Mittwoch, Dezember 20, 2017

(Selbst-)Zweifel in aggro und emo

US-Rapper Eminem kehrt mit „Revival“ zurück – ein Nämliches aber markiert sein neues Album kaum.

Wenn man ein Revival ankündigt, ist das gemeinhin ein starkes Signal. Gerade im eigentlich auf die Nachricht fokussierten Hip-Hop-Genre mit dem Rapper als Textdichter und vor allem Botschafter einer Sache sollte man wissen, dass Signale auch Stimuli sind. Sie sorgen dafür, dass das Volk die Schweinsohren spitzt, die Aufmerksamkeit schärft und einmal genauer hinhören will. Nicht umsonst sind Signalfarben im Regelfall grell, laut, marktschreierisch. Signale befeuern die Neugier und schüren Erwartungen. Wartezeit ist okay, aber jetzt keine Enttäuschungen! Der Verkündiger ist am Wort, und er verkündet.

Im Kreatief

Einen Albumtitel wie „Revival“ (Universal Music) nicht als selbstreferenzielles Statement zu lesen ist im Hip-Hop also beinahe unmöglich. Gerade auch im aktuellen Fall und bei Eminem, der als White-Trash-Rapperkönig der Zeit um die Jahrtausendwende vor allem in den Jugendzimmern weißer männlicher Halbstarker umging und bei dem man sich im Anschluss immer wieder einmal fragen durfte, was der eigentlich heute so macht. Allerdings ist auf dem Albumcover und unter dem Schriftzug, der ein „Revival“ zumindest auf dem Papier vorwegnehmen soll, dann auch die US-Fahne zu sehen. Diese legt automatisch eine politische Lesart nahe, die etwas in Richtung „Make America great again“ aussagen beziehungsweise den ironischen Bruch dieses Trump’schen Wahlkampfslogans markieren könnte.

Das Album beginnt so, dass Gastsängerin Beyoncé im eröffnenden „Walk On Water“ ergriffen zu etwas Gospelklavier koloraturjodeln darf und Eminem als einstiger Dicke-Hose-Rapper im Kreatief Wunden ausstellt, anstatt die im Titel behauptete Wiederbelebung voll Selbstüberzeugung zu präsentieren. Der Verkündiger ist da, aber er zeigt sich zerknirscht! Es heißt „I walk on water / But I ain’t no Jesus / I walk on water / But only when it freezes (fuck!)“ – und Eminem bezeichnet sein eigenes Frühwerk als Fluch, weil es die Latte für das Nachfolgende zu hoch gelegt hätte. Hallo, so geht das nicht! Im Normalfall wäre es an dieser Stelle angebracht, sich selbst als geilster Obermacker unter der Sonne zu inszenieren, der den Fuhrpark der Konkurrenz aus der Portokasse bezahlt und ihre Bitches gleich mitnimmt. Eminem aber bleibt dem Hader und dem Zweifel treu und stellt im Perspektivenwechsel von „Believe“ gleich darauf die Frage nach dem Glauben (an ihn) an die Gemeinde. Etwas später im Verlauf dieses trotz und wahrscheinlich auch aufgrund seiner überbordenden Spieldauer von mehr als einer Stunde und siebzehn Minuten nicht und nicht zum Punkt kommenden Albums wird es in einem Stück namens „River“ noch hin zum Jordan aus dem Matthäusevangelium gehen – und um Lügen, Leid und das Hinwegwaschen der Sünde durch womöglich die Flut der letzten Tage.

Pflichtschuldig-patriotisch

Für etwas öffentliches Wohlwollen hätte Eminem zwar erst Anfang Oktober gesorgt, als er den US-Präsidenten mit einem Freestyle-Rap im Rahmen einer Award-Show verbal attackierte und seinen Auftritt mit der Aussage beschloss, dass jemand, der Donald Trump unterstützt, nicht gleichzeitig auch ein Fan von Eminem sein kann. Auf „Revival“ ist seine „Kritik“ dann aber doch etwas schal, wenn das lyrische Ich des die Horrorcore-Nische bedienenden Stücks „Framed“ eines Mordes bezichtigt wird und plötzlich die Präsidententochter Ivanka Trump in seinem Kofferraum auftaucht. Oder wenn Eminem Donald Trump in „Like Home“ zerlegt („All he does is watch Fox News like a parrot and repeats …“), den Song dann aber eh noch pflichtschuldig-patriotisch in eine Lobeshymne auf Amerika übergehen lässt.

Dazwischen basht der heute 45-Jährige bei „Chloraseptic“ den Hip-Hop-Nachwuchs (etwas Besseres kommt nicht nach), biedert sich mit „Untouchable“ der Black-Lives-Matter-Bewegung an, psychologisiert negative Beziehungsdynamiken („Tragic Endings“, „Need Me“) oder entschuldigt sich bei seiner sowohl im Werk als auch in Interviews in der Vergangenheit wiederholt massiv frauenfeindlich vorgeführten Ex-Frau Kim Mathers. Das persönlich gehaltene Finale des Albums wiederum bleibt Eminems Beschäftigung mit seiner Tablettenabhängigkeit während der zweiten Hälfte der Nullerjahre (und ihren Auswirkungen) vorbehalten.

Konsens-Gastacts

Inklusive Eminem selbst und der gerne als letzte Hoffnung für einschlägige Problembären gezückten Studio- und Mischpult-Allzweckwaffe Rick Rubin wurden 20 Produzenten für die Arbeit an „Revival“ verschlissen – mit dem unbefriedigenden Ergebnis, dass man Eminem nun trotzdem zu reichlich abgestandenen Samples wie „I Love Rock ’n’ Roll“ von Joan Jett oder – ernsthaft! – „Zombie“ von den Cranberries hört. Vom Kontrast der nicht selten aggro mit Schaum vor dem Mund daherkommenden Raps zu den weichgespülten Emo- und Hitradiorefrains mit für Umsatz sorgen sollenden Konsens-Gastacts wie Pink, Alicia Keys, Kehlani oder Ed Sheeran einmal ganz abgesehen.

Neben den Songs selbst dürfte auch die Gesamtrechnung nicht aufgehen. Wie man das sonst so von Revolutionen her kennt, finden offenbar auch angekündigte Revivals nicht statt.

(Wiener Zeitung, 21.12.2017)

Keine Kommentare: