Das
Niedere-Instinkte-Projekt Lindemann und sein Niedere-Instinkte-Album
„Lindemann“
Till
Lindemann ist als Sänger und Texter der deutschen Band Rammstein dafür bekannt,
auf der Bühne in Flammen stehend mit mächtig gerolltem „rrrrr“ und
abgrundtiefer Stimme zu dumpfen, die deutsche Stahlindustrie in Musik
übersetzenden Stakkatoriffs und flotten Marschrhythmen (das waren die 30er
Jahre!) darüber zu singen, dass man den Wald gelegentlich mit einer Jungfrau aufsuchen
muss, um ihn ohne sie wieder zu verlassen. Neben der Lust so groß, dem Herzen
so wund oder dem Mond so helle wird es in der davon inspirierten Textarbeit bald
entsprechend jenseitig zugehen. Lyrics von Rammstein lesen sich ungefähr so: „Ich
grabe dir ein Grübelein / Das Grübelein sei dir dein Heim / Bevor es geht nach
dort hernieder / Einen Sturmtrupp an dein Mieder!“
Das
ist natürlich frei erfunden. Tatsache allerdings, dass sexuelle
Unterwürfigkeits- und Dominanzfantasien bis hin zum Lustmord verhandelnde Hits der
Band wie „Du riechst so gut“ dank Lindemanns dräuender Führerstimme so klingen,
als hätte Walter Moers wieder einmal eine Sprechblase für Adolf Hitler
gezeichnet: „Do rächst so got!“
Teutonische
Freakshow
Dass
das Ganze auch ohne die Sprache funktioniert, mag eingedenk der Musik zwar ein
Wunder sein. Allerdings sorgt die Band, seit ihr David Lynch mit Soundtrack-Lizensierungen
das Tor zum US-Markt öffnete, nicht zuletzt live als teutonische Freakshow mit
hohem Schauwert dafür, dass der Deutsche in der Welt nicht mehr vordergründig
als humorlos gilt, nein – dank Rammstein gilt er endlich wieder als geistesgestört
und pervers. Crazy Krauts! Maximum perversion awesomeness. Look at that Gasmaske!
Peter
Tägtgren wiederum ist unter eingeweihten Entweihten als Musiker und Produzent
der halbstarken schwedischen „Komm, wir zünden eine Kirche an“-Metalmusik
bekannt. Seine Freundschaft zu Till Lindemann geht auf die Verhinderung einer
Schlägerei zurück, der eine durchzechte Nacht folgen sollte. Das nun vom Namen
her sehr zu Gunsten des Mannes von der Rammstein-Front ausgefallene gemeinsame
Projekt Lindemann als weitere Konsequenz wurde auch von Solobestrebungen der deutschen
Bandkollegen begünstigt. Während Rammstein-Gitarrist Kruspe sich mit Emigrate
beschäftigt hielt, ist von Keyboarder Flake zuletzt die inspiriert betitelte
Biografie „Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann“ erschienen.
Von
Lindemann wiederum liegt nun das Debütalbum „Skills In Pills“ (Warner) vor. Es verbindet
auf Melodien bedachten Schlagermetal (oder so) zwischen Monumentalgitarren,
endzeitlichen Keyboardstreichern, Glockengeläut und etwas Wagner-Feeling
(Bayreuth! Nicht Wien Kärntner Straße!) mit Texten über niedere Instinkte. Das
mag zwar lustig klingen, weil Till Lindemann heute in bester „Ser“- statt
„There“-Tradition auf Englisch singt und dichtet („Yorr tscheient buhbs ar
wunderbarrr!“). Allerdings geht in fremder Sprache hörbar etwas verloren. Man
würde die übriggebliebene Deepness semideutsch vielleicht als „shallow“ bezeichnen.
Adipöse Akte
Zu
Bildern von Mensch-Schwein-Hybriden mit Hängezitzen im dazugehörigen Video singt
Lindemann in „Praise Abort“ über einen Wunsch, den man landläufig als „zurückpudern
und abtreiben“ bezeichnet, wenn man sich gerade sehr über die eigene Brut
ärgern muss. Ablenkung wird nach dem im Titelstück thematisierten Konsum hart
machender Pillen im „Ladyboy“ gefunden, von dem zum Glück wirklich alles zu
erwarten ist, außer, dass er dir ein Kind andreht. Neben adipösen Geschlechtsakten,
den prächtigen Kanonen der Cowboys und etwa einer Aufriss- und Angel-Parabel
(„It smells like fish!“) wird als Höhe-, sprich Tiefpunkt des Albums dann noch
ein Getränk gereicht, das auch akustisch in Strömen fließt: Natursekt ist für
alle da, trallali und trallala.
(Wiener Zeitung, 24.6.2015)
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