Der große
Celtic-, Blue-eyed- und einfach „nur“ Soulsänger Van Morrison gastierte in Wien
Seit
mittlerweile auch schon wieder längerer Zeit macht es der Meister den Jüngern
nicht einfach. Immerhin geht Van Morrison laut Eigendefinition schon seit den späten
70er Jahren nicht mehr auf Tour, um stattdessen nur mehr lose Konzerte zu
geben. Der Mann kann es sich leisten, sich selbst und der Entourage lange
Regenerationsphasen im Hotel zuzugestehen. Als nebenberuflicher Städtetourist
auf Schnitzeljagd dürfte der alte Griesgram abroad ja eher nicht auffällig werden.
Hotelbarjazz mit
Solo
Mitunter
muss man der größten weißen Soulstimme aller Zeiten sogar auf Jazzfestivals
folgen, um dort zwischen 12-Takt-Blues und Hotelbarjazz nicht unbedingt auch
motivierte Performances zu erleben. Für eine rare Wienaudienz wiederum dürfen Werktätige
dank eines pünktlich auf 19 Uhr angesetzten Konzertbeginns am Montag zur
Stadthalle hecheln, wo der 69-Jährige den Dienst zwar mit einer Dreiviertelstunde
Verspätung, dabei aber noch immer in der Pre-Primetime antritt. Mit „Celtic
Swing“, Van Morrison am Saxofon und seiner Band gediegen auf Rotweinjazz
konditioniert, erweisen sich die Hotelbarbefürchtungen auch hier als
berechtigt. Jeder bekommt sein Solo, es gibt freundlichen Zwischenapplaus.
Eine
Phase der Bühnenangst hat Van Morrison zwar längst überwunden. Vor 3500 heute
wahlweise vor Ehrfrucht oder man-weiß-es-auch-nicht erstarrenden, im
Sitzkonzert jedenfalls bis fast zum Ende auf den Sesseln verbleibenden Liebhabern
und Kennern scheint der Meister dennoch Sehnsucht nach dem Hotel zu haben. So
hastig Song an Song gereiht und Musiker um Musiker vom Klavier an die Orgel, vom
Kontra- an den E-Bass beordert wird, entsteht der Eindruck, dass der Abend eher
kurz als kurzweilig werden könnte. Allem hier zur Schau gestellten, gemeinhin
als „Kunstgenuss pur“ rezipierten Vollblutmusikertum kess zwischen Synkopen,
Triolen, Triller und dem nächsten Kontrabasssolo zum Trotz darf nicht vergessen
werden, dass Van Morrison immer auch zwei, drei Gesangstöne ausreichen konnten,
um das Spektrum menschlicher Emotionen zu durchmessen – und uns in die Knie zu
zwingen.
Und
tatsächlich, die Stimme hält nicht auch heute einfach noch. Bei für die
Stadthalle ungewohnt klaren Soundverhältnissen brilliert Van Morrison, trotz
Bühnenhitze mit Sonnenbrille und Hut zugeknöpft im Maßanzug, durch alle
Stimmungslagen wie auch in Momenten größter musikalischer Routine als Mann mit Gefühl.
Bei „Days Like This“ als späterem Göttersong von 1995 ist dabei auch gar kein besonderer
Nachdruck vonnöten, um das Publikum jubeln zu lassen. Mit Band und einer auch
für hübsch gospelige Mann-Frau-Gesangsdialoge wichtigen Backgroundsängerin weit
weg von einem ohnehin nicht erwarteten Best-of-Konzert wird das Werk zwischen
klaviergetragenem Songwritertum, geschultem Jazz und sanft groovendem R&B
an manchem Klassiker vorbei zumindest in seiner stilistischen Bandbreite gut
abgesteckt. Wobei im nicht mit dem Morast aus dem Mississippi-Delta, sondern gleichfalls
wohlfeil auf Konzerthaus-Etikette bedacht gereichten Blues zart aus dem
Hintergrund die Gitarren johnleehokern.
Hin zur
Gospelmesse
Interessant
neben dem Dirigat Van Morrisons, mit dem Rücken zu den Erfüllungsgehilfen aussagekräftig
über die rechte Faust vollstreckt, auch, dass sich der von jeher auf
Spiritualität gepolte Nordire vor allem im großzügig bemessenen geistlichen
Teil der täglich wechselnden Setlist wohlfühlen dürfte. Schließlich gerät das
Konzert mit „Whenever God Shines His Light“ gegen Ende zur innig-ekstatischen Gospelmesse.
(Wiener Zeitung, 10.6.2015)
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