Der deutsche Songwriter Jungstötter zieht auf seinem neuen Album „One Star“ alle Register.
Dies ist keine Musik, die man sich anhört, um den neuen Tag zu begrüßen. Dies ist Musik, die dem alten Tag Lebewohl sagt oder ihn irgendwann zwischen der Sperrstunde und dem Aufschlag zu Hause im Bett womöglich zum Teufel jagt. Er hat seine Schuldigkeit getan, er kann jetzt bitte gehen.
Wir sprechen von einer Zeit, die Menschen mit geregeltem Alltag und keinen Problemen gerne vermeiden. Es könnte das echte Leben dazwischenkommen und mit diversen Verlockungen und Gefahren intervenieren. Macht man dem Teufel einmal die Tür auf, setzt der bekanntlich gleich mit einem Bocksprung in den Vorraum über.
Schmerz und Überwindung
Fabian Altstötter wurde vor mittlerweile vier Jahren unter seinem schelmisch gewählten Künstlernamen Jungstötter bekannt. Allerdings endete die Sache mit dem Humor an dieser Stelle bereits wieder. Nach Wurzeln im Indiepop mit seiner in der deutschen Provinz gegründeten Band Sizarr und einem unerwarteten Zusammentreffen mit Deutsch-Rapper Casper und Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten für den düsterromantischen Genre-Clash des Songs „Lang lebe der Tod“ (2017) ging die künstlerische Neuerfindung schließlich im Jahr 2019 mit dem Solodebüt „Love Is“ über die Bühne.
Gemeinsam mit Max Rieger von der Stuttgarter Band Die Nerven produziert und mit Musikern aus dem Jazzumfeld in Szene gesetzt, schlug da hörbar ein altes Herz in einem jungen Körper. Mit seinen aus der Zeit gefallenen und an großen Außenseitern, Individualisten und Grenzgängern des Pop zwischen Mark Hollis und Rustin Man von Talk Talk sowie auf jeden Fall Scott Walker und vielleicht ein wenig auch David Sylvian in ihren späten Jahren geschulten Samtballaden erwies sich der Mann dabei als Glücksfall – im Zeichen des Unglücks. Wie Göttersongs wie „Wound Wrapped In Song“ aber bereits vom Titel her nahelegten, ging und geht es bei Jungstötter mit waidwunder Stimme im großen Stil immer auch um den Schmerz und seine Überwindung.
Nach Übersiedlungen nach Berlin und schließlich nach Wien zu seiner zunächst musikalischen Partnerin und baldigen Lebensgefährtin Anja Plaschg alias Soap&Skin sowie nach einer veritablen Krise im Entstehungsprozess im Jahr 2021 liegt mit „One Star“ (Pias) jetzt endlich der Nachfolger vor. Leise flehen die Lieder Jungstötters darauf zwar weiterhin. Zu Streichern mit Trauerflor, in getragenem Tempo und mitunter im Trauermarschduktus fährt der 32-Jährige dabei aber alle Register auf.
Pochen und Pumpen
Weiter entfernt vom Orden des Nick Cave, der auf „Love Is“ mitunter noch recht deutlich regierte, und mit in den Hintergrund gerückten Gitarren wird heute konsequent an einer Art Kunstlied nach altem Vorbild und heutiger Prägung gefeilt. Zwischen Fender Rhodes, Klavier, Kontrabass, (Beserl-)Schlagzeug, gelegentlichen Bläserspitzen und nicht zuletzt fiebrigen Percussions hat man es einerseits mit moderner Kammermusik zu tun. Andererseits sorgt das Pochen und Pumpen von „Ribbons“ oder das elektronische Wabern von „Burdens“ für Querbezüge zu Trip-Hop und Filmmusik. David Lynch etwa sollte man unbedingt einmal mit der Musik von Jungstötter vertraut machen.
„Every way I move / All is full of you / The night hours and the days / Are spilling out your face“: Zwischendurch steckt natürlich auch wieder sehr viel Verlangen und Begehren in diesen Liedern. Anderswo klafft zu beinahe lichten Klängen mit dunklen Gedanken dafür die Text-Ton-Schere auf: „My fear is but a looting game / I was set to play / And if I had known what it would claim / I would have gone the other way.“
Zum
Showdown steht Jungstötter dann mit ausgebreiteten Armen vor uns und wartet auf
den titelgebenden Stern, der keinen Namen trägt. Händeringend wird da noch
einmal um Erlösung gefleht: „Oh give me a star / Why don’t you let a star fall
down onto me?“ Der Tragödie zweiter Teil ist damit formal also beendet. Das
Drama aber geht weiter.
Live am Montag 15. Mai im Wiener Fluc.
(Wiener Zeitung, 11.5.2023)
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