Mittwoch, Juni 24, 2015

Zeiten ändern sich – Dinge auch

Auf seiner „Never Ending Tour“ kommt Bob Dylan mit seiner Band am Freitag wieder nach Österreich. Für das Konzert im burgenländischen Wiesen ist abermals mit wenig Nostalgie zu rechnen. Anmerkungen zur Einstimmung.

1.    Eine der ersten Textzeilen des Abends wird lauten: „This place ain’t doing me any good. I’m in the wrong town, I should be in Hollywood“. Ein Zusammenhang mit dem herrlichen Auftrittsort im burgenländischen Wiesen besteht allerdings nicht. Bob Dylan erwartet bei „Things Have Changed“ von 2000, dem Jahr der Apokalypse, bloß den Untergang der Erde und das Zerbersten der Welt, was einerseits auf die Stimmung drückt. Andererseits wiederum ist es ihm auch egal, weil die Leute ohnehin verrückt sind und die Zeiten schlecht. Mögen wir alle zur Hölle fahren: „I used to care, but things have changed“.

2.     The times they are a-changinʼ – und die Dinge ändern sich eben auch. Bei Bob Dylan im Normalfall sogar täglich. Wechselnde Setlists und radikale Dekonstruktionen der eigenen Songs dominierten die „Never Ending Tour“ über Jahrzehnte und … bis vor ein, zwei Jahren. Vor zwölf Monaten etwa überraschte Bob Dylan nicht nur bei seinem Wien-Konzert in der Stadthalle mit einem Programm, das bis heute im Wesentlichen das gleiche ist. Das hätte es früher nicht gegeben! Allerdings war bei den Deutschlandauftritten der letzten Tage – keine Spoiler – auch der eine oder andere unerwartete Song dabei.

3.     Kaum auf dem Programm steht derzeit jedenfalls Material aus dem aktuellen Album „Shadows In The Night“, Dylans konzentriert-schnörkelloser und dabei erstaunlich ergreifender Frank-Sinatra-Hommage. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich der Meister darauf gezwungen sah, tatsächlich zu singen. Ein Wunder! Es gelang. Mit Bob Dylan grimmigen Blicks und den Jüngern durchaus nicht mit offenen Armen begegnend, ist der bevorzugte Vortragsstil live hingegen auf ein Geifern, Feixen und Bellen gestimmt. Alte Männer dürfen das. Und sie beißen dann eh nicht.

4.     Menschen, die Bob Dylan von früher als Protestsänger an der Lagerfeuergitarre kennen und ihm über lange Zeit nicht ins Konzert kamen, sind von diesem Vortragsstil, der distanziert-schrulligen Erscheinung des Meisters und dem definitiv nicht nostalgischen Einschlag des Abends oft enttäuscht, ja, schockiert. Und wo sind überhaupt die Hits? Was, das war ein Hit? Warum habe ich ihn dann nicht erkannt? Es kommt mitunter zu persönlichen Konzertresümees wie „Aber wenigstens war Mark Knopfler im Vorprogramm gut“, die ein Missverständnis darstellen. Ähnlicher Trost jedenfalls wird für etwaige Skeptiker in Wiesen aber nicht möglich sein. Es gibt dort keine Vorband.

5.     Bob Dylan steht mit seiner hervorragenden fünfköpfigen Band auf der Bühne, wobei die Erfüllungsgehilfen, im Gegensatz zu ihm selbst, ihren Dienst im Sonntagsanzug versehen. Vor allem Multiinstrumentalist Donnie Herron wird dabei an Pedal- und Lap-Steel-Gitarre, Geige, Mandoline und Banjo Schwerarbeit leisten. His Bobness wiederum greift in die Tasten und spielt Mundharmonika, wenn er sich nicht am Mikrofon ganz auf den Gesang konzentriert. Also auf den „Gesang“. Sollte er auch Gitarre spielen, wäre das ein weiteres Wunder.

6.     Wenn heute auch weitgehend auf eine fixe Setlist vertraut wird: weder klingen die Songs täglich gleich noch kommen sie gemeinhin in der Albumversion daher. Au contraire! Mit virtuos-nuancierten Vorgaben der mythologisch aufgeladenen US-Rockursuppe werden zwischen dem Blues aus dem Mississippi-Delta und windschiefen L’Amour-Hatschern aus dem Hinterland Spielarten vermessen. Das ist oft atemberaubend und geht keineswegs immer zu Herzen. Nur zwischendurch – und wenn es die aufheulenden Steelgitarren unbedingt (und dann aber wirklich!) wissen wollen – tropfen in der Honkytonk die Tränen zu Boden.         

7.     Bob Dylan erweist sich auch im Alter von 74 Jahren als rastlos. Auch wenn er auf der Bühne nicht immer maximal motiviert aussehen mag, wurden – zusätzlich zu den Studiosessions – im Vorjahr zwischen Ende März und Anfang Dezember 92 Konzerte in Europa, den USA, Asien und Ozeanien gespielt. Für heuer sind einstweilen 77 Auftritte anberaumt. Wie es so schön heißt: The mission is never accomplished. Und ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.

8.     Eines der ein, zwei Sinatra-Covers, die Dylan dann doch im Programm für Wiesen dabei haben könnte, ist das verschlafen mit Steel-Gitarren gereichte „Stay With Me“ als würdiger Endpunkt. Immerhin werden hier die Kernsujets des Meisters gespiegelt, es kommt zur Verschmelzung der Werke und Identitäten: Wege werden beschritten, aber taumelnd und strauchelnd, es wird gesündigt und in der christlichen Phase um Vergebung gebeten, der Sturm weht, Obdach wird gesucht und Errettung in der Liebe gefunden, als alles im schwarzen Nichts zu versinken droht.

9.     Konzertbeginn ist um 20:30 Uhr, Tickets sind zum erstaunlichen Preis von knapp 60 Euro noch erhältlich: „Don’t think twice, it’s all right!“

(Wiener Zeitung, 25.6.2015)

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