Auf seiner „Never
Ending Tour“ kommt Bob Dylan mit seiner Band am Freitag wieder nach Österreich.
Für das Konzert im burgenländischen Wiesen ist abermals mit wenig Nostalgie zu
rechnen. Anmerkungen zur Einstimmung.
1. Eine der ersten
Textzeilen des Abends wird lauten: „This place ain’t doing me any good. I’m in
the wrong town, I should be in Hollywood“. Ein Zusammenhang mit dem herrlichen
Auftrittsort im burgenländischen Wiesen besteht allerdings nicht. Bob Dylan
erwartet bei „Things Have Changed“ von 2000, dem Jahr der Apokalypse, bloß den
Untergang der Erde und das Zerbersten der Welt, was einerseits auf die Stimmung
drückt. Andererseits wiederum ist es ihm auch egal, weil die Leute ohnehin verrückt
sind und die Zeiten schlecht. Mögen wir alle zur
Hölle fahren: „I used to care, but things have changed“.
2.
The
times they are a-changinʼ – und die Dinge ändern sich eben auch. Bei Bob Dylan
im Normalfall sogar täglich. Wechselnde Setlists und radikale Dekonstruktionen
der eigenen Songs dominierten die „Never Ending Tour“ über Jahrzehnte und … bis
vor ein, zwei Jahren. Vor zwölf Monaten etwa überraschte Bob Dylan nicht nur
bei seinem Wien-Konzert in der Stadthalle mit einem Programm, das bis heute im
Wesentlichen das gleiche ist. Das hätte es früher nicht gegeben! Allerdings war
bei den Deutschlandauftritten der letzten Tage – keine Spoiler – auch der eine
oder andere unerwartete Song dabei.
3.
Kaum
auf dem Programm steht derzeit jedenfalls Material aus dem aktuellen Album „Shadows
In The Night“, Dylans konzentriert-schnörkelloser und dabei erstaunlich
ergreifender Frank-Sinatra-Hommage. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich der
Meister darauf gezwungen sah, tatsächlich zu singen. Ein Wunder! Es gelang. Mit
Bob Dylan grimmigen Blicks und den Jüngern durchaus nicht mit offenen Armen
begegnend, ist der bevorzugte Vortragsstil live hingegen auf ein Geifern,
Feixen und Bellen gestimmt. Alte Männer dürfen das. Und sie beißen dann eh
nicht.
4.
Menschen,
die Bob Dylan von früher als Protestsänger an der Lagerfeuergitarre kennen und
ihm über lange Zeit nicht ins Konzert kamen, sind von diesem Vortragsstil, der distanziert-schrulligen
Erscheinung des Meisters und dem definitiv nicht nostalgischen Einschlag des
Abends oft enttäuscht, ja, schockiert. Und wo sind überhaupt die Hits? Was, das
war ein Hit? Warum habe ich ihn dann nicht erkannt? Es kommt mitunter zu
persönlichen Konzertresümees wie „Aber wenigstens war Mark Knopfler im
Vorprogramm gut“, die ein Missverständnis darstellen. Ähnlicher Trost jedenfalls
wird für etwaige Skeptiker in Wiesen aber nicht möglich sein. Es gibt dort
keine Vorband.
5.
Bob
Dylan steht mit seiner hervorragenden fünfköpfigen Band auf der Bühne, wobei
die Erfüllungsgehilfen, im Gegensatz zu ihm selbst, ihren Dienst im Sonntagsanzug
versehen. Vor allem Multiinstrumentalist Donnie Herron wird dabei an Pedal- und
Lap-Steel-Gitarre, Geige, Mandoline und Banjo Schwerarbeit leisten. His Bobness
wiederum greift in die Tasten und spielt Mundharmonika, wenn er sich nicht am
Mikrofon ganz auf den Gesang konzentriert. Also auf den „Gesang“. Sollte er auch
Gitarre spielen, wäre das ein weiteres Wunder.
6.
Wenn
heute auch weitgehend auf eine fixe Setlist vertraut wird: weder klingen die
Songs täglich gleich noch kommen sie gemeinhin in der Albumversion daher. Au
contraire! Mit virtuos-nuancierten Vorgaben der mythologisch aufgeladenen US-Rockursuppe
werden zwischen dem Blues aus dem Mississippi-Delta und windschiefen L’Amour-Hatschern
aus dem Hinterland Spielarten vermessen. Das ist oft atemberaubend und geht keineswegs
immer zu Herzen. Nur zwischendurch – und wenn es die aufheulenden Steelgitarren
unbedingt (und dann aber wirklich!) wissen wollen – tropfen in der Honkytonk die
Tränen zu Boden.
7.
Bob
Dylan erweist sich auch im Alter von 74 Jahren als rastlos. Auch wenn er auf
der Bühne nicht immer maximal motiviert aussehen mag, wurden – zusätzlich zu
den Studiosessions – im Vorjahr zwischen Ende März und Anfang Dezember 92
Konzerte in Europa, den USA, Asien und Ozeanien gespielt. Für heuer sind
einstweilen 77 Auftritte anberaumt. Wie es so schön heißt: The mission is never
accomplished. Und ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.
8.
Eines
der ein, zwei Sinatra-Covers, die Dylan dann doch im Programm für Wiesen dabei
haben könnte, ist das verschlafen mit Steel-Gitarren gereichte „Stay With Me“
als würdiger Endpunkt. Immerhin werden hier die Kernsujets des Meisters
gespiegelt, es kommt zur Verschmelzung der Werke und Identitäten: Wege werden
beschritten, aber taumelnd und strauchelnd, es wird gesündigt und in der
christlichen Phase um Vergebung gebeten, der Sturm weht, Obdach wird gesucht
und Errettung in der Liebe gefunden, als alles im schwarzen Nichts zu versinken
droht.
9.
Konzertbeginn
ist um 20:30 Uhr, Tickets sind zum erstaunlichen Preis von knapp 60 Euro noch
erhältlich: „Don’t think twice, it’s all right!“
(Wiener Zeitung, 25.6.2015)
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