgern muss. Ablenkung wird nach dem im Titelstück thematisierten Konsum hart machender Pillen im „Ladyboy“ gefunden, von dem zum Glück wirklich alles zu erwarten ist, außer, dass er dir ein Kind andreht. Neben adipösen Geschlechtsakten, den prächtigen Kanonen der Cowboys und etwa einer Aufriss- und Angel-Parabel („It smells like fish!“) wird als Höhe-, sprich Tiefpunkt des Albums dann noch ein Getränk gereicht, das auch akustisch in Strömen fließt: Natursekt ist für alle da, trallali und trallala.

Allerdings macht Natursekt keinen heiteren Schwips, sondern nur einen komischen Nachgeschmack. 

(Wiener Zeitung, 24.6.2015)

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