Dienstag, Juni 09, 2015

Routinier der Erleuchtung

Der große Celtic-, Blue-eyed- und einfach „nur“ Soulsänger Van Morrison gastierte in Wien

Seit mittlerweile auch schon wieder längerer Zeit macht es der Meister den Jüngern nicht einfach. Immerhin geht Van Morrison laut Eigendefinition schon seit den späten 70er Jahren nicht mehr auf Tour, um stattdessen nur mehr lose Konzerte zu geben. Der Mann kann es sich leisten, sich selbst und der Entourage lange Regenerationsphasen im Hotel zuzugestehen. Als nebenberuflicher Städtetourist auf Schnitzeljagd dürfte der alte Griesgram abroad ja eher nicht auffällig werden.

Hotelbarjazz mit Solo

Mitunter muss man der größten weißen Soulstimme aller Zeiten sogar auf Jazzfestivals folgen, um dort zwischen 12-Takt-Blues und Hotelbarjazz nicht unbedingt auch motivierte Performances zu erleben. Für eine rare Wienaudienz wiederum dürfen Werktätige dank eines pünktlich auf 19 Uhr angesetzten Konzertbeginns am Montag zur Stadthalle hecheln, wo der 69-Jährige den Dienst zwar mit einer Dreiviertelstunde Verspätung, dabei aber noch immer in der Pre-Primetime antritt. Mit „Celtic Swing“, Van Morrison am Saxofon und seiner Band gediegen auf Rotweinjazz konditioniert, erweisen sich die Hotelbarbefürchtungen auch hier als berechtigt. Jeder bekommt sein Solo, es gibt freundlichen Zwischenapplaus.

Eine Phase der Bühnenangst hat Van Morrison zwar längst überwunden. Vor 3500 heute wahlweise vor Ehrfrucht oder man-weiß-es-auch-nicht erstarrenden, im Sitzkonzert jedenfalls bis fast zum Ende auf den Sesseln verbleibenden Liebhabern und Kennern scheint der Meister dennoch Sehnsucht nach dem Hotel zu haben. So hastig Song an Song gereiht und Musiker um Musiker vom Klavier an die Orgel, vom Kontra- an den E-Bass beordert wird, entsteht der Eindruck, dass der Abend eher kurz als kurzweilig werden könnte. Allem hier zur Schau gestellten, gemeinhin als „Kunstgenuss pur“ rezipierten Vollblutmusikertum kess zwischen Synkopen, Triolen, Triller und dem nächsten Kontrabasssolo zum Trotz darf nicht vergessen werden, dass Van Morrison immer auch zwei, drei Gesangstöne ausreichen konnten, um das Spektrum menschlicher Emotionen zu durchmessen – und uns in die Knie zu zwingen.

Und tatsächlich, die Stimme hält nicht auch heute einfach noch. Bei für die Stadthalle ungewohnt klaren Soundverhältnissen brilliert Van Morrison, trotz Bühnenhitze mit Sonnenbrille und Hut zugeknöpft im Maßanzug, durch alle Stimmungslagen wie auch in Momenten größter musikalischer Routine als Mann mit Gefühl. Bei „Days Like This“ als späterem Göttersong von 1995 ist dabei auch gar kein besonderer Nachdruck vonnöten, um das Publikum jubeln zu lassen. Mit Band und einer auch für hübsch gospelige Mann-Frau-Gesangsdialoge wichtigen Backgroundsängerin weit weg von einem ohnehin nicht erwarteten Best-of-Konzert wird das Werk zwischen klaviergetragenem Songwritertum, geschultem Jazz und sanft groovendem R&B an manchem Klassiker vorbei zumindest in seiner stilistischen Bandbreite gut abgesteckt. Wobei im nicht mit dem Morast aus dem Mississippi-Delta, sondern gleichfalls wohlfeil auf Konzerthaus-Etikette bedacht gereichten Blues zart aus dem Hintergrund die Gitarren johnleehokern.

Hin zur Gospelmesse

Interessant neben dem Dirigat Van Morrisons, mit dem Rücken zu den Erfüllungsgehilfen aussagekräftig über die rechte Faust vollstreckt, auch, dass sich der von jeher auf Spiritualität gepolte Nordire vor allem im großzügig bemessenen geistlichen Teil der täglich wechselnden Setlist wohlfühlen dürfte. Schließlich gerät das Konzert mit „Whenever God Shines His Light“ gegen Ende zur innig-ekstatischen Gospelmesse.

Als sich mit dem zumindest einst garagenrockistischen Them-Klassiker „Gloria“ auch noch die Band in Rage spielt, ist der Meister selbst aber bereits hinter der Bühne verschwunden, um mit exakt keiner Zugabe auch nicht wiederzukehren. 90 Minuten sind geschlagen, die Erleuchtung fällt mit dem Saallicht zu Boden.       

(Wiener Zeitung, 10.6.2015)

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