Die britische Sängerin Alison Goldfrapp huldigt auf ihrem späten Solodebüt dem Dancefloor.
Einerseits kommt dieses Album auf gewisse Weise zur Unzeit. Immerhin zeigen sich die elf Songs von „The Love Invention“ (Skint/BMG Rights Management) von den Polykrisen unserer Zeit weder beeinflusst noch angekränkelt.
Andererseits sind schlechte Zeiten immer auch gute Zeiten, wenn es darum geht, all den Ballast einmal abzuschütteln und sich in Eskapismus zu üben. Warum nicht einmal das persönliche Druckablassventil des Vertrauens öffnen und die Sorgen Sorgen sein lassen? Vor allem die Nacht als ewiges Hauptabendprogramm im Bereich des Verdrängens und Kompensierens stellt hier immer schon ein paar gute Angebote.
Königin der Nacht
Move your ass and your mind will follow: Nicht zuletzt in den Clubs lockt etwa der Dancefloor als Versprechen damit, den Kopf endlich einmal auszuschalten und die Gehirnwindungen durchzulüften. Wer zu viel denkt, wird unleidlich. Den Rest erledigen dann die Bewegung, die aufgeladene Stimmung und das eine oder andere Mixgetränk. Ach ja. Drogen sind natürlich überbewertet, wenn der Körper bereits mit Endorphinen, Dopamin und Serotonin zur Stelle ist, um die Sache mit der Ekstase für uns zu regeln.
Auch die britische Sängerin Alison Goldfrapp will uns in ihrem zweiten Standbein als Königin der Nacht jetzt dabei helfen, die Euphorie im großen Stil wiederzuentdecken. Und sie bezieht sich dabei offenbar auf ein altes Motto von Kylie Minogue: „Your disco needs you!“ Zwar hat die Sängerin in dieser Hinsicht bereits mit ihrer Stammband Goldfrapp einiges an Vorarbeit geleistet. Neben Alben mit peitschendem Elektropop wie „Black Cherry“ (2003), „Supernature“ (2005) oder zuletzt dem ordentlich abgedunkelten „Silver Eye“ von 2017 hat es das arbeitsteilig und demokratisch geführte Duo um den Keyboarder und Produzenten Will Gregory stilistisch aber immer auch breiter angelegt.
Großtaten wie das eklektische Debütalbum „Felt Mountain“ (2000) mit Goldfrapp als jüngster Sensation auf Daniel Millers einflussreichem Label Mute Records und die teils orchestrierten Sperrstundenballaden von „Tales Of Us“ (2013) künden bis heute sehr einnehmend davon. Dass 2010 auf „Head First“ auch die käsigen Seiten der 1980er Jahre zwischen Olivia Newton-John und Abba in Angriff genommen wurden, hätte man in der Zwischenzeit eigentlich schon erfolgreich verdrängt, wäre Alison Goldfrapp zur Bewerbung von „The Love Invention“ mit in Richtung Step-Aerobic gehenden Musikvideos diesbezüglich nicht erneut äußerst ungeniert um die Ecke gebogen.
Streng nach Bauplan
Die heute 56-Jährige gibt dazu die auch stimmlich exakt gar nicht gealterte ewige Discosirene aus dem Orden des Giorgio Moroder („I Feel Love“). Die Euphorie auf dem Dancefloor muss immer auch die Absicht verfolgen, mit sexueller Ekstase einherzugehen. Zünftig zwischen Song und Track pendelnde Tanzangebote wie „So Hard So Hot“, „The Beat Divine“ und nicht zuletzt „Hotel“ als hemmungslose Aufforderung zum One-Night-Stand belegen es. Wer stattdessen den grauen Alltag bevorzugt: Am Montag geht es dann sowieso wieder ins Büro.
Alison Goldfrapp hat für Stücke wie „Digging Deeper Now“ und das programmatische „Fever“ mit dem deutschen DJ- und Produzenten-Duo Claptone und dessen britischem Kollegen Paul Woolford zusammengearbeitet und das Album mit Richard X und James Greenwood produziert. Neben den allgegenwärtigen House-Einflüssen wird nicht nur mit Vocoder-Gesängen und bei „Gatto Gelato“ bereits vom Titel her außerdem an einstige Pionierarbeiten im Fachbereich Italo-Disco erinnert. Dazwischen regiert mit „In Electric Blue“ aber auch hoffnungslos überzuckerter Elektropop, nach dem akutes Sodbrennen droht. Kann man einen Brand eigentlich auch mit Gin Tonic löschen?
Nicht zuletzt Róisín Murphy fällt einem übrigens als möglicher Einfluss dieser streng nach Bauplan arrangierten Stücke ein. Da steht Alison Goldfrapp aber schon wieder parat, um uns am Zerdenken zu hindern. Die Discokugel dreht sich. Geile Sache. Never stop!
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