U2 setzen mit dem
neuen Album „Songs Of Experience“ als U2-Coverband auf Bewährtes.
Die
in den Jahren 1789 und 1794 erschienenen illustrierten Gedichtbände „Songs Of
Innocence“ und „Songs Of Experience“ des britischen Poeten William Blake sind
eine interessante Sache. Auch weil sie den besser als Bono bekannten irischen Wohltäter
und Rocksänger Paul David Hewson noch 225 Jahre später zu zwei gleichnamigen Alben
inspirierten, die mit seiner Band U2 nur bedingt konvenieren. Darin verhandelte
Blake zwar auch den von Bono gerne hochgehaltenen Topos der kindlichen Unschuld
– gerade vor dem Hintergrund der moralischen Verderbtheit einer (erwachsenen) Welt
voller Zynismus – und fand etwa in der Unterdrückung von Minderheiten ein auch von
U2 bei Treffen mit Entscheidungsträgern auf der politischen Bühne oder im
Rahmen von Konzerten in Fußballstadien angesprochenes Thema. Sehr im Gegensatz
zu Bono, der sich in zumindest einem neuen Songtext auch heute wieder direkt an
Jesus wendet, gehörte der am Übergang von der Aufklärung zur Klassik nicht
zuletzt kirchenkritisch agierende Blake allerdings nicht in die Kategorie der
Wasserprediger und Weintrinker.
Toter schreiben
Bono
und U2, es ist seit Jahren bekannt, rechnen ihre Steuern trotz ihres Eintretens
für soziale Gerechtigkeit kostenoptimierend in den Niederlanden und somit an
der Bevölkerung ihrer irischen Heimat vorbei ab. Sie schlitterten in ein erhebliches
PR-Desaster, als im Jahr 2014 ausgerechnet ihre „Songs Of Innocence“ (es ist
ein Witz) 500 Millionen iTunes-User für einen Deal der Band mit dem Apple-Konzern
zwangsbeglückten. Und gerade erst im Vorfeld des nun also vorliegenden 14. Studioalbums
„Songs Of Experience“ (Universal Music) enthüllten die sogenannten „Paradise
Papers“, dass Bono auch als Investor über Firmen in Steueroasen agiert.
Vielleicht denkt er aktuell ja an sich selbst, wenn zwischen zwei neuen Songs eine
auch als Predigt angelegte Brandrede auftaucht: „Blessed are the filthy rich / For
you can only truly own what you give away!“
Bono
hat „Songs Of Experience“ zunächst als sehr persönliches Album konzipiert. Nach
einem Fahrradunfall im New Yorker Central Park wurde ihm vom irischen Schriftsteller
Brendan Kennelly empfohlen, so zu schreiben, als wäre er tot. Das ist gelungen.
Zahlreiche Plattitüden zwischen dem eingangs auch mit einem fehlgeschlagenen Auto-Tune-Experiment
daherkommenden „Love Is All We Have Left“ und dem Rührstück „13 (There Is A
Light)“ zum Abschluss belegen es. Bono begegnet den dunkeln Mächten dabei
abermals mit dem Lichtschwert der Liebe, das es auch brauchen wird. Immerhin
wurde das Album unter den Eindrücken weltpolitischer Ereignisse wie der Wahl
Donald Trumps zum US-Präsidenten noch einmal überarbeitet. Bei „American Soul“
besingt Bono den längst verblassten amerikanischen Traum auch vor dem Hintergrund
globaler Migrationskrisen – und banalisiert sehr viel Flüchtlingsleid, wenn er
sich mit dem Satz „Let it be unity, let it be community / for refugees like you
and me“ auch selbst ins Spiel bringt.
Erbauung und
Trost
Er
flüchtet vor der Realität kalter, harter Zeiten in den „Summer Of Love“ (mein
Gott!) und richtet mit „Get Out Of Your Own Way“ zwischen gewohnt vielen „Hey-oooohs“
und „Ooooh-heeeeys“ strikt im Zeichen von Erbauung und Trost stehende
Botschaften mit einmal Pathos extra an die Kinder und Kindeskinder: „I could
sing it to you all night / If I could, Iʼd make it alright / Nothingʼs stopping
you except whatʼs inside / I can help you, but itʼs your fight.“ Als Kaufargument
für den Nachwuchs werden die Haim-Schwestern und Rapper Kendrick Lamar vor den
Karren gespannt. Ihre Gastauftritte bleiben, wie soll man es sagen, eher im
Hintergrund.
Im
Gegensatz zu den Songs des sehr mauen Vorgängeralbums sind die neuen Stücke
musikalisch nur mittelmau. Dafür haben U2 endgültig sämtliche Ambitionen
verloren – und gehen als hauseigene U2-Coverband langweilig auf Nummer sicher. Immerhin:
Bei „You’re The Best Thing About Me“ muss man Bono ausnahmsweise doch einmal
rechtgeben. Auch das Werk von William Blake wurde zu Lebzeiten übrigens abgelehnt.
(Wiener Zeitung, 2./3.12.2017)
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