Freitag, Mai 05, 2023

Das Einmaleins des Rührstücks

Der britische Popstar Ed Sheeran beendet seine Pentalogie der Grundrechnungsarten mit dem neuen Album „-“.

Dem Bullshitbingo der Plattenfirma zufolge handelt es sich um „Ed Sheerans persönlichstes Album“. Wie das in Anbetracht des bisherigen Werkkatalogs möglich sein soll, wäre jetzt allerdings interessant. Immerhin hat uns der 32-jährige Popsuperstar sein Herz mittlerweile so oft ausgeschüttet, dass wir ihn beinahe schon besser kennen als unseren alten Schulfreund Herbert.

Mit dem hat man seinerzeit die ganze Kindheit und Jugend samt allen Höhen und Tiefen erlebt und sitzt heute regelmäßig im Wirtshaus herum, um sich intensiv auszutauschen, indem man gehaltvoll über das Leben schweigt. Im grauen Alltag sind vor allem Männer dann zumeist ja doch etwas verschlossener als in einer dieser vor starken Emotionen und großen Gefühlen berstenden Fließband-Balladen, mit denen Ed Sheeran seinen Lebensunterhalt – und ein paar Zerquetschte mehr – verdient.

Es zieht sich

Mit „-“ (Warner Music) hat der britische Wuschelkopf soeben ein neues Album veröffentlicht, auf dem er hinsichtlich seiner eigentlichen Erfolgsformel noch einmal nachlegt. Wir hören das Einmaleins des Rührstücks, dessen titelgebendes Minus zumindest teils in die Irre führt: Für weniger ist dieses Album mit seinen 14 Songs schon auch recht viel, was man spätestens in der Mitte der 48 Spielminuten bemerkt, wenn es sich, du meine Güte, zu ziehen beginnt.

Dafür hat Ed Sheeran die Subtraktion ökonomisch mit dem Rotstift, sprich im Sinn der Gewinnmaximierung angelegt. Die bis zu neun Co-Produzenten und sechs Autoren pro Song des Vorgängeralbums „=“ von 2021 wurden eingespart, das Ganze geht mit Aaron Dessner von der jetzt ehemals coolen US-Band The National als Hauptkollaborationspartner ja auch wesentlich billiger. Nur für die erste Vorab-Single „Eyes Closed“ als Pop-Ausreißer wurde auf die Hilfe der schwedischen Hitbomben Max Martin und Shellback gesetzt, die den Song gemeinsam mit ihrem britischen Kollegen Fred Again produzierten.

Das im Unterhaltungsgewerbe – nur mehr ist mehr – gefürchtete Minus beendet damit die Pentalogie der Grundrechnungsarten, die Ed Sheeran mit seinem Debütalbum „+“ im Jahr 2011 begonnen hat. Wobei sich der Titel auf den ursprünglichen Plan bezieht, ein akustisches Album einzuspielen. Zehn Jahre lang hat der Songwriter eigenen Aussagen zufolge daran gefeilt, bevor ihn einschneidende Erlebnisse wie eine (mittlerweile überstandene) Tumorerkrankung seiner Frau und der Tod seines Freundes Jamal Edwards vom eigentlichen Konzept abrücken ließen.

Englisches Sauwetter

Entsprechend bedrückt und betrübt klingen die vorwiegend an Klavier und Lagerfeuergitarre angerichteten und von Streichern mit Trauerflor durchzogenen Songs dann auch. Zum ersten Mal in seiner Karriere hätte er kein Album aufnehmen wollen, das den Leuten da draußen gefällt, sondern aufrichtig darstellen soll, an welchem Punkt in seinem Leben er sich gerade befindet. Zumindest der erste Teil davon dürfte Ed Sheeran jetzt aber gründlich misslingen. Selbstverständlich wird auch „-“ wieder ein Hit.

„I suppose I’ll sink like a stone / If you leave me now, oh, the storms will roll“: Es braucht übrigens keinen Dr. Freud, um der Tagebuchpoesie des Albums analytisch beizukommen. Überall lauert bei diesen Herzschmerzsongs, die im Fußballstadion unseres Misstrauens schon demnächst wieder für einen Sternenhimmel voller Smartphones sorgen werden, die Gefahr eines Untergangs – während über der Küste ein Wetter aufzieht, der Regen in Strömen vom Himmel fällt, Schiffe in Seenot geraten oder Ed Sheeran beim Spazierengehen einfach nur nasse Füße bekommt. Wobei zumindest ein Mitgrund dafür recht trivial sein könnte. Der Mann hat Teile seines auf 200 Millionen Pfund geschätzten Vermögens ausgerechnet in ein Riesenanwesen in Suffolk gepumpt. Man hört dieser tristen Musik sehr wahrscheinlich also immer auch das englische Sauwetter an.

Für den Abschluss mit dem folkloristischen „The Hills Of Aberfeldy“ befindet man sich dann glücklicherweise aber ohnehin bereits in den schottischen Highlands, wo das Wetter zwar auch nicht erfreulicher ist, es dafür aber den besseren Whisky gibt. Zu diesem lässt es sich bekanntlich sehr gut über das Leben schweigen. Oder wie es Ed Sheeran formuliert: „The waves won’t break my boat.“ Meine Herren!

(Wiener Zeitung, 6./7.5.2023)

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