Algiers
präsentierten ihren Soul der letzten Tag im Wiener B72.
Grundsätzlich
ist es natürlich ein Skandal, dass die Band mit ihrem aktuellen Meisterwerk
"The Underside Of Power" im Gepäck nicht zumindest in der großen Halle
der Wiener Arena auf der Bühne steht. Es handelt sich dabei immerhin um ein
Album des Jahres 2017. Dafür aber wird man im bezüglich "Heast, Oida, geh
owa vo meine Fiass!" problematischen, an eine nach einer in die Hose
gegangenen Facebookeinladung völlig überfüllte Party in der polizeilich bald
wieder geräumten Studentenbude oder an eine Dose mit Ölsardinen erinnernden B72
am Hernalser Gürtel etwas erleben, das Promoter gerne als "intime
Clubatmosphäre" bewerben. Hier hat man eindeutig von der Immobilienbranche
("Bastler-Hit") gelernt. Während wir einander am Dienstagabend also
näher kommen, als wir das eigentlich wollen, hier als Kontrastmittel ein
erfreulicher Gedanke: Ja, wir werden Algiers schon gesehen haben, bevor dein
Cousin in vier Jahren eigens mit dem Bus aus Mistelbach in den Gasometer
anreisen muss.
Totenbeschwörung
Auf
der Bühne bemüht sich die Band währenddessen, erst einmal warm zu werden. Das
geht zwar in der eng sitzenden Lederjacke und auch unter kräftigem Zutun
watttechnisch bestimmt im Fastilliardenbereich liegender Beleuchtungskörper
ziemlich einfach, es braucht heute aber musikalisch doch etwas Zeit. Die Musik
kommt ja auch mit motivatorisch betrachtet eher ungeeigneten Titeln wie
"Cry Of The Martyrs", "Plague Years" oder "Death
March" daher. Die dann aber eh betont kämpferische Ausrichtung des
transatlantisch operierenden Quartetts, dem mit Matt Tong ein von den Kollegen
von Bloc Party übergelaufener Abtrünniger am Schlagzeug galeerentrommlerhaft
einheizt, demonstriert neben einer geballten Faust und der Aufschrift "All
Power To The People" im Hintergrund inhaltlich nicht zuletzt schon der
erste Song des Abends: "Cleveland" ist eine gespenstische
Totenbeschwörung angesichts durch US-Polizeigewalt getöteter Afroamerikaner.
Ziviler Ungehorsam und Widerstand auf historischem Boden zwischen Bürgerrechts-
und Black-Panther-Bewegung, Antikolonialismus und der guten alten hoffnungsfrohen
Botschaft von Sam Cooke ("A Change Is Gonna Come") ergänzen die
Themenpalette dieser auch die Negativentwicklungen unserer Gegenwart in eine
Art Soul der letzten Tage überführenden Kunst.
Im
Voodoo-Remix
Frisurentechnisch
mag Sänger Franklin James Fisher heute in Richtung Lionel Richie gehen.
Musikalisch wird anstelle von Schmusepop gottlob aber eine Mischung geboten,
die den Furor des Alten Testaments gerade auch mit Fisher als Endzeitprediger
mit Schaum vor dem Mund zu sägenden Post-Punk-Gitarren, Drumcomputerbeats aus
der Ära des frühen Elektropop und Doo-wop im Voodoo-Remix spürbar macht. Auf
uns wartet zwar der Höllenschlund. Aber der Soundtrack auf dem Weg dorthin ist
fantastisch!
Zwischen
ein, zwei Jams, gerne auch unter den Vorzeichen von 70er-Jahre-Rockrepetition,
und eingestreuten, Fender-Rhodes-getragenen Nachtatmosphären als
Live-Erweiterung - sowie dem ohnehin überzeugenden Vokalvortrag Fishers - wird
man im B72 vielleicht auch aufgrund der Rahmenbedingungen zwar nicht vollkommen
umgeblasen. Allein schon für den beschwörenden Göttersong "Blood" hat
sich der Konzertbesuch am Ende aber gelohnt. Beklemmung mit einem Klagechor aus
der Dose: "Four hundred years of torture / Four hundred years a slave /
Dead just to watch you squander / Just what we tried to save."
(Wiener Zeitung, 1.2.2018)
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