Die US-Band stagniert mit ihrem neuen Album „First Two Pages Of Frankenstein“ auf hohem Niveau.
Die Ausgangslage dürfte nicht nur für Psychoanalytiker von Interesse sein. Auch als gewöhnlicher Hörer der US-Band The National kommt man mitunter auf seine Kosten, wenn Sänger und Frontmann Matt Berninger wieder einmal zerknirscht aus dem Innersten eines Break-ups berichtet und dabei Texte zum Besten gibt, die ausgerechnet mit seiner Ehefrau Carin Besser entstanden sind – mit der er diversen Interviews zufolge aber eh in einer gesunden Beziehung lebt.
„You should take it / ’Cause I’m not gonna take it / I don’t want it! / I don’t care!“: Auf „First Two Pages Of Frankenstein“ (4AD/Beggars Group), dem neuen und mittlerweile neunten Album des 1999 gegründeten All-Male-Quintetts, zu dem die Frau Gemahlin offiziell also gar nicht gehört, geht es diesbezüglich spätestens bei Song Nummer zwei in die Vollen. In „Eucalyptus“ wird man unter diversen popkulturellen Querbezügen Ohrenzeuge davon, wie ein frisch gebackenes Ex-Couple gerade seinen Hausrat aufteilt.
Melancholie und Wehmut
Leider erinnert man sich ja oft nicht mehr so genau, wer was wann genau aus welchem Grund und für wen gekauft hat – und vielleicht will man den einen oder anderen Gegenstand oder ein an sich gutes Stück aus der Plattensammlung auch einfach nur loswerden, um damit die Erinnerung auszulöschen. Weißt du noch, der Scheißurlaub damals in Kroatien mit dem Mopedunfall und der desolaten Unterkunft neben der Tierkörperverwertung, Schahatz?
Womöglich hängt das Herz außerdem nicht an jeder Topfpflanze von der Schwiegermutter oder den Häkeldeckchen aus dem Nachlass der Oma. Und da haben wir noch gar nicht über die Laura-Ashley-Bettwäschen und das wirklich elendig biedere Meissner Kaffeegedeck von deiner Tante Gitti gesprochen! Mein Gott. Im Grunde sollte man pro Beziehung wesentlich öfter Schluss machen, um Platz in der Wohnung zu schaffen. Außerdem kann man damit auch noch Menschen erfreuen, die sich das alte Zeug mit der DNA fremder Leute freiwillig vom Flohmarkt nach Hause holen – bis auch die sich wieder trennen und der ewige Kreislauf der „Second“-Hand-Wirtschaft von vorn beginnt.
Aber Vorsicht! Gerade wird Matt Berninger wieder weich. Er erinnert sich in einer für Männer immer gefährlichen Mischung aus Melancholie, Wehmut, fortgeschrittener Uhrzeit und zwei, drei Litern Rotwein direkt aus der Flasche an die zukünftige Ex oder Doch-nicht-Ex, wie sie in seinem New-Order-T-Shirt aus alten Tagen herumsteht, um mit einem Bier in der Hand und der Katze im Arm beinahe so etwas wie die Vorlage für einen möglichen Ölschinken zu liefern. Song Nummer sechs („Alien“) bietet dann einen ersten Lösungsansatz, der am Ende aber auch nur eine kurze Verschnaufpause bedeutet: „I’ll go outside, cry, and come right back in.“ Wer kennt das nicht.
Schwierige Bedingungen
Kurz gesagt, das Album löst alles ein, was seine Eröffnungszeile bereits nahelegt: „Don’t make this any harder.“ Geschenkt, dass es natürlich trotzdem noch härter und schwieriger wird. Neben Sufjan Stevens für den einen oder anderen Stoßseufzer zum Auftakt haben The National diesmal folgerichtig auch zwei weibliche Gaststimmen an Bord geholt, um die Beziehungstroubles in Szene zu setzen. Wobei die Band weder Phoebe Bridgers (in programmatischen Songs wie „Your Mind Is Not Your Friend“ und „This Isn’t Helping“) noch Taylor Swift (die in der Mann-Frau-Ballade „The Alcott“ zumindest in einen mittelintensiven Dialog mit Berninger tritt) auch nur eine einzige Strophe überlässt. Was wiederum gut zur Tatsache passt, dass diesmal auch ein ganzes Orchester für kaum mehr als ein paar äußerst dezente Beigaben aus dem Hintergrund bezahlt wurde.
Entstanden ist das Album übrigens unter schwierigen Bedingungen – und es ist nicht die Wiedergeburt, als die es die Band nach schweren Depressionen Berningers und einer daraus resultierenden Schreibblockade verkaufen will. Stattdessen erlebt man The National, wie sie künstlerisch auf hohem Niveau stagnieren und vertraute Kernelemente etwas weniger zwingend als früher neu ordnen.
Der tatsächlich zum Heulen schöne Eröffnungssong „Once Upon A Poolside“ als stilles Albumhighlight in gedämpfter Klavierumrahmung verspricht diesmal also zu viel, wenngleich nur ein bisschen. „What was the worried thing you said to me? I thought we could make it through anything . . .“ Ding-dong! Da läuten aber auch schon die Möbelpacker an der Tür.
(Wiener Zeitung, 4.5.2023)
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