Samstag, April 29, 2023

Im Schimpf-Kurs

Wohlbefinden muss nicht durch Achtsamkeit entstehen. Auch negative Gefühle können helfen. Kolumne im „extra“.

Guten Tag! Fällt es auch Ihnen zurzeit schwer, im nassgrauen „Frühlingswetter“ auf positive Gedanken zu kommen, den Ärger des Alltags zu vergessen und ihn durch etwas mehr Leichtigkeit zu ersetzen? Dann vergessen Sie bitte alles, was Ihnen einschlägige Ratgeber dazu empfehlen, und verfolgen Sie einmal einen anderen Ansatz. Hören Sie zum Beispiel ganz einfach auf mich.

Bewegung an der derzeit sowieso fehlenden Sonne steigert ohnehin nur das Hautkrebsrisiko, sich Zeit zu nehmen wird allgemein überschätzt – und was es verdammt noch einmal bedeuten soll, „auf sich zu hören“, das weiß der Teufel.

Da geht mir gleich wieder das Geimpfte auf, wenn jemand mit der inneren Mitte des Maharishi Mahesh Yogi und der Ausgeglichenheit eines Zen-Buddhisten nach 30 Jahren in seinem Scheißkloster mit einem Gfries daherkommt, dass ich mir schon aus zehn Metern Entfernung denke, das kann ja wohl auch nicht die Lösung sein. Es fehlt dann eigentlich nur noch, dass mir jemand mit Reizwörtern wie „Hildegard von Bingen“ oder „Ayurveda“ kommt, und schon greife ich innerlich wieder zum Baseballschläger.

Entdecken Sie die heilende Kraft der Negativität, ziehen Sie einmal so richtig vom Leder. Hören Sie menschenfeindliche Metalmusik und checken Sie in einem Rage Room ein. Hacken Sie dort in einer Art gleichzeitig ausgeführter Urschreitherapie alle für Sie gegen gutes Geld bereitgestellten Gegenstände kurz und klein – und zünden Sie die Reste im Anschluss an, bevor Sie sie aus dem Fenster schmeißen, damit der Bus drüberfährt. Finden Sie Ihr persönliches Druckablassventil. Öffnen Sie es. Schimpfen Sie wie ein Rohrspatz. Fluchen Sie, als hätten Sie die letzten zehn Jahr am – oder im – Bau verbracht.

Wie bitte, was? Ja, selbstverständlich habe ich meine Tabletten genommen. Und wenn Sie schon mir nicht glauben, dann hören Sie wenigstens auf Gerhard Polt. Der bayerische Kabarettgott und Darsteller diverser Rabiat-Grantler auf der Bühne spricht sich derzeit für Fluchen als Schulfach aus. Fluchen reinigt und heilt. Sie müssen jemandem dafür ja nicht gleich die Pest an den Hals wünschen oder ihn wie der Autor des Buches „Eine menschliche Sau“ einst in einer Programmnummer aus dem Milieu der höheren Töchtersöhne „ogsoachte Brunzkachel“ nennen.

Den Lehrplan, den Polt schuldig blieb, arbeite ich übrigens gerade im zweiten Bildungsweg aus. Kurse wie „Creative cursing – von wegen Sautrottel“, „Vom Breznsoiza zum Sacklpicker – Deutsch-österreichische Niedertracht einst und heute“, „Den Feind adressieren – Auffindung der Achillesferse“ und „Theoretischer Hass – praktische Trockenübung vor dem Spiegel am Beispiel Robert De Niros in ,Taxi Driver‘“ sind aber jedenfalls schon in Planung.

Ich freue mich, Sie ab Wintersemester in einem der folgenden Module auch persönlich begrüßen und beschimpfen zu dürfen! 

(Wiener Zeitung, 29./30.4.2023) 

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