Die
britische Pop-Institution Depeche Mode begeisterte in der ausverkauften Wiener
Stadthalle mit Bewährtem.
Feste Gewohnheiten sind eine tolle Erfindung. Sie
strukturieren den Tagesablauf, sie geben Sicherheit, sie sorgen dafür, dass wir
uns zurechtfinden im Leben. Wichtig immer nur: Dazwischenkommen darf nichts!
Ist das Frühstück nicht um 7 Uhr 54 verputzt - und erwischen wir deshalb den
8-Uhr-Bus nicht -, dann, ja dann haben wir ein Problem!
Der Stammtisch am ersten Dienstag des Monats, samt
fixer Sitzordnung? So viel ist sicher. Österreich als System, der Ablauf der
Sonnntagsmesse, ein Nuller im Lotto? Wie gehabt. Natürlich, und da fährt jetzt
der Zug drüber, erklärt uns Niki Lauda im Fernsehen auch heute die Welt. Und
vermutlich ist man in einer schnelllebigen Zeit der raschen Umbrüche beinahe
froh, wenn zumindest noch auf irgendetwas Verlass ist.
Kukidentlächeln
Am Sonntagabend demonstrieren es auch Depeche Mode
in der verlässlich ausverkauften Wiener Stadthalle und ihr erwartungsgemäß
begeistertes Publikum: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Würde er sonst auf
ein Konzert gehen, dessen Setlist er sich spätestens seit der zweiten Hälfte
der 90er Jahre weit im Vorhinein ausmalen kann? "Personal Jesus"?
Selbstverständlich! "Never Let Me Down Again"? Jawoll! "Walking
In My Shoes"? Niemals ohne. "World In My Eyes"? Man kennt die
Antwort bereits. Dazu natürlich "Enjoy The Silence", "A Question
Of Time" und "Stripped": Wir wünschen, Depeche Mode spielen, und
selbstverständlich wird es den Soulsisters und Soulbrothers im Publikum auch
diesmal eine sehr große Freude sein.
So geschmiert-vorhersehbar in lange perfektionierter
Routine das Werkl alle vier Jahre live auch in deiner Stadt läuft: Dieses Mal
hier in Vienna, Austria, hätten uns Depeche Mode fast überrascht. Zum Start der
aktuellen Ochsentour gab es im Vorjahr nicht nur Material aus dem neuen und
erstaunlicherweise politischen Album "Spirit", auf dem Depeche Mode
das Ausbleiben der Revolution beklagen, dem sie in ihrer Veränderungsresistenz
gewissermaßen selbst zuarbeiten, sondern auch Preziosen wie "Corrupt"
in einer hübschen Live-Version oder eine Hommage an David Bowie mit einem Cover
von "Heroes".
Das alles fiel zugunsten von Bewährterem in der
Zwischenzeit zwar dem Rotstift zum Opfer. Dafür gibt es eine von
Chef-Songwriter Martin Gore vor und nach viel strahleweißem Kukidentlächeln auf
der Videowall zu Klavierbegleitung aufgeführte Akustikversion von
"Insight", die in einer Art Schwerpunktprogramm gemeinsam mit
"Barrel Of A Gun", "It’s No Good" oder "Useless"
dem unterschätzten Meisterwerk "Ultra" späte Gerechtigkeit
widerfahren lässt.
Obsession,
Depression
Damals im fernen Jahr 1997 befand sich die Band
bekanntlich auf dem privat-persönlichen Tiefpunkt und kurz vor dem Aus. Nicht
nur der auch heute noch nachdrücklich für Gänsehaut sorgende Göttersong
"Home" über ein Ankommen, hinter dem sich der Tod versteckt,
demonstriert allerdings einen bisher letzten allumfassenden Kreativhöhepunkt im
Spannungsbereich zwischen Obsession und Depression.
Das Album "Exciter" von 2001 wird
gewohnheitsgemäß ignoriert, als einzige Enttäuschung des Abends steht "A
Pain That I’m Used To" in einer uninspirierten Remix-Version auf dem
Programm, nachdem zum Auftakt mit "Going Backwards" der
gesellschaftliche Backlash und eine Politik der Angst besungen wurden. Sänger
Dave Gahan demonstriert danach schnell und unmissverständlich, dass er nicht
nur nach wie vor ein fantastischer und heute bevorzugt strizzihaft auftretender
Frontman ist, sondern mit 55 Jahren und schwerer Suchtvergangenheit auch noch
erstaunlich vital. Hallo, hier folgt neben Hit auf Hit immer auch "Fit
mach mit" in Form von Pirouettenwirbel auf Pirouettenwirbel!
Christian Eigner legt es dazu am Schlagzeug
sportiv-rockistisch an (das hätte es früher nicht gegeben!). Andrew Fletcher
klatscht, wie er das seit 1980 im Hauptberuf macht, für und mit uns in die
Hände. Als Professionist sorgt Peter Gordeno an Keyboards und Bass für
Sicherheit und Orientierung. Die von Artdirector Anton Corbijn eigens für die
Tour gefilmten Videos bieten neben einer Auseinandersetzung mit den Themen
Außenseitertum und Lust auch modernen Ausdruckstanz oder Tieraufnahmen im
Close-up. "Cover Me" als einziger von Dave Gahan geschriebener Song
des Abends kommt dann mit seinen Outer-Space-Sujets doch noch auf David Bowie zurück.
Ungebrochene
Wirkung
(Wiener Zeitung, 6.2.2018)
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