Freitag, Dezember 01, 2017

Unschuld und Erfahrung

U2 setzen mit dem neuen Album „Songs Of Experience“ als U2-Coverband auf Bewährtes.

Die in den Jahren 1789 und 1794 erschienenen illustrierten Gedichtbände „Songs Of Innocence“ und „Songs Of Experience“ des britischen Poeten William Blake sind eine interessante Sache. Auch weil sie den besser als Bono bekannten irischen Wohltäter und Rocksänger Paul David Hewson noch 225 Jahre später zu zwei gleichnamigen Alben inspirierten, die mit seiner Band U2 nur bedingt konvenieren. Darin verhandelte Blake zwar auch den von Bono gerne hochgehaltenen Topos der kindlichen Unschuld – gerade vor dem Hintergrund der moralischen Verderbtheit einer (erwachsenen) Welt voller Zynismus – und fand etwa in der Unterdrückung von Minderheiten ein auch von U2 bei Treffen mit Entscheidungsträgern auf der politischen Bühne oder im Rahmen von Konzerten in Fußballstadien angesprochenes Thema. Sehr im Gegensatz zu Bono, der sich in zumindest einem neuen Songtext auch heute wieder direkt an Jesus wendet, gehörte der am Übergang von der Aufklärung zur Klassik nicht zuletzt kirchenkritisch agierende Blake allerdings nicht in die Kategorie der Wasserprediger und Weintrinker.

Toter schreiben

Bono und U2, es ist seit Jahren bekannt, rechnen ihre Steuern trotz ihres Eintretens für soziale Gerechtigkeit kostenoptimierend in den Niederlanden und somit an der Bevölkerung ihrer irischen Heimat vorbei ab. Sie schlitterten in ein erhebliches PR-Desaster, als im Jahr 2014 ausgerechnet ihre „Songs Of Innocence“ (es ist ein Witz) 500 Millionen iTunes-User für einen Deal der Band mit dem Apple-Konzern zwangsbeglückten. Und gerade erst im Vorfeld des nun also vorliegenden 14. Studioalbums „Songs Of Experience“ (Universal Music) enthüllten die sogenannten „Paradise Papers“, dass Bono auch als Investor über Firmen in Steueroasen agiert. Vielleicht denkt er aktuell ja an sich selbst, wenn zwischen zwei neuen Songs eine auch als Predigt angelegte Brandrede auftaucht: „Blessed are the filthy rich / For you can only truly own what you give away!“

Bono hat „Songs Of Experience“ zunächst als sehr persönliches Album konzipiert. Nach einem Fahrradunfall im New Yorker Central Park wurde ihm vom irischen Schriftsteller Brendan Kennelly empfohlen, so zu schreiben, als wäre er tot. Das ist gelungen. Zahlreiche Plattitüden zwischen dem eingangs auch mit einem fehlgeschlagenen Auto-Tune-Experiment daherkommenden „Love Is All We Have Left“ und dem Rührstück „13 (There Is A Light)“ zum Abschluss belegen es. Bono begegnet den dunkeln Mächten dabei abermals mit dem Lichtschwert der Liebe, das es auch brauchen wird. Immerhin wurde das Album unter den Eindrücken weltpolitischer Ereignisse wie der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten noch einmal überarbeitet. Bei „American Soul“ besingt Bono den längst verblassten amerikanischen Traum auch vor dem Hintergrund globaler Migrationskrisen – und banalisiert sehr viel Flüchtlingsleid, wenn er sich mit dem Satz „Let it be unity, let it be community / for refugees like you and me“ auch selbst ins Spiel bringt.

Erbauung und Trost

Er flüchtet vor der Realität kalter, harter Zeiten in den „Summer Of Love“ (mein Gott!) und richtet mit „Get Out Of Your Own Way“ zwischen gewohnt vielen „Hey-oooohs“ und „Ooooh-heeeeys“ strikt im Zeichen von Erbauung und Trost stehende Botschaften mit einmal Pathos extra an die Kinder und Kindeskinder: „I could sing it to you all night / If I could, Iʼd make it alright / Nothingʼs stopping you except whatʼs inside / I can help you, but itʼs your fight.“ Als Kaufargument für den Nachwuchs werden die Haim-Schwestern und Rapper Kendrick Lamar vor den Karren gespannt. Ihre Gastauftritte bleiben, wie soll man es sagen, eher im Hintergrund.

Im Gegensatz zu den Songs des sehr mauen Vorgängeralbums sind die neuen Stücke musikalisch nur mittelmau. Dafür haben U2 endgültig sämtliche Ambitionen verloren – und gehen als hauseigene U2-Coverband langweilig auf Nummer sicher. Immerhin: Bei „You’re The Best Thing About Me“ muss man Bono ausnahmsweise doch einmal rechtgeben. Auch das Werk von William Blake wurde zu Lebzeiten übrigens abgelehnt.                       

(Wiener Zeitung, 2./3.12.2017)

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