Die US-Band Sparks bündelt auf ihrem neuen Album „The Girl Is Crying in Her Latte“ sämtliche Kernkompetenzen.
Was man an dieser Band hat, erklärt gleich die aktuelle Single. Musikalisch als Echo ihrer Ursprünge im Glamrock angerichtet, berichten die Sparks in „Nothing Is As Good As They Say It Is“ aus der Innenperspektive der allerjüngsten Erdbewohner. Ergänzt um ein Musikvideo mit in erster Linie weinenden Babys, entsteht so ein Bild frühexistenzieller Verzweiflung. „All your standards must be so very low / This is not a place that I’d want to go / How can you exist in a place like this? / I surely can’t! Oh no!“ Von wegen „Holt mich hier raus“: Eigentlich möchte man wie aus dem Lehrbuch von Doktor Freud ja schnellstmöglich wieder zurück. Oder Hauptsache jedenfalls husch, husch woandershin.
Die Kunst der Überzeichnung
Nicht von ungefähr sieht man bereits auf dem Cover ihres neuen und mittlerweile 25. Studioalbums „The Girl Is Crying in Her Latte“ (Island/Universal Music) eine junge Frau mit zerronnener Mascara vor ihrem Milchkaffee sitzen. Die wird von den US-Brüdern Ron und Russell Mael auch im dazugehörigen Songtext ganz genau beobachtet. Ursachenforschung steht auf dem Programm: „Is it due to the rain / Or is she in some pain? / She looks physically fine / Guess it’s something benign.“
Weil existenzielle Verzweiflung vielleicht schon nach der Geburt eintreten kann, ganz sicher aber in späteren Jahren nicht unwahrscheinlicher wird, weinen am Ende des Songs im Wesentlichen aber alle in ihr Heißgetränk. Zu diesem Zeitpunkt scheint auch die Wurzel allen Übels gefunden: „I guess the world is to blame . . .“
Die seit ihrem 1971 erschienenen Debütalbum „Halfnelson“ unermüdlich produzierenden Sparks gelten als Chef-Ironiker eines schillernden Popuniversums zwischen den Stühlen. Mit oft schon auf dem Papier zum Schreien komischen Songs wie „Angst In My Pants“ oder „(Baby, Baby) Can I Invade Your Country?“ im Gepäck wird dabei auf die Kunst der Überzeichnung gesetzt. Nach theatralischen Artpop-Meisterwerken wie „Kimono My House“ mit dem Hit „This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us“ (1974) und der 1979 erfolgten Hinwendung zu Synthie-Pop und (Italo-)Disco des von Giorgio Moroder produzierten Albums „No. 1 in Heaven“ hat das Duo stilistisch wenig bis nichts ausgelassen.
Von von bis bis
Auf „The Girl Is Crying in Her Latte“ geht es frei nach Ernst Jandl jetzt ohnehin wieder von von bis bis. Neben einem Song über die Peek-a-boo-Frisur der 1973 verstorbenen Hollywoodschauspielerin Veronica Lake im modernen elektronischen Setting, einem als Hommage an die deutsche Elektro-Avantgarde arrangierten Loblied auf die Rolltreppe sowie einem Abstecher nach Nordkorea im Zeichen des Militärmarschs hört man etwa auch einen technoiden Lagebericht aus der Club-Warteschlange sowie ein Joint Venture aus Ballettmusik und Operettenrock.
Zur Hochform läuft die Band aber auf, wenn sie in „When You Leave“ Szenarien entwirft, was hinterrücks so alles passieren kann, wenn man kurz vor dem Abgang steht – um ihre Konsequenzen zu ziehen: „I’m gonna stay – just to annoy them / I’m gonna stay – just to piss them off!“ Die Sparks auf den Spuren Herbert Achternbuschs also: „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt.“
(Wiener Zeitung, 27./28.5.2023)
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