Abschiede regieren den modernen Popsong seit jeher. Jetzt singen wir unser letztes Lied.
Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei: Wird im Popsong Abschied genommen, hat das in erster Linie damit zu tun, dass aus jeder Boy-meets-girl-Geschichte irgendwann einmal eine Boy-loses-girl-Geschichte werden muss. Auch wenn es wahrscheinlich ist, dass man sich zuvor „glücklicherweise nur“ auseinanderliebt und wie der Ich-Erzähler in Elvis Presleys gleichnamigem Song von zu Hause ausziehen und im „Heartbreak Hotel“ einchecken muss, spielt letztlich auch das vor allem aus Hochzeitsfilmen bekannte Motto „Bis dass der Tod uns scheidet“ eine gewisse Rolle.
In seinem „Death Letter Blues“ kann etwa der 1902 in Riverton, Mississippi, geborene Delta-Blues-Musiker Son House ein Lied davon singen: „I got a letter this morning, how do you reckon it read? Say, ,Hurry, hurry! The gal you love is dead.‘“ So oder so: Herzen brechen, Tränen fallen. Zahllose Popsongs künden davon.
Wo es wehtut
Auseinandergehen ist schwer: Kein anderes Genre zielt diesbezüglich wirkmächtiger in die Herzen Dritter hinein und sorgt somit verlässlicher für ein emotionales Entlastungsgerinne. Auch stellvertretend lässt es sich bekanntlich gut leiden. Und man kann damit im Idealfall sogar Therapiekosten sparen. Die Anlage aufgedreht, eine gute Flasche Rotwein geköpft und das Schnäuztüchl bereitgelegt . . . Es sei denn, man geht zu oft dorthin, wo es wirklich wehtut. Sensible Gemüter seien etwa vor dem US-Songwriter Townes Van Zandt gewarnt, der einmal meinte: „Nicht alle meine Lieder sind traurig. Einige von ihnen sind auch hoffnungslos.“
Wie viele Swimmingpools mit Tränen gefüllt werden könnten, weil jemand, sagen wir, „Yesterday“ von den Beatles oder „Back To Black“ von Amy Winehouse gehört hat, ist nicht bekannt. Dass sich die Kunst etwas von der Scheidungsindustrie abschauen kann, ist aber spätestens anzunehmen, seit „Rumours“ von Fleetwood Mac aus dem Jahr 1977 mit seinen mehr als 40 Millionen verkauften Einheiten nicht nur als eines der erfolgreichsten Trennungsalben aller Zeiten gilt.
Mit Trauerflor
This is the end, beautiful friend: Ursprünglich als Break-up-Song angelegt, bald aber allumfassend endzeitlich gedeutet, kommt man im Themenfeld natürlich auch an „The End“ von den Doors nicht vorbei. Der im Jahr 1966 aufgenommene Song fiel in der Coverversion von Nico 1974 und somit drei Jahre nach dem Tod von Jim Morrison noch deutlich beklemmender aus. Das schwärzeste Schwarz aller Zeiten inklusive Trauerflor und keiner Hoffnung auf nichts mehr: „The end of laughter and soft lies / The end of nights we tried to die.“
Glücklicherweise gibt es mit „Closing Time“ von Leonard Cohen und „It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)“ von R.E.M. aber auch Lieder, die es schaffen, selbst der Apokalypse den Schrecken zu nehmen. Hier klingt sie nicht von ungefähr beinahe heiter. Schließlich fallen auch nicht alle Trennungslieder aus Sicht des Verlassenen geplagt-gequält aus, sondern berichten sowohl im Gockel-Rock von Led Zeppelin (mit ihrem „Babe I’m Gonna Leave You“-Cover) als auch im Kuchlradioschlager von Engelbert Humperdinck („Release Me“) aus der Gegenperspektive von der Notwendigkeit loszulassen. Eine konkretere Anleitung dahingehend ist wiederum mit „50 Ways To Leave Your Lover“ von Paul Simon verbrieft.
Was uns auch bereits zur Frage führt, wie man eigentlich abtreten sollte. Mit Whiskeyglas, Pathos und ergriffen von sich selbst wie Frank Sinatra, der „My Way“ singt? Niemals. Rührselig säuselnd wie Céline Dion mit „My Heart Will Go On“? Sicher nicht. Dann schon eher im Zeichen des gepflegten Revenge-Songs mit einem herzlichen „Fuck You“ wie CeeLo Green oder mit Scout Niblett und „Gun“, einem äußerst schlagkräftigen Beitrag zum Thema Vendetta. Peng!
In die Grube
Realbiografisch hat Popliebhabern mittlerweile der letzte aller Abschiede wiederholt ziemlich schwer zugesetzt. Mit dem Tod persönlicher Helden und Heldinnen von Prince über George Michael bis hin zu Tina Turner ging für viele auch die eigene Jugend dahin. Das öffentliche und im Werk bis zur Bahre aufgearbeitete Sterben von David Bowie und Leonard Cohen hat für Überwältigung, Respekt und tief empfundene Trauer gesorgt. Und weil der Nachruf das musikjournalistische Genre der Gegenwart und Zukunft ist, sollte man sich auch selbst daran erinnern, den Bestatter rechtzeitig über die gewünschte Begräbnissetlist zu informieren. Man will auf dem Weg in die Grube ja nicht ausgerechnet mit „Candle In The Wind“ von Elton John zwangsbeglückt werden.
„Fading / Falling / Melting / Sinking / Disappear“: Aktuell gehört übrigens „Vanishing“ von Circuit des Yeux zu den besten Songs, die jemals über das Ende, den Abschied und das Verschwinden geschrieben wurden. Verschwinden ist, das Wort sagt es schon, ein Prozess, der langsam erfolgt – zersetzend, qualvoll und hinterhältig. Ein Song über die Auslöschung einer ganzen Tageszeitungsredaktion muss noch geschrieben werden. Aber erinnern wir uns ganz am Ende auch an Bob Dylan in seiner christlichen Phase. „When you’re sad and when you’re lonely / And you haven’t got a friend / Just remember that death is not the end.“ In diesem Sinne!
(Wiener Zeitung, 30.6.2023)