Der große US-Songwriter Paul Simon hat ein neues Album vorgelegt – es könnte sein letztes sein.
Das Wort Psalm geht auf das griechische Verb psallein zurück, das so etwas wie „die Saiten schlagen“ bedeutet. Seine Wurzeln aber liegen im hebräischen mizmor, das sich wiederum als „kantilierender Sprechgesang mit Saitenbegleitung“ übersetzt. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, hat Paul Simon von Anfang an Psalmen geschrieben. Immerhin basieren bereits seine frühesten Songs aus den mittleren 1950er Jahren wie auch seine größten Hits aus Zeiten im Duo mit Art Garfunkel als Simon & Garfunkel im Wesentlichen auf einem: Zu dieser im weltlichen Sinn himmelwärts gerichteten Musik konnte man außer zwei harmonierenden Götterstimmen und ja, zart angeschlagenen oder gezupften Saiten schon immer die Englein singen hören.
Seine durch und durch menschlichen und menschelnden Songs aber, bei denen in Form etwa zum Heulen schöner Folkpop-Evergreens wie „The Sound Of Silence“, „The Boxer“ oder „Bridge Over Troubled Water“ individuelle Sorgen, Nöte und Sehnsüchte im Vordergrund standen, verzichteten auf religiöse und spirituelle Elemente ebenso wie auf die dem klassischen Psalm inhärente liturgische Funktion.
Über den Jordan
Insofern überrascht die Rückkehr des großen Sängers und Songwriters mit seinem neuen Album „Seven Psalms“ (Owl/Sony Legacy) dann doch ein wenig – wenngleich sich der mittlerweile 81-Jährige im Albumtrailer dann eh als ewiger Zweifler zu erkennen gibt, was die gute alte Gretchenfrage betrifft: „This whole piece is really an argument I’m having with myself about belief, or not.“ Der Verdacht einer „Ankunft in Gott“, die auf einem späten Erweckungsereignis seit seinem im Jahr 2018 erfolgten Bühnenabschied beruhen könnte, wird also im Handumdrehen zerschlagen.
Auf
jeden Fall aber eröffnet der aus Newark gebürtige Sohn ungarisch-jüdischer
Eltern mit seinem 15. Soloalbum ein neues Karrierekapitel, das womöglich sein
letztes sein könnte. Wir hören Meditationen in Endlichkeit, die Vergleiche mit
den finalen Alben von David Bowie („Blackstar“) und Leonard Cohen („You Want It
Darker“) fast unumgänglich machen.
Im Gegensatz zu David Bowie setzt Paul Simon mit knapp 30 mitunter beiläufig gehaltenen Spielminuten aber nicht auf die große Form – und anders als bei Leonard Cohen gipfelt bei ihm nicht die lebenslange Beschäftigung eines jüdischen Zen-Buddhisten mit spiritueller Heilsuche im Bekenntnis, jetzt bereit für den Herrn zu sein. Auch wenn gleich der im Bewusstseinsstrom über den Jordan gleitende erste Song „The Lord“ und dessen wiederholtes Auftauchen als Adaption und Coda in Folgestücken wie dem als Ausreißer des Albums im Blues verwurzelten „My Professional Opinion“ anderes nahelegt.
Im Traum empfangen
Paul Simon hat die Idee für das Album eigenen Aussagen zufolge im Traum empfangen. Weitere Inspiration boten nächtliche Wachphasen in den Wochen darauf. Im Studio wurden die strikt akustisch gehaltenen und auf Simons Gesang und Gitarre fokussierten Songs schließlich um dezente Atmosphären ergänzt.
Während im Vordergrund Klangschalen, Gongs und fernöstliche Percussions als Echo seiner 1986 mit dem Bestseller „Graceland“ erfolgten Hinwendung zur sogenannten „Weltmusik“ metaphysische Noten verbreiten und auch der eine oder andere dräuende Drone seine Wirkung nicht verfehlt, besetzen Gäste wie der US-Trompeter Wynton Marsalis, das Londoner A-cappella-Oktett Voces8 sowie ein mit kaum mehr als einer Handvoll Akkorde präsentes Streichquartett maximal Statistenrollen. Woraus sich ein Album ergibt, das sich gegen Erwartungshaltungen und Brechstangen-Sentimentalität gleichermaßen stellt, um die Gänsehaut, auf die es mit seinen impressionistischen Skizzen nicht aus ist, mitunter doch zu erzeugen.
Selbstverständlich wollen wir uns noch viele weitere Alben von Paul Simon vorstellen und wünschen. Hoffnung darauf bietet das als Schwanengesang angerichtete „Seven Psalms“ aber nicht. Auch wenn der Himmel im gemeinsam mit Ehefrau Edie Brickell gesungenen Abschlusssong „Wait“ bereits als Garten Eden lockt, gegen den sich der irdische Schöpfer einiger der schönsten Folkpopsongs aller Zeiten da noch sträubt: „Wait / I’m not ready! I’m just packing my gear.“
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