Donnerstag, Juni 04, 2015

Der Schutzpatron sei mit ihr

Florence + The Machine beschreiten auch auf Album Nummer drei einen Weg, der kein leichter ist.

Bezüglich der Bewältigung von Trennungen und ähnlichen Sinnkrisen mehr hat die Filmgeschichte bereits Klischeebilder genug gezeichnet, dass man beinahe von einer realen Vorlage in der echten Welt ausgehen könnte. Die Vorlage sieht übrigens so aus: Ein Mann geht in eine Bar und ertränkt seinen Kummer im Whiskeyglas. Er wird dann aber zu Boden gehen, weil sein Hass auf sich selbst auf einen unbeteiligten Dritten („Schau net so deppert!“) projiziert werden muss und daraus eine Mordsschlägerei entsteht („Nimm! Das! Du! Aarrgh!“). Das Ritual wiederholt sich über mehrere Wochen beinahe täglich, zwischendurch geht der Mann duschen, zieht ein frisches Hemd über und äußert die Vermutung, dass sein aktueller Lebenswandel eventuell doch nicht ganz so schlau sein könnte. Wir erleben Momente der Reue, Auszeiten im Hotel Mama („Es gibt Schnitzl!“), Spaziergänge im Nebel und am Ende eine Großaufnahme zweier Augen, die der Ungewissheit entgegenstarren.

Theatralischer Pop

Frauen wiederum ist das Los beschieden, dem zukünftigen Ex-Lover in der Öffentlichkeit eine Szene zu machen („Du Falott!“) und daheim im Bett gerade fünf Tabletten zu wenig für ein großes Unglück zu nehmen. Bald darauf: Eiscreme, Friseurtermin, Yogakurs und die Erkenntnis, dass der Falott sogar ein richtiger Sauhund war. Die Frau beginnt, helle Kleidung zu tragen und kommt jetzt endlich „ganz bei sich selbst an.“ Sie lächelt freundlich in die Sonne und wir wissen: Bald gibt es Nachwuchs. Es war der Yogalehrer, nicht der Gärtner!

Florence Welch hat als Frontfrau und Mastermind ihrer Band Florence + The Machine auf den beiden bisher erschienenen Alben  „Lungs“ und „Ceremonials“ nicht nur eine temporäre und eine endgültige Trennung verarbeitet. Sie hat darauf auch anderweitige Probleme ins Zentrum gestellt, die nicht zuletzt auf den Suizid einer ihrer Großmütter zurückgingen – und -gehen. Mit einer stark ausgeprägten Vorliebe für theatralischen Pop und einem geschickten Händchen für große Refrains wurden also auch aus schwierigen Themen millionenfach verkaufte Charts-Nummereinsen gemacht. Alleine die Auskopplung von sechs Singles pro Album bewies die kommerziellen Chancen der Band auf dem Markt. Nicht nur die Hitscheiben mussten sich mitunter zwar den Vorwurf gefallen lassen, dem eingangs umschriebenen Klischeebild der weiblichen Hysterie zu entsprechen. Andererseits schien der gebürtigen Britin der Vorurteilen zufolge männlich bestimmte Hang zur Selbstzerstörung auch nicht gänzlich fremd zu sein.

Aus Frau wird Baum

„How Big, How Blue, How Beautiful“ als nun erscheinender dritter Streich geht zum einen auf einen persönlichen Zusammenbruch der heute 28-Jährigen zurück. Zum anderen wird in den neuen Songs weitgehend ein Weg beschritten, der schon wieder kein leichter ist, und dabei explizit auch die mindestens unkluge Eigentherapie mittels Alkohol- und Medikamentenabusus verhandelt – ehe am Ende doch noch die Sonne scheint. Die Frage ist halt nur, ob man den dann zur Schau gestellten Eso-Schmafu nicht wesentlich unerträglicher findet. Immerhin will die Frau, nachdem sie sich bei „St Jude“ einem Schutzpatron zuwendet, bei  „Mother“ zum Baum werden – sofern sie nicht gerade das „Third Eye“ besingt und dabei Schlagwörter wie „creation“ fallen.

Dass auch eine musikalische Metamorphose erkennbar wird, ist nicht zuletzt einem Wechsel der Arbeitspartner geschuldet. Markus Dravs, 2010 dafür zuständig, auch Arcade Fire zu mehr Breitenwirksamkeit zu „verhelfen“, und Goldfrapp-Mann Will Gregory arrangieren allfällige Bläser-Streicher-Interaktionen bevorzugt als zum Klischee geronnene Aracade-Fire-Bausteine oder Cineplexx-tauglichen Breitwand-Pomp. Und auch der eine oder andere ins Stadion verweisende „Oh-ah-oh-ah“-Gesang aus dem Hintergrund wäre besser geschliffen worden. Der im Kern starke Werkkörper braucht den Firlefanz nicht, was nicht zuletzt bei den vergleichsweise reduzierten Songs offenkundig wird. Ein Bekenntnis zur großen Geste bestimmt aber selbst die intimsten Momente dieses nun hörbar von der US-Westküste inspirierten Albums.

Neue Hemdsärmeligkeit

Die unter besonderer Berücksichtigung von Vorbildern wie Fleetwood Mac auch in Richtung der Countryrock-Bodenständigkeit einer Lucinda Williams gebogene und dennoch als Popsong hörbare Single „Ship To Wreck“ überrascht in ihrer Hemdsärmeligkeit. Anderswo gehen kathedralische Hallgesänge mit feisten Stromakkorden für Festivalareal seltsame Affären ein. An der Staubwüstenbar hat eine Gitarre den Sperrstunden-Blues. Es gibt Powerballaden mit ebenso plakativen wie eindringlichen Refrains („Queen Of Peace“), beschwingt sich freispielende mögliche Hitsingles, denen es nicht an Tiefe fehlt („Delilah“) und reichlich Raum für die in beinahe jedem Moment gewinnende Stimme von Florence Welch. Über allem liegt das Bemühen, erwachsene Musik für ein erwachsenes Publikum zu produzieren. Das geht in Ordnung. Den „Oh-ah-oh-ah!“-Gesang und die Stellung als Baumfrau gilt es für das nächste Mal aber bitteschön zu überdenken.

Florence + The Machine: How Big, How Blue, How Beautiful (Island/Universal Music)

(Wiener Zeitung, 5.6.2015)

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