Donnerstag, Februar 01, 2018

Endzeitpredigt in der Studentenbude

Algiers präsentierten ihren Soul der letzten Tag im Wiener B72.

Grundsätzlich ist es natürlich ein Skandal, dass die Band mit ihrem aktuellen Meisterwerk "The Underside Of Power" im Gepäck nicht zumindest in der großen Halle der Wiener Arena auf der Bühne steht. Es handelt sich dabei immerhin um ein Album des Jahres 2017. Dafür aber wird man im bezüglich "Heast, Oida, geh owa vo meine Fiass!" problematischen, an eine nach einer in die Hose gegangenen Facebookeinladung völlig überfüllte Party in der polizeilich bald wieder geräumten Studentenbude oder an eine Dose mit Ölsardinen erinnernden B72 am Hernalser Gürtel etwas erleben, das Promoter gerne als "intime Clubatmosphäre" bewerben. Hier hat man eindeutig von der Immobilienbranche ("Bastler-Hit") gelernt. Während wir einander am Dienstagabend also näher kommen, als wir das eigentlich wollen, hier als Kontrastmittel ein erfreulicher Gedanke: Ja, wir werden Algiers schon gesehen haben, bevor dein Cousin in vier Jahren eigens mit dem Bus aus Mistelbach in den Gasometer anreisen muss.

Totenbeschwörung

Auf der Bühne bemüht sich die Band währenddessen, erst einmal warm zu werden. Das geht zwar in der eng sitzenden Lederjacke und auch unter kräftigem Zutun watttechnisch bestimmt im Fastilliardenbereich liegender Beleuchtungskörper ziemlich einfach, es braucht heute aber musikalisch doch etwas Zeit. Die Musik kommt ja auch mit motivatorisch betrachtet eher ungeeigneten Titeln wie "Cry Of The Martyrs", "Plague Years" oder "Death March" daher. Die dann aber eh betont kämpferische Ausrichtung des transatlantisch operierenden Quartetts, dem mit Matt Tong ein von den Kollegen von Bloc Party übergelaufener Abtrünniger am Schlagzeug galeerentrommlerhaft einheizt, demonstriert neben einer geballten Faust und der Aufschrift "All Power To The People" im Hintergrund inhaltlich nicht zuletzt schon der erste Song des Abends: "Cleveland" ist eine gespenstische Totenbeschwörung angesichts durch US-Polizeigewalt getöteter Afroamerikaner. Ziviler Ungehorsam und Widerstand auf historischem Boden zwischen Bürgerrechts- und Black-Panther-Bewegung, Antikolonialismus und der guten alten hoffnungsfrohen Botschaft von Sam Cooke ("A Change Is Gonna Come") ergänzen die Themenpalette dieser auch die Negativentwicklungen unserer Gegenwart in eine Art Soul der letzten Tage überführenden Kunst.

Im Voodoo-Remix

Frisurentechnisch mag Sänger Franklin James Fisher heute in Richtung Lionel Richie gehen. Musikalisch wird anstelle von Schmusepop gottlob aber eine Mischung geboten, die den Furor des Alten Testaments gerade auch mit Fisher als Endzeitprediger mit Schaum vor dem Mund zu sägenden Post-Punk-Gitarren, Drumcomputerbeats aus der Ära des frühen Elektropop und Doo-wop im Voodoo-Remix spürbar macht. Auf uns wartet zwar der Höllenschlund. Aber der Soundtrack auf dem Weg dorthin ist fantastisch!

Zwischen ein, zwei Jams, gerne auch unter den Vorzeichen von 70er-Jahre-Rockrepetition, und eingestreuten, Fender-Rhodes-getragenen Nachtatmosphären als Live-Erweiterung - sowie dem ohnehin überzeugenden Vokalvortrag Fishers - wird man im B72 vielleicht auch aufgrund der Rahmenbedingungen zwar nicht vollkommen umgeblasen. Allein schon für den beschwörenden Göttersong "Blood" hat sich der Konzertbesuch am Ende aber gelohnt. Beklemmung mit einem Klagechor aus der Dose: "Four hundred years of torture / Four hundred years a slave / Dead just to watch you squander / Just what we tried to save."

(Wiener Zeitung, 1.2.2018)

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